Von Stefan Sasse
Die sechs Kolumnisten, die sich SpiegelOnline gegönnt hat und die an allen sechs Werktagen jeweils ihre Kolumne herausgeben, sind schon ein buntes Völkchen. Jakob Augstein ist als linksliberales Gewissen unterwegs, Sascha Lobo darf Weisheiten zum Web 2.0 zum Besten geben, das ja außer ihm niemand versteht, Steffi Kammerer schreibt Glamouröses und Georg Diez darf sich dem Feuilleton hingeben, während Sybelle Berg das "Vermischte" bedient. Und dann ist da noch Jan Fleischhauer.
Der Name Fleischhauer dürfte dem einem oder anderen noch ein Begriff sein; er veröffentlichte 2009 den Spiegel-Bestseller "Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde". Dieses Buch wurde seinerzeit in Auszügen vom Spiegel zwecks Werbung abgedruckt und dreht sich um die persönliche politische Entwicklung Fleischhauers, die eine typische für die 1980er und 1990er Jahre ist: als Kind von spezifisch vom linken Milieu der 1968er geprägten Eltern durfte er alle möglichen Avantgardismen von Reformpädagogik bis antiautoritärer Erziehung mitmachen, die jedoch den pubertären Aufstand gegen die Erzeuger nicht verhindern konnten. Im Bestreben, sich von seinen Eltern abzusetzen, wurde Fleischhauer deswegen so konservativ, dass Franz Josef Strauß vor Neid erblasst wäre; der größte Fanatiker ist und bleibt der Konvertit.
An Fleischhauers Elternkomplex hätte Sigmund Freud sicher seine Freude. Da er nicht mehr lebt und das Sofa außer Mode ist, müssen die SpOn-Leser als Publikum ausreichen. Ich gestehe frank und frei: ich freue mich jeden Montag auf Fleischhauers Kolumne, die nicht ohne Selbstironie "Der Schwarze Kanal" heißt. So viel Unsinn wie dort bekommt man selten in solcher Reinkultur geboten. Den Einstieg machte seine Einordnung der Kommunismus-Debatte um Gesine Lötzsch ("Es zeigt sich einmal mehr: Wenn es um den Kommunismus geht, versuchen Linke bis heute, Idee und Ausführung zu trennen. Dabei gehören beide zwangsläufig zusammen."). In der folgenden Woche erklärte er die Grünen zu Wegbereitern des Realsozialismus in der BRD ("Die Grünen empfehlen sich enttäuschten FDP-Wählern als politische Alternative. Dabei sind sie in Wahrheit das Gegenteil einer liberalen Partei: Statt Staatsskepsis ist bei ihnen die umfassende Staatsliebe Programm."), in der folgenden Ausgabe verwarf er die aktuellen Probleme der FDP im Allgemeinen und Guido Westerwelles im Speziellen, indem er Westerwelles Kritikern Schwulenhass vorwarf, letzte Woche erklärte er die Offiziersanwärter der Gorch Fock zu Weicheiern, die einfach nur nicht hart genug für's Militär waren ("Das Problem bei der Ausbildung auf der "Gorch Fock" ist nicht die Härte des Drills, sondern die Wehleidigkeit der Kadetten") und in der heutigen Ausgabe postulierte er, dass die Linken alle Israel hassen und die Araber mögen, denen im Übrigen nur George W. Bush die Demokratie bringen wollte. ("Dabei war es gerade George W. Bush, der immer an die Demokratisierung der islamischen Welt glaubte - und von der versammelten Linken dafür verspottet wurde.") Man darf schon auf die nächste Woche gespannt sein.
Besonders amüsant ist, dass Fleischhauer sich beim Zimmern seines Feindbildes "die Linken" offensichtlich eines recht groben Werkzeugsortiments bediente: von den SPD-Netzwerkern bis zur MLPD ist bei ihm alles dabei. Dass diese Gruppe in etwa so konsistent ist wie das Duo Holger Blüm und Holger Apfel ist dabei vollkommen egal: um so etwas wie eine ernsthafte Kritik geht es Fleischhauer ohnehin nicht. Sein Hang zum Tendenziösen ist Programm, seine aggressive Standortpositionierung und seine Pauschalisierungen bestimmen seinen Marktwert. Er gleicht darin Thilo Sarrazin, dem er bestimmt auch noch eine Kolumne widmen wird. Es ist gerade die Pauschalisierung, das lustvolle aggressive Dreinschlagen, das Zuspitzen und Polemisieren, das Fleischhauer interessant macht. Eine ernsthafte Diskussion seiner übersteigerten Thesen wäre langatmig und, vor allem, redundant, da sie sich am Ende selbst widerlegen müsste. So aber besitzt er großen Unterhaltungswert als Sturmgeschütz der konservativ-neoliberalen Abwehrfront. Am witzigsten ist es allerdings mit dem Bewusstsein im Hinterkopf zu lesen, dass Fleischhauer nur auf großer Bühne seinen Elternkomplex verarbeitet. Wenn es bei Sarrazin doch nur auch so einfach wäre.