150. Geburtstag von Lou Andreas-Salomé am 12. Februar 2011 ´
Die russische Psychoanalytikerin und Schriftstellerin Lou Andreas-Salomé stand mit zahlreichen Geistesgrößen ihrer Zeit wie Nietzsche, Wagner, Freud, Rilke sowie Künstlerinnen wie Käthe Kollwitz in Verbindung. Sie widmete sich der Erforschung und Anwendung der Psychoanalyse, der schriftstellerischen Gestaltung ihrer Lebenserfahrung und einem intensiven Austausch mit epocheprägenden Persönlichkeiten. Sie ging als eine der faszinierendsten und vielseitigsten Gelehrten des 20. Jahrhunderts in die Kulturgeschichte ein.
Lou Andreas-Salomé schreibt Romane, Theaterstücke, Essays und zwanzig Bücher über verschiedene Themen und dokumentiert so eine ganze Epoche. Früh widmet sich die Generalstochter theologischen, religionsgeschichtlichen und philosophischen Fragen, liest Kant, Leibniz, Fichte, Schopenhauer und Spinoza. Ihr erster Lehrer, ein protestantischen Prediger der holländischen Gemeinde in St. Petersburg namens Hendrik Gillot, ist fasziniert von der noch sehr jungen Frau, aber sein Heiratswunsch stört die Studien-Harmonie, zumal er bereits verheiratet ist. Lou bricht entsetzt den Unterricht ab.
1880 verlässt sie mit ihrer Mutter St. Petersburg und nimmt ein Studium an der Universität Zürich auf. Sie studiert mit solchem Eifer Theologie, Religionsgeschichte und Philosophie, dass sie aufgrund von Überarbeitung Heilung im Süden suchen muss. In Rom begegnet Lou der Schriftstellerin Malwida von Meysenbug, in deren Salon literarische und philosophische Themen diskutiert werden, aber auch die Emanzipation der Frau. Der Grundstein für ein Leben jenseits der Konvention in Freiheit und Selbstbestimmung ist gelegt.
In Rom lernt Lou den Philosophen und späteren Arzt Paul Rée und Friedrich Nietzsche kennen. Beide Männer verlieben sich in die hochgebildete, interessante und schöne Frau. Ihre Heiratsanträge lehnt Lou ab. 1882 geht Lou mit Paul Rée eine platonische Beziehung ein und bezieht mit ihm eine gemeinsam Wohnung in Berlin. Hier verkehrt sie in einem Kreis von anregenden Gelehrten und Künstlern. Sie schreibt Romane, Rezensionen und Kritiken, religiöse und philosophische Artikel, auch um ihre Existenz zu sichern. Finanzielle Unabhängigkeit ist ihr wichtig.
1887 geht sie eine Ehe mit dem Iranisten und späteren Göttinger Professor Friedrich Carl Andreas ein, wiederum eine rein geistige Verbindung. Obwohl eine Ehe ihr zutiefst widerstrebt, wirkt Andreas unwiderstehlich auf sie. Die Ehe wird von einer herzlichen Freundschaft getragen, Lous spätere Liebesbeziehungen zu Männern gefährden die Verbundenheit mit Andreas nicht.
Die bekannteste leidenschaftliche Liebesbeziehung Lous ist die der 35jährigen zu dem 21jährigen Rilke. Sie reist mit ihm zweimal nach Russland, mit dem erfolglosen Wunsch, Leo Tolstoi zu besuchen. Die Liebesbeziehung währt bis 1900. Alle Liebesgedichte Rilkes bis zu diesem Jahr sind Ausdruck seiner Liebe zu Lou. Der freundschaftliche Kontakt bleibt bis zu seinem frühen Lebensende bestehen.
Lou bereist fast alle europäischen Großstädte und trifft bekannte Persönlichkeiten ihrer Zeit. Sie selbst ist inzwischen eine berühmte Schriftstellerin geworden.
Innige Freundschaft pflegt sie mit der vielgelesenen Schriftstellerin Frieda von Bülow und mit Helene Klingenberg. Helene verkörpert für Lou ihren Gegenpol - die harmonisch in sich ruhende Mutter und Ehefrau. Deren Kinder betreut sie später psychoanalytisch. Lou ist zudem mit fast allen bedeutenden Frauenrechtlerinnen ihrer Zeit persönlich bekannt: mit Ellen Key, Helene Lange, Helene Stöcker, Rosa Mayreder, Hedwig Dohm, Marie Lang und Anita Augspurg. Den Feministinnen ist Lou Andreas-Salomé mit ihrer selbstbestimmten Lebensführung und Missachtung von Konventionen sehr willkommen. In ihrem literarischen Werk jedoch tritt Lou keineswegs für die Frauenemanzipation ein. Die Frauengestalten, die im Beruf »ihren Mann« stehen, erfolgreich und unabhängig sind, leiden meist an einer unerfüllten Liebe zu einem Mann. Die von Lou als emanzipiert dargestellten Frauen sind oft unglücklich oder negativ überzeichnet. Die wichtigste Tugend der Frau ist laut Lou Demut dem Manne gegenüber, dem sie sich freiwillig und bereitwillig unterordnet. Das Pendant zur devoten Frau ist der patriarchalische Mann, der die Frau formt, leitet und bildet.
Lou nimmt für ihr Leben eine Autonomie und Glücksvorstellung in Anspruch, die sich noch nicht literarisch widerspiegelt. Sie bekennt sich freimütig zur Unwissenheit über die Frauenbewegung und sieht sich selbst als Monade, unabhängig, aber nicht im Zusammenhang einer gesellschaftlichen Entwicklung, die ihr eigenes Frauenbild für viele verwirklicht sehen möchte.
Die bekannte Schriftstellerin tritt in psychoanalytische Kreise ein, liest Freud, Adler und C. G. Jung. Der Freudschüler Karl Abraham vermittelt ihr Zugang zu Freud, und sie nimmt an dessen Vorlesungen in Wien und an der Mittwoch-Gesellschaft, einem illustren Arbeitskreis, teil, zu jener Zeit als einzige Frau. Seit 1912 erlernt Lou die Psychoanalyse aus erster Hand. Sie ist mit allen zeitgenössischen Psychoanalytikern bekannt und wird sehr geschätzt. Ab 1913 ist sie als Psychoanalytikerin tätig, ohne selbst eine klassische Lehranalyse absolviert zu haben. Sie lebt als Therapeutin und Verfasserin psychoanalytischer Schriften. Fast ein Vierteljahrhundert wechselt sie Briefe mit Freud und pflegt eine freundschaftlich-zarte Beziehung zu seiner Tochter Anna Freud.
Am 5. Februar 1937, kurz vor ihrem 76. Geburtstag, stirbt Lou an den Folgen ihrer Diabeteserkrankung.
Originalzitat Lou Andreas-Salomé: „Das Leben zu lieben ist das einzige, aber probate Mittel vom Tod verschont zu sein.“
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Original-FemBiografie zu Lou Andreas-Salomé von Sibylle Duda auf http://www.fembio.org. Bearbeitung Evelyn Thriene, 08.02.2011. FemBio Pressestelle, Zähringerplatz 11, D-78464 Konstanz