Von China lernen heißt, erziehen lernen...

Amy Chua, Jura-Professorin in Yale, beschreibt in ihrem Buch "Die Mutter des Erfolgs", wie sie ihre Töchter drillte und schindete, um den bestmöglichen Erziehungserfolg zu verwirklichen. Bedrängnis und Einengung umschreibt sie als erzieherisches Stilmittel. Kinderseelen müssen unbedingt gebrochen werden, nur so würden sie zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft. Gute Zensuren waren für Chua unerheblich, nur sehr gute Zensuren wurden von ihr akzeptiert - so habe sie es bei ihren Töchtern praktiziert: bei der älteren mit Erfolg, bei der jüngeren musste sie ihre harte Gangart überdenken.
Das hat in den Vereinigten Staaten eine Kontroverse ausgelöst. Chua beschreibe in ihrem Buch das asiatische Erziehungsideal, bei dem Individuen wenig, das Kollektiv alles gilt. Tatsächlich könnte man auch behaupten, dass das Kollektivdenken der chinesischen Gesellschaft, keine Leistung des Kommunismus (so er denn noch einer ist!) darstellt, sondern bereits vormals dort verankert war - Japan war ja nie kommunistisch, aber auch dort denkt man kollektivistischer als in Europa oder Nordamerika. Es käme daher im asiatischen Raum nur sehr wenig auf individuelle Bildungsmethoden an - die Gemeinschaft wird gebildet und daher muß der individuelle Trieb gezähmt und kanalisiert werden. Hier setzen Erziehungssadismen an, die Chua beschreibt: das einzelne Kind ist nichts, es hat seinen kindlichen Willen abzulegen und sich den elterlichen Vorgaben unterzuordnen - nebenher sichere das den Erfolg des Kindes und bereite diesem eine wohlige Zukunft.

Diese Erziehungsgrundlage, die auf Druck und Drangsal baut, zeitigt in China augenscheinlich Erfolge - brav ins Kollektiv integrierte Kinder, Humanroboter, die nicht frei denken, sondern mittels Terror in Schablonen gepresst werden, erklären die eine Seite des chinesischen Booms. Staatsbürger, die in Schulen vermittelt bekommen, immer die Klappe zu halten, wenn Autoritäten sprechen, werden sich niemals für Arbeitnehmerrechte, Umweltschutz oder Menschenrechte engagieren - wer es doch tut, der muß irgendwie durchgerutscht, dem Staat durch die Finger gegangen sein, wird daher zum Staatsfeind. Das menschenverachtende Erziehungswesen, das Chua beschreibt, das sie jedoch selbst nochmals überdenkt und teilweise karikiert, wird in den Vereinigten Staaten einerseits verteufelt, andererseits als Markstein zu einer neuen, erfolgreichen Bildungsoffensive gesehen; Neocons innerhalb der wankenden Weltmacht glauben inbrünstig, dass der Weg zurück in reaktionäre Bildungsmodi, die USA - die westliche Welt generell - zurückführen kann in die wirtschaftliche Erfolgsspur.
Glaubt man jenem Hype, der derzeit um dieses Buch betrieben wird, so steht die westliche Welt am Scheideweg. Entweder humanistisches Bildungsideal oder antiquierte Drillmethoden bei der Erziehung und (Aus-)Bildung von Kindern. Aufklärung gegen Zuchtmeisterei; Humanismus gegen Tortur; westliches Menschenbild, innerhalb dem die Kindheit als schützenswerter Raum betrachtet wird, gegen ein Menschenbild, in dem die einzelne Person farbloser Erfüllungsgehilfe ist. Da treffen (Geistes-)Welten aufeinander, die nicht kompatibel erscheinen und womöglich auch nicht sind. Dennoch gibt es unter Konservativen auch hierzulande Zustimmung, wenn Erziehungsmaßstäbe gefordert werden, die an Chuas erinnern - manchmal hat man den Eindruck, dass etwaige Konservative den Humanismus und dessen Bildungsideal für Teufelswerk halten, das den wahren Erziehungskanon (etwa sowas wie: "... hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder, flink wie Windhunde...") leider außer Kraft gesetzt habe.
Gerät die westliche Welt, die einst von den Segnungen aufklärerischer Geister befruchtet wurde, weiter ins ökonomische Hintertreffen, dabei weiterhin penibel auf Irrlehren bauend wie jener, dass der Profit das einzige lebenswerte Ziel einer Gesellschaft ist - wobei Gesellschaft als eine Art nationales Unternehmen gesehen wird! -, dann werden auch solche Stimmen lauter, die meinen, den Individualismus als schuldigen Ungeist der Misere entlarven zu müssen. Dann hört man vielleicht Sprüche wie: von China siegen lernen heißt, erziehen lernen! Das asiatische Erziehungsmodell schockiert uns auch deshalb, weil wir ahnen, dass eine rundum ökonomisierte Welt solcherlei Erziehungsmethoden eigentlich befürwortet - sie erduldet humanistische Ansätze nur, sie liebt sie nicht; der Drill wäre ihr lieber, denn mit gedrillten Menschen lassen sich Geschäfte machen...

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