Deutschlands Bauern suchen den Dialog mit der Gesellschaft, schreibt der deutsche Bauernverband in seiner jüngsten Pressemitteilung. Und weil nicht jeder zum “Tag des offenen Hofes” kommen kann oder einen ordentlichen Wochenmarkt in der Nähe hat, wo der Verbraucher mit den Bauern direkt ins Gespräch kommen könnte, dreht der Bauernverband jetzt Videos über “die realen Verhältnisse auf den Höfen, über die Arbeit auf dem Acker und in den Ställen.”
Im Mittelpunkt des neuesten Videos stehen der Milchbauer Olaf Fackiner und seine Familie aus Nordhessen. Das hat mich ein bisschen sentimental gemacht, denn bevor ich Weltbürgerin in Berlin wurde, hat es mich für wichtige Jahre meiner kindlichen Entwicklung ausgerechnet nach Nordhessen verschlagen. Bauer Fackinger geht “nachdenklich, hinterfragend, selbstkritisch, aber auch selbstbewusst auf die Entwicklung seines Betriebes und der Milchmärkte” ein. Wir erfahren, dass es bei der Arbeit der Landwirte nicht nur um schnöde Produktion von Lebensmitteln geht, sondern auch um den Erhalt der Kulturlandschaft – auch saftige grüne Wiesen und Wälder müssen gepflegt werden. Deshalb gibt es in schlechten Zeiten auch Zuschüsse von EU.
Wie kommt die Kuh aufs Dach?
Das Familieneinkommen mit der Milcherzeugung zu erwirtschaften, ist für Milchbauer Fackiner eine ständige Herausforderung. Die stellt der wackere Landwirt nicht infrage, sondern er nimmt sie tapfer an – er begreift sie als Chance, ganz so wie unsere wohlmeinende Regierung es von uns allen täglich und unter allen Umständen erwartet. Kontinuierliches Wachstum und die tägliche Weiterentwicklung der Arbeitsabläufe sind für Fackinger keine blöde BWL-Phrase, sondern eine Notwendigkeit. Wo einst mit sieben Kühen ein Auskommen war, braucht es nun 250 hochprofessionelle Milchproduzentinnen, dazu kommt die Nachzucht, was noch einmal 180 Tiere sind. Dass die gesamte Familie zu jeder Jahreszeit mit anpacken muss, ist selbstverständlich. Nur so, erklärt der Bauer, habe der Betrieb den heutigen Stand überhaupt erreichen können.
Dass das kein Zuckerschlecken ist, habe ich bei meinen Cousins und Cousinen gesehen – in meiner Elterngeneration war völlig klar, dass der ältere Bruder den Hof der Großeltern übernimmt – mein Vater war damit draußen, was für meine Familie durchaus kein Nachteil war. Ich fand es als Kind natürlich spannend, meine Ferien bei meinen Verwandten auf dem Hof zu verbringen. Aber wenn die Schule losging, war ich schon froh, nicht jeden Morgen mit den Hühnern aufstehen zu müssen, um vor der Schule noch beim Melken zu helfen, die Kühe auf die Weide zu treiben oder die Schweine zu versorgen. Landwirtschaft ist ein Knochenjob, und rückblickend bin ich auch überhaupt nicht mehr sauer auf meinen Vater, der mir ausgeredet hat, ausgerechnet Landwirtschaft studieren zu wollen.
Zurück zu Bauer Fackinger: Ganz freiwillig hätte er diese Entwicklung aber nie vorangetrieben, gibt der er zu. Aber die gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen hätten den Druck zur Anpassung befördert. Und so steht er nun weiterhin im Wettbewerb, der bekanntlich ein globaler geworden ist. Und so ist der nordhessische Landwirt auf dem Weltmarkt gelandet, auf dem er sich bewähren will und muss.
Das kann er selbst anschaulich und nachvollziehbar erklären: Durch die weltweite Konkurrenz sinken die Preise, also muss er immer billiger produzieren, um überleben zu können. Wenn er pro Liter Milch weniger Geld bekommt, muss er eben mehr Milch produzieren, um weiterhin existieren zu können. Für die Verbraucher ist das gut, weil sie die Produkte billiger bekommen – und wie wir wissen, hat die Verarmungspolitik der letzten Jahre dafür gesorgt, dass inzwischen ziemlich viele Menschen hierzulande auf billige Produkte angewiesen sind. Für die Bauern ist es schwierig, weil sie immer weiter rationalisieren müssen.
Auch der Arbeitsalltag des Bauern ändert sich: Der Landwirt sitzt nicht mehr den ganzen Tag auf dem Trecker, er wird immer mehr Manager seines Betriebs, der einen immer größeren Teil seiner Zeit am Schreibtisch sitzt bzw. unterwegs ist, um seine Interessen zu vertreten. Bauer Fackiner ist jedenfalls stolz auf sich und seinen Betrieb, weil er es bisher geschafft hat, sich in der Konkurrenz zu behaupten. Ich gönne ihm auch von Herzen, dass er sich weiterhin auf der Konkurrenz des unbarmherzigen Weltmarktes behaupten können wird. Trotzdem will ich die Frage stellen: Wäre es nicht viel angenehmer für dich, deine Familie und auch für deine Tiere, wenn du nicht für den Markt produzieren müsstest, sondern für die Versorgung der Menschen mit frischer Milch, Quark und Käse?
Wenn es nicht darauf ankäme, wieviel Cent dir von jedem Liter Milch als Gewinn übrig blieben, sondern wenn jeder Liter mehr der Gewinn für alle wäre? Wenn du nicht jede Kuh so auspressen müsstest, dass sie mit fünf Jahren ihre Leistungsgrenze erreicht hat, sondern wie die Kühe in meiner Kinderzeit ihre 20 Jahre leben könnten? Genau wie die Menschen, die heute ja auch zwar noch immer älter, aber dafür auch nutzloser werden – weshalb man ihnen ja auch keine Renten mehr zahlen will, von denen sich leben ließe. Ja, das geht jetzt ein wenig über Milcherzeugung und Landwirtschaft hinaus – aber die Fragen müssen gestellt werden. Und sie verlangen eine Antwort. Und ich halte die derzeit gegebenen Antworten für falsch.