Finanzwirtschaftliche Interessenvertretung in Zeiten der Krise
Die angeblich anonymen Märkte bestehen aus Akteuren mit Gesichtern und Namen. Viele dieser Namen spielten nicht nur eine entscheidende Rolle bei der Etablierung einer Finanzordnung, die zur seit Jahren anhaltenden Krise führte. Sie bestimmen das Handeln der Politik, schreiben Gesetze oder bilden gleich selbst die Regierung. Ein Gastbeitrag von C. Misson
„Ich fange vielleicht mit einer kurzen Bemerkung zu dem an, was Herr Ackermann eben zum Schluss gesagt hat. Ich persönlich neige als nicht ausgebildete Finanzwissenschaftlerin dazu, Ihrer Argumentation zu folgen, die ja nicht nur von Ihnen, sondern von vielen dargelegt wird. Ich habe es aber in meiner politischen Arbeit noch nicht erlebt, dass parallel zu einer Veranstaltung wie dieser Veranstaltung und parallel zu dieser Argumentation eine sich auch für eine Fachwelt haltende, ähnliche Gruppe um 180°Grad andere Thesen vertritt. (…) Hier im Deutschen Bundestag macht es sich ja kein Abgeordneter leicht. Aber unter diesen sich widersprechenden Botschaften die richtige Antwort zu finden, ist wirklich (…) nicht einfach“ (1) Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem „Kongress zur Finanzmarktregulierung nach der Krise“ der CDU/CSU-Fraktion am 29.06.2011
Natürlich hat Angela Merkel am Ende die richtige Antwort gefunden. Zumindest aus Sicht von Josef Ackermann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank. Der dann im Juli beschlossene Schuldennachlaß für Griechenland in Höhe von (lt. Berechnung der Banken) 21% bewahrte die Geldinstitute nahezu vollständig vor realen Verlusten und sicherte dafür die Anleihen zu 50% mit öffentlichen Mitteln. An der Börse reagierten die Banktitel auf das „große Opfer“ mit steigenden Kursen. Die Beschlüsse der europäischen Staats- und Regierungschefs waren im Wortlaut einer Vorlage des Internationalen Bankenverbandes IIF gefolgt. (2) Dessen Präsident Ackermann wurde für diesen Einsatz im vergangenen Dezember die Lobbykratiemedaille von LobbyControl verliehen.
Herr Ackermann sorgt seit Jahren dafür, dass die Kanzlerin und ihre Regierung in finanzpolitischen Fragen stets die richtigen Antworten finden. Seit ein Abendessen im Kanzleramt anläßlich seines 60. Geburtstages für einigen Unmut sorgte, gibt man sich öffentlich allerdings eher distanziert. Auf obigem Kongress reicht man sich rhetorisch „nur ungern die Hand“ (1), die Süddeutsche vergleicht ihre Beziehung mit einer „schlechten Ehe“ (3), „Bild“ diagnostiziert im Oktober letzten Jahres gar eine „neue Eiszeit“ (4).
Hinter diesen medialen Nebelkerzen ist der Kontakt eng und effizient. Zum Beispiel in der Initiative Finanzstandort Deutschland. Die 2003 zwecks Deregulierung des deutschen Finanzmarktes gegründete Initiative versammelte unter ihrem Dach neben der Creme des privaten deutschen Kreditwesens und Morgan Stanley als Vollmitglieder auch Genossenschafts- und Landesbanken, die KfW, die unabhängige Bundesbank und das Bundesministerium für Finanzen. Assoziierte Mitglieder waren u.a. JP Morgan, UBS, Goldman Sachs und Lehman Brothers. Sprecher: Josef Ackermann.
