Mittwoch 3. Juni 2015. Von Le Cergne über Charlieu und Pouilly-s-Ch. nach Briennon.
Nach einem prima Frühstück verabschiede ich mich von Martine, wandere durch Le Cergne und dann gleichmäßig abwärts.
An der Kapelle Le Calvaire mache ich eine erste Rast. Neben der kleinen Kirche aus dem 17. Jahrhundert stehen die drei Kreuze, die an das Geschehen von Golgotha erinnern sollen.
Im Wald scheint die Sonne an manchen Stellen bis auf den Boden. Und genau in diesen „Sonnenflecken“ sitzen unzählige Fliegen. Offenbar können Sie hier „Sonne tanken“ und sind dennoch im kühlen, windstillen Wand. Der Weg führt mich durch grüne Pfade mit meterhohem Gras, unterhalb von Arcinges vorbei durch die Wiesen. Weit hinter mir liegt das massige St-Rigaud-Massiv. Nun verlasse ich die Berglandschaft endgültig.
Der Weg führt in einer verwinkelten Landschaft mal bergauf und mal bergab. Bei der Brücke Le Pont de Fer ist ein Café. Hier hätte ich Rast gemacht; doch die ungeheuere Unordnung auf dem ausgedehnten Grundstück dahinter hält mich eindeutig davon ab.
Schon geht der Weg wieder aufwärts, ein spannendes Waldstück folgt, danach ein steiler Anstieg. Unter schattigen Bäumen setze ich mich an den Straßenrand zu einer Rast. Die Hitze ist heute sehr deutlich spürbar. Immer näher kommt die flach scheinende breite Talniederung der Loire, das Roannais, das nach der südlicher liegenden Stadt Roanne benannt ist.
Ein langes Straßenstück und ein steiler Abstieg folgen. Nach der Brücke über den Sornin bin ich in Charlieu angekommen. Die Hitze setzt mir zu. Ein Schild informiert, dass es noch 1890 km bis Santiago de Compostela sind.
Charlieu, das bereits 994 erstmals erwähnt wurde, ist ein herrlich mittelalterliches Städtchen. Es ist etwa 14 Uhr und ich setze mich an einen der Tische vor dem Restaurant Cotte et Saveurs an der Place de la Bouverie. Wenigstens etwas zu trinken bekomme ich um diese Zeit noch. Und das ist das Wichtigste. Und einen kleinen Schwarzen hinterher, damit mich diese lähmende Wärme nicht vollends einlullt. Nun führt mich der Weg in die lebendige Altstadt, vorbei an der Kirche St-Philibert im burgundisch-gotischen Stil und dem Kino.
Im Maison de Pays, erbaut mit diesen typischen gelben Steinen, informiere ich mich über die Besichtigung des Klosters St-Fortunat. Und erfahre einige Meter weiter vor Ort auch gleich dessen besondere Geschichte: 872 bauten hier die Mönche die erste Kirche für ihr Kloster von „Cher-Lieu“. Die Abtei wurde der Herrschaft von Cluny unterstellt. Vor 1040 baute man eine dreischiffige Kirche, riss sie um 1109 wieder ab um Platz für ein größeres Bauwerk zu schaffen. Die Stadt wurde rundum mit Wehrmauern und Türmen befestigt. Die Abtei St-Fortunat war eine recht bedeutende Station des Jakobsweges an einer Nebenroute der Via Lemovicensis. Im Hundertjährigen Krieg und während der Französischen Revolution wurde das Kirchengebäude fast vollständig zerstört. Eine Amerikanerin, Miss Sunderland, setzte die 1926 begonnenen Ausgrabungen in den 50er Jahren fort. Dabei konnten wie Fundamente der drei aufeinander folgenden Kirchen freigelegt werden.
Der Vorraum und der Kreuzgang sowie das „Steinmuseum“ lassen sich besichtigen. Ich bin froh, eine Zeitlang den Rucksack absetzen zu können.
An der Ostseite des Kreuzgangs bildet eine romanische Säulenformation mit tragenden Massivbögen den Übergang zum Kapitelsaal. Die Säulen sind entweder Reste der Kirche oder ein Teil des Chorumganges der zweiten Kirche gewesen. Je nach Lichteinfall bzw. Blickrichtung – von innen zum Kreuzgang oder umgekehrt – zeigt das Gestein eine andere Färbung.
In einer Vitrine sind zwei besonders bemerkenswerte Kapitelle: Das eine zeigt zwei Personen, die sich in die Arme schließen. Das andere zeigt eine zusammengekrümmte Person, die die Nase zu bewegen scheint.
In der ersten Etage des noch erhaltenen Kirchenvorraums aus dem 12. Jahrhundert fallen wieder einzelne Kapitelle auf: Da findet man den Kopf eines Monsters, eine Teufelsfigur und zwei wunderschöne Kapitelle mit einer Sonne und einem Mond (Tag und Nacht – zwei Symbole für Gut und Böse).
