Von der Grossmutter verkauft

Von Frauenblog @frauenblog

Mara Radovanovic kämpft in Bosnien gegen Mädchenhandel. Oft ist ihr eigenes Leben dabei in Gefahr. Mara Radovanovic raucht eine Zigarette nach der anderen. Schnell füllt sich der Aschenbecher mit braunen Kippen, die sie so energisch ausdrückt, wie sie wohl gerne auch die Männer wegräumen würde, gegen die sie kämpft. Männer, die Frauen misshandeln, junge Mädchen zur Prostitution zwingen und sie als menschliche Ware feilbieten. Menschenhändler. Sie sind Maras Widersacher. Die 63-Jährige ist eine mutige Frau: Sie kämpft in Bosnien gegen den Handel von Mädchen.

Nach dem Ende des Bosnien-Krieges gründete Mara Radovanovic zusammen mit einer Freundin die Organisation Lara, die heute von CARE unterstützt wird. „Ein romantischer Name, aus dem Film Doktor Schiwago“, so Mara über Lara. Doch mit Romantik hat ihre Arbeit nichts zu tun. Eher mit purer Gewalt: Im Lara-Frauenhaus finden misshandelte Frauen und Mädchen Schutz. Viele der Opfer sind Roma, eine diskriminierte Minderheit auf dem Balkan. Sie werden oft schon in jungen Jahren zur Prostitution gezwungen, unter brutalen und unmenschlichen Bedingungen. Mara erklärt, wie es abläuft: „Vor allem junge Mädchen, die aus armen Familien kommen, werden mit teuren Geschenken beeindruckt. Ein Mann schenkt also einem Mädchen ein Handy oder Kosmetik, etwas, was sie sich sonst nie leisten könnte. Nimmt sie diese Geschenke an, dann erpresst er sie und droht ihr, den Eltern zu erzählen, dass sie eine Hure sei und für diese Geschenke mit ihm geschlafen habe. Für die jungen Frauen aus traditionellem Umfeld eine Schmach.“ Damit haben die Frauenhändler die Mädchen in der Hand, so erpressen sie sie und treiben sie zur Prostitution. Sind sie einmal in diesen Zirkel des Zwangs hineingeraten, kommen die Mädchen schwer wieder hinaus. Mara zündet sich eine neue Zigarette an. Sie hält kurz inne, erzählt weiter: „Mädchen, die sich von Geschenken nicht beeindrucken lassen, werden unter Drogen gesetzt. Das läuft so ab: Die Frauenhändler mischen Drogen in ein Getränk und betäuben das Mädchen damit. Dann wird sie in einem Zimmer vergewaltigt und dabei gefilmt. Schließlich drohen die Menschenhändler dem Mädchen, dieses Video den Eltern oder Lehrern zu zeigen. So bekommen sie sie schnell in die Hand.“

SWETA, BEWACHT RUND UM DIE UHR

Das Frauenhaus von Lara, dessen Adresse streng geheim bleiben muss, ist seit drei Monaten das sichere Zuhause von Sweta. Dort wird sie rund um die Uhr bewacht. Mit ihren 17 Jahren hat das Roma-Mädchen so viel Verrat, Misshandlung und Schmerz kennengelernt, dass es erstaunt, wie wenig verbittert sie wirkt. Stockend beginnt Sweta, die im richtigen Leben anders heißt, von ihrem Leben zu erzählen. Sie bricht immer wieder ab. Mit Beherrschung wischt sie sich die Tränen aus den Augen, zieht die Schultern nach hinten. Sie streicht ihre langen schwarzen Haare aus dem Gesicht, atmet tief ein und holt erneut aus: „Als ich 14 Jahre alt war, lebte ich bei meiner Großmutter. Meine Mutter war psychisch krank und konnte sich nicht um mich kümmern. Meine Großmutter sperrte mich immer wieder in einen Raum. Mit Männern. Ich konnte nichts tun. Meine Großmutter hat allen Verwandten erzählt, was für ein schlechtes Mädchen ich sei. Die ganze Familie hat mich verstoßen. Dann hat mich meine Großmutter an meinen Lehrer verkauft.“ Sie bricht ab und weint kurz. Schaut ihre Beschützerin Mara an, die ihr aufmunternd zunickt. „Im Frauenhaus von Lara fühle ich mich zum ersten Mal sicher“, sagt Sweta gefasst und lächelt. „Mara und die anderen Betreuerinnen kümmern sich um mich, sie sind mein ganzer Schutz.“

Bestürzende und traurige Geschichten wie jene von Sweta sind Maras Alltag. Der Handel mit Mädchen ist ein lukratives
Geschäft auf dem Balkan, das sich oft bis in hohe politische Kreise zieht. Die Menschenhändler kennen ihr Handwerk und
agieren über die Landesgrenzen hinweg, doch nur selten werden die Drahtzieher verhaftet und angeklagt. Mit ihrem Engagement schafft sich Mara viele Feinde. „Vor ein paar Jahren wurde ich von einem Nachtclub-Besitzer bedroht“, erzählt die ehemalige Anwältin. „Er hat ein paar kräftige Männer geschickt, die mich einschüchtern sollten. Doch mir half ein Kommandant der internationalen Schutztruppen, heute ist der Kriminelle im Gefängnis.“ Andere Frauen-händler versuchten sie mit öffentlichen Drohungen einzuschüchtern. Doch Mara Radovanovic lässt sich nicht entmutigen davon. Sie hat sich einen Schutzring zugelegt, lokale Medien und Anwälte decken sie. Auch CARE hilft aus, das Frauenhaus zu leiten und Maras Arbeit regional mit anderen Frauenorganisationen zu vernetzen. Einzig die Zigarettensucht zeigt, dass auch an Mara Radovanovic Lebensgeschichten wie jene von Sweta nicht spurlos vorbeiziehen.

EIN NEUER ANFANG

Ranghohe Politiker waren auch bei Sweta im Zimmer. Dennoch lässt sich die 17-Jährige nicht mehr einschüchtern: Sie  will vor Gericht ziehen und Gerechtigkeit für ihr missbrauchtes Leben fordern. Sie will einen neuen Anfang. Derzeit lernt sie mit einem Privatlehrer für ihren Schulabschluss, nach drei Monaten spricht sie bereits gutes Englisch. Swetas Mut ist beeindruckend – sie ist nicht zerbrochen an ihrem Schicksal, sondern schöpft neue Kraft aus der Chance, die Mara ihr bietet. „Ich möchte gerne Polizistin werden. Oder mit Kindern arbeiten“, sagt Sweta. Dann steht sie auf; es ist Zeit, wieder ins bewachte Frauenhaus zurückzukehren. Sie hofft auf ein Stipendium, mit dem sie ein Studium finanzieren kann, an einem Ort, weit weg von ihrer Vergangenheit. Mara glaubt, dass Sweta es schaffen wird: „Sie ist ein kluges Mädchen, sie hat Ehrgeiz.“ Und während Sweta zu ihrem neuen Leben findet, wird Mara weiterhin für die anderen Mädchen da sein, die in den Hinterzimmern der Hotels, Bars oder Nachtclubs gefangen sind und Tag für Tag misshandelt werden. „Man kann sich nicht vorstellen, was diese jungen Mädchen durchmachen müssen. Das ist die schlimmste Form der Gewalt.“ Dieses Wissen nährt Maras Motivation. „Es ist eine gefährliche Arbeit. Aber wenn wir es schaffen, ein Mädchen wie Sweta zu retten, dann entschädigt das für alle Gefahren. Darum mache ich diesen Job.

Aus: care_affair  / care.de