Alexander Dill vom Basel Institute of Commons and Economics auf telepolis:
„Die Initiative, die ursprünglich Kapital nach Deutschland holen sollte, verkehrte sich in ihr Gegenteil: Die zahlenden Global Player aus New York schwatzten den deutschen Geschäfts- und Landesbanken wertlose Papiere auf oder nutzten sie als willige Vertriebskräfte. (…) Am 15.9.2008 wurde durch die Lehman-Pleite allen Beteiligten klar, dass das verworrene System der Rückversicherungen nun zerbrechen könnte. Asmussen und Steinbrück erarbeiteten in Rekordzeit ein Rettungsprogramm, das vom Deutschen Bundestag am 15.10.2008 verabschiedet wurde: Das sogenannte Finanzmarktstabilisierungsgesetz (…) Nachdem sie (die Global Player, d. V.) zunächst für Dutzende Milliarden Schrottpapiere an ihre dummen deutschen Kollegen verkaufen konnten, unter den Augen von Bundesbank und Finanzministerium, werden deren Verluste nun auch noch vom deutschen Staat getragen.“ (5)
Sprecher Ackermann bedankt sich im Dezember 2008 im Namen der Initiative dann auch artig bei der Bundesregierung für die finanzielle Unterstützung.
Im Juni 2011 transformierte die Initiative Finanzstandort Deutschland zum Dialogforum Finanzstandort Deutschland und soll ab nun laut einer Pressemitteilung des Bundesverbandes deutscher Banken
„unter der Federführung der Verbände der Versicherungswirtschaft und der Kreditwirtschaft arbeiten. (…) Im Mittelpunkt steht der Dialog über marktnahe und praxisbezogene Themen mit den Dialogpartnern Bundesministerium der Finanzen und Deutsche Bundesbank.“ (6)
Letztere sind allerdings nicht mehr offizielle Mitglieder. Dem Dialog der Partnersollte das keinen Abbruch tun, zumal die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Markt und Legislative auf vielen Wegen erfolgt. So leiht die Kreditwirtschaft ihre Experten auch gern mal für längere Zeit an die Bundesministerien aus. Was Wege spart. Oder bedient die Europaabgeordneten in Brüssel mit fertigen Gesetzesvorlagen, wie das ARD-Magazin Monitor am 25.08.2011 berichtete. (7) Im gleichen Bericht erzählt Yiorgos Vassalos von der Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory, dass von den 260 Experten, die die Europäische Kommission auf deren Einladung zur Finanzgesetzgebung beraten, 200 direkt von der Finanzindustrie kommen.
Die Goldman-Regierung
Als im November letzten Jahres bekannt wird, dass der bisherige Finanzvorstand der Allianz Paul Achleitner Aufsichtsratsvorsitzender derDeutschen Bank werden soll, lobt die FAZ:
„Zudem ist Paul Achleitner so gut vernetzt in der deutschen Industrie, in der internationalen Bankenwelt und in der Politik wie kaum einer. Der Österreicher gehört zum inneren Zirkel von Managern, die das Bundeskanzleramt seit der ersten Finanzkrise 2008 regelmäßig um Rat angeht. Die Versicherungslösung, wie man die Mittel des Europäischen Rettungsschirms hebeln kann, stammt aus seiner Feder.“ (8)
Nun, laut anderer Quellen haben da wohl auch noch der künftig zu beaufsichtigende Deutsche-Bank-Vorstand Anshu Jain und die Brüsseler Beratungsfirma Re-Defining des schon vor der Krise geläuterten Ex-Lehman-Mitarbeiters Sony Kapoor mitgearbeitet, aber das schmälert Achleitners Verdienst natürlich nicht. Als seine Nominierung bekannt wird, ist Paul Achleitner laut Focus (9) übrigens nicht erreichbar. Er trifft sich zu Beratungsgesprächen mit Finanzbeamten im Élysée-Palast.
Der so gut vernetzte Achleitner, bei der Allianz für 450 Milliarden € Anlagevermögen verantwortlich, machte vorher Karriere bei einer anderen inzwischen systemrelevanten und damit staatlich vor Pleite geschützten Institution. Er war einer von 221 Partnern der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs bei deren Börsengang 1999 (Erlös: 3,6 Milliarden Dollar) und zuletzt dort Deutschland-Chef.
Goldman Sachs ist berühmt für seine hervorragende Lobbyarbeