Die katholische Kirche sieht sich derzeit besonderer Kritik ausgesetzt, und mir bereitet es keine Freude, auf ihr auch noch herumzuhacken. Ehrlich nicht. Aber wenn sich einer ihrer ranghöchsten Vertreter zu solch abenteuerlichen Vergleichen hinreißen lässt, kann dies nicht unwidersprochen bleiben. Mit seiner üblen Holocaust-Parallele hat der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller, der seit dem vergangenen Sommer auch Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation ist, Grenzen überschritten – und sich damit den „Klodeckel des Tages“ verdient. Müller gab unlängst zu Protokoll, er fühle sich „an eine Pogromstimmung erinnert“. Unmissverständlich verglich er die aktuelle Situation mit der systematischen Verfolgung der Juden im III. Reich. Eine die Opfer derart verhöhnende Tatsachenverdrehung haben sich seit dem Ende der Naziherrschaft hierzulande nur wenige erlaubt – und sind selten ungestraft geblieben. Aber der Kirche verzeiht man das wohl, Religion darf offenbar alles. Dabei ist die Negativstimmung keine Hetzjagd, sondern unmittelbare Folge etlicher Missbrauchsskandale, einem fragwürdigen Umgang mit eigenen Angestellten und der grundsätzlichen Haltung der katholischen Kirche zu drängenden gesellschaftlichen Fragen. Außerordentlich schwer wiegen Bischof Müllers Worte, wenn man seine besondere Rolle in der Kirche kennt: Er ist – um im Bild zu bleiben – der Propagandaminister des Vatikan. Die von ihm geleitete „Kongregation für die Glaubenslehre“, wie sie offiziell heißt, ist dafür zuständig, die römisch-katholische Kirche vor jeder Form von Aufweichung der von ihr verbreiteten Dogmen zu schützen. Sie ist direkt aus der „Kongregation der römischen und allgemeinen Inquisition“ hervorgegangen, die im späten Mittelalter auf grausamste Weise wütete: Wer sich den „Wahrheiten“ der Kirche nicht beugte, wurde brutal gefoltert und ermordet. Angesichts dieser Tatsachen verschlägt es mir die Sprache, zu sehen, mit welcher Dünnhäutigkeit der heutige Präfekt jener Glaubenskongregation, aber auch viele andere Vertreter der katholischen Kirche, allen voran der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner, „eine künstlich erzeugte Wut“ (O-Ton Müller) oder gar eine „Katholikenphobie“ (O-Ton Meisner) ausgemacht haben wollen. Anstatt sich ihrer Verantwortung für vergangene Verbrechen und aktuelle Vergehen zu stellen, flüchtet sich die katholische Kirche in die Opferrolle. Dass ihr immer offener harsche Kritik für ihr unverhohlen frauenfeindliches Weltbild und die weitgehende Diskriminierung nicht nur Andersgläubiger, sondern vor allem -denkender entgegenschlägt, legen ihre prominenten deutschen Vertreter konsequent als Blasphemie aus, die sie sich beleidigt verbitten. Wie weltfremd und verbohrt muss man wohl sein, um die Realität derart umzudeuten? Im 21. Jahrhundert ist die katholische Kirche nie angekommen. Ob sie es ins 22. Jahrhundert schafft, wird vermutlich kaum einer von uns erleben. Vielleicht ist es auch besser so.
Lesen Sie hierzu auch: Meisner beklagt “Katholikenphobie” (RP ONLINE, 09.02.2013)
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