Der Kreuzgang entstand in den Jahren 1460 – 1470 und wurde während des 19. Jahrhunderts stark beschädigt. Der gelbliche Stein der Region verleiht dem Kloster einen ganz eigenen Reiz.
Da mir noch etliche Kilometer bevorstehen, beende ich den Besuch zügig. Schon einige hundert Meter weiter – außerhalb der ehemaligen Stadtmauern, komme ich zum Couvent des Cordeliers. Dieses wurde 1280 gegründet. Und zwar von Franziskanern, die mit den Benediktinern im Streit waren.
1360 – gegen Ende des Hundertjährigen Krieges – wurde es zerstört und später wieder aufgebaut und nach der Vertreibung der letzten drei Mönche 1792 endgültig geschlossen. Die Gebäude wurden als Staatsgüter verkauft, zerstört oder in Scheunen und Wohnungen umgebaut. 1910 wurde der Kreuzgang an einen Amerikaner verkauft, der damit seinen Tennisplatz schmücken wollte. Kaum zu fassen! Nachdem man das Dach bereits abgetragen hatte, wurde der Kreuzgang 1913 im letzten Augenblick unter Denkmalschutz gestellt. Auch hier treffe ich wieder auf dieses faszinierende Gestein, das je nach Lichteinfall mehr oder weniger gelblich erstrahlt.
In der ehemaligen Kirche erstaunt mich das Dachgebälk aus dem 17. Jahrhundert. Damals war es wahrscheinlich nicht zu sehen, da noch ein Zwischengeschoß eingezogen war. Am Ende der Gotik wurde diese Kirche vollständig ausgemalt. Seit 1989 wird sie konserviert und instand gesetzt.
Der weiter Weg führt nicht etwa wie die Straße in der Ebene weiter, sondern erklimmt noch den einen oder anderen Hügel. Am Horizont wandern weiße Charolais-Rinder im Gänsemarsch. Greifvögel ziehen mit ausgebreiteten Schwingen durch die Lüfte. Hinter dem Zaun eines Einfamilienhauses gleitet eine Frau in das Blau ihres Swimmingpools. Ich träume in meinem naß geschwitzten Hemd von kühlenden Fluten. Bevor es endgültig hinab in die flimmernde Loire-Ebene geht, ergibt sich von dort oben aus noch ein herrlicher Blick auf das Loiretal. Entlang der Bergkette im Hintergrund werde ich in den kommenden Tagen wandern.Und ganz links da hinten: das könnte nochmal das Mont-St-Rigaud-Massiv sein…
Bald komme ich dem großen Fluss hinter Pouilly-sous-Charlieu näher. Endlos und glutheiß zieht sich der Camino entlang der stark befahrenen Straße zur lang gezogenen Loirebrücke, die auch noch den Roanne-Digoin-Kanal überquert. Am Kanal fuhr ein Radfahrer, seinen Hund an der Leine – und dieser schwamm im Wasser. Eine falsche Bewegung und er kippt mitsamt Fahrrad ins Wasser. Ich würde an seiner Stelle sicherheitshalber vom Rad steigen…
Gut zu wissen: Die Loire ist der größte der zum Atlantik fließenden Ströme in Frankreich. Sie entspringt im Zentralmassiv und fließt 1004 Kilometer lang bis sie bei St-Nazaire in den Atlantik mündet. Im Unterlauf ist sie noch heute ein frei fließendes Gewässer, da es keine Schleusen oder Staudämme gibt, die ihren Lauf beeinflussen. Der Jakobsweg wird sie auf ihrer westlichen Seite ein ganzes Stück flussaufwärts begleiten.
Nun stehe ich in Briennon und gehe erstmal in die nächste Bar: zwei Panachés finden zischend ihren Weg! Nun bin ich auf der Suche nach dem Quartier. Ein rotes Haus mit blauen Fensterläden. Ich bin auf der Straße nach Norden unterwegs. Aber keines der Häuser entspricht der Beschreibung. Als ich schon nicht mehr dran glaube und gut zwei Kilometer weit gelaufen bin, stehe ich davor „Les Heures claires“ nennt sich das Haus. Catherine Delabre empfängt mich freundlich und zeigt mir Zimmer und Dusche. Doch erst ein kühles Wasser! Herrlich.
Im Haus herrscht eine angenehme Atmosphäre. Gemeinsam mit ihrem Mann essen wir draußen vor dem Haus zu Abend. Es gibt Tomaten, Eier (von den eigenen Hühnern), Zwiebeln und eine prima Vinaigrette. Als Hauptspeise Saucisse de Lyon (ähnlich einer groben Bratwurst) mit Kartoffeln. Nach dem Käsegang folgt ein Obstsalat.
29,0 km 2,8 km/h 10:22 847 hm 1268 hm 292,4 km.
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