Kriegstreiber und Pazifisten – Menschen beider Gesinnungen treten überall auf der Welt dort auf, wo die Gefahr einer kriegerischen Auseinandersetzung besteht. Das aktuellste Beispiel dafür ist die Ukraine. Was noch vor wenigen Monaten kein Mensch für möglich gehalten hat, ist grausame Wirklichkeit geworden. Im Osten des Landes herrscht ein „Bruderkrieg“ und es ist noch lange nicht klar, ob dieser Brandherd nicht noch ein größeres Feuer anfachen wird.
v.l.n.r. Ingala Fortange, Andrea Köhler und Julia Schranz in dem Stück Tramp´s Albtraum der Schlüterwerke (Foto: Schlüterwerke)
Bertha von Suttner und der Pazifismus
Im Gedenkjahr anlässlich des Ausbruches des Ersten Weltkrieges beschäftigen sich eine ganze Reihe von Produktionen mit den Umständen, die zum Ausbruch des Krieges führten. Aber auch mit jener Frau, die ihr Leben dem Pazifismus widmete – Bertha von Suttner. Nun gibt es eine neue Theateraufführung, in welcher jedoch noch andere Stimmen zu Gehör gebracht werden, die sich für den Frieden einsetzten. Was im ersten Moment vielleicht als historischer Rückblick auf unsere Geschichte erscheinen mag, ist aber leider, wie eingangs aufgezeigt, brandaktuell. Viele der Aussagen, die das Ensemble der Schlüterwerke tätigen, könnten schrecklicherweise aus den letzten Wochen stammen.
„Tramp`s Albtraum“ nennt sich die neue Show unter der Regie von Markus Kupferblum. In ihr wird man dabei für eine Stunde in jene Tage zurückversetzt, in welchen der Erste Weltkrieg bereits in der Luft lag. Die Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand in Sarajevo hatte bereits stattgefunden und in Wien sprachen die Menschen, so schien es, von nichts anderem als von einem bevorstehenden Krieg. 65 Jahre zuvor hatte Victor Hugo auf dem Pazifistenkongress in Paris eine Rede gehalten, in welcher er die Idee eines vereinten Europas ohne Grenzen beschwor. Über hundert Jahre und zwei verheerende Weltkriege sollte es jedoch noch dauern, bis seine Vision Wirklichkeit wurde. Und ob dieses Europa Bestand hat, ist mehr als ungewiss.
Stimmen gegen den Krieg
Victor Hugo, der französische Sozialist und Pazifist Jean Jaurès, der am 31. Juli in Paris ermordet wurde, Bertha von Suttner, der französische Literat Jules Romains – sie alle kommen mit Texten an diesem Abend zu Wort, wenngleich oft nicht in direkter Form. Vielmehr tragen die Charaktere – eine Caféhausbesucherin, ein jüdischer Literat, eine Filmassistentin, ein Ober, eine Schauspielerin und eine als Mann verkleidete Pianistin die einzelnen Texte vor, die in eine kurzweilige Diskussion eingebettet sind. In dieser wird der Kellner mit seiner Aussage, wie denn ein Krieg verhindert werden könne, wenn schon 30 Menschen in einem Caféhaus ganz unterschiedlicher Meinung seien, schlussendlich leider recht behalten.
Ingala Fortange als Pierot in der neuesten Produktion der Schlüterwerke (Foto: Schlüterwerk)
Bis jedoch der Ausruf „Jetzt gibt es Krieg“ klar macht, dass Europa sich nun in den Abgrund stürzt, erklingen einige Lieder von Max Kowalski, einem Rechtsanwalt und Komponisten, der vor seiner Deportation nach Buchenwald in Frankfurt lebte. Als einer der wenigen, die noch während des Krieges entlassen wurden, emigrierte er nach London. Es ist Markus Kupferblum zu verdanken, dass Kowalski – als Komponist völlig vergessen – im Herbst mit einer CD rehabilitiert werden wird, die Ingala Fortange und Therese Cafasso einspielen werden. Kowalski hatte, ebenso wie Arnold Schönberg, sich Gedichte aus dem Lyrikband von Albert Giraud ausgesucht und vertont. Ingala Fortange interpretiert sie tief unter die Haut gehend als geltungssüchtiger Vamp aber auch als trauriger Pierrot und wird dabei von Therese Cafasso am Klavier begleitet. Cafasso schlüpft an diesem Abend in die Rolle eines Transkriptors von Chaplin, der seine Melodien nicht alleine zu Papier bringen konnte.
Dank Kupferblums Regie wird auch klar, wie sehr die Rolle der Frauen vor dem Ersten Weltkrieg eine gesellschaftlich inferiore gewesen ist. „Komponieren oder Regie führen das können nur Männer“ – und „als Frau hätte ich nie den Job als Pianistin bekommen“ – das sind nur wenige, aber umso charakteristischere Sätze, an denen klar wird, dass Gleichberechtigung zu jener Zeit noch auf keinem Gebiet durchgesetzt war. Aber auch, dass es ausgerechnet der Krieg sein wird, in dem Frauen zum ersten Mal Männerarbeit übernehmen werden, verkündet Julia Schranz als unerschrockene politisch denkende Frau inmitten einer von Männern dominierten Welt. Andrea Köhler als Möchte-Gern-Filmregisseurin gibt ihr schließlich auch die Chance, die Rede Bertha von Suttners zu deklamieren, welche diese bei der Verleihung des Friedens-Nobelpreises 1905 in Kristiania zu Gehör brachte.
Béla Bufe als Kellner in einem Wiener Kaffeehaus am Vorabend des 1. Weltkrieges. (Foto: Schlüterwerke)
Béla Bufe als Ober und Florian Hackspiel, der unter anderen Ausschnitte aus Victor Hugos Rede vorliest, agieren mitten im Publikum und evozieren so den Eindruck, als ob das Geschehen kein Theatrales wäre. Einspielungen von Kriegsereignissen aus dem Ersten Weltkrieg, die über die Videowand laufen, während Fortange Kowalskis Lieder interpretiert, machen deutlich, mit welch hohem Blutzoll die Menschheit jene Unvernunft bezahlen musste, die sich aus nationalistisch motivierten Abschottungen und falsch verstandener Vaterlandsliebe generierte.
Der Krieg ist nach Europa zuürckgekehrt
„Da tobt eine schwere Schlacht, die in ihrem Ausmaß alles übertrifft, was es bisher gab“. Das ist keine Aussage, die das Kriegsgeschehen im Ersten Weltkrieg kommentierte. Vielmehr stammt es von einem Militärvertreter der Ukraine, der damit die Kämpfe nahe der Stadt Krasni Liman beschrieb. Der Albtraum, der sich schon im Balkankrieg erstmals wieder zeigte, ist abermals nach Europa zurückgekehrt. Wo finden sich heute die internationalen Friedensbemühungen?
Weitere Aufführungen von Tramp`s Albtraum sind noch bis 29. Juni, jeweils Donnerstag bis Sonntag, im Souterrain des Café Korb in der Brandstätte 9 zu sehen.