Ein junger Moslem namens Hassan liebte eine kaum entknospte Christin namens Myriam. Der religiöse Eifer ihrer Sippen aber vereitelte ihre Vereinigung. Da die beiden sehr schön waren, nahm alles Volk an ihrem Kummer teil. Die Liebe dieser beiden hätte sein können wie die der hundertblättrigen Rose zur tausendstimmigen Nachtigall.
Dann geschah, dass Myriam vor Kummer auf den Tod erkrankte. Da machte, von so viel Leid ergriffen, einer der großen Weisen des Landes, der Wunderrabbi Schalom Mardochaj, sich auf und ging hin zu ihr, um ihr nach Kräften beizustehen. Er traf sie sterbend an. "Bestelle Hassan", so flüsterte die Schöne dem gütigen Gelehrten zu, "dass ich, um wenigstens im Jenseits mit ihm vereint zu sein, dem Christentum entsage und mich bekenne zur alleinseligmachenden Lehre des Propheten." Damit senkte sie die Neumonde der Lider über die Gebetsnischen der Augen und war entschlafen.
Schwankend unter dem Gewitter der Ergriffenheit begab sich Rabbi Schalom Mardochaj, der große Talmudist, zu Hassan, um ihm die letzten Worte der Geliebten zu bestellen. Unterwegs geriet er in einen Menschenauflauf. Ein junger Bursche hatte sich vom Minarett der ehrwürdigen Moschee gestürzt und lag sterbend auf dem Pflaster. Von einer fürchterlichen Ahnung überfallen, bebend im Gemüt, drängte Rabbi Schalom sich durch die schaulustige Menge. Er sah Hassan, der noch schwach die Lippen regte. Um die letzten Worte des Sterbenden zu hören, neigte Rabbi Schalom sich über ihn. "Bestelle Myriam", so hauchte Hassan, "dass ich, um wenigstens im Jenseits mit ihr vereint zu sein, der Lehre des Propheten entsage und im Glauben an das alleinseligmachende Christentum gestorben bin." Dann brachen seine Augen und sein Mund blieb stumm.
Da richtete der gütige und wahre Rabbi Schalom Mardochaj sich auf und sprach zum Volk: "Seht, ihr Toren! Selbst im Jenseits werden sie nicht zueinander kommen wegen dem Starrsinn, mit welchem ihr anhängt an Namen, um zu dienen dem einen und alleinigen Gott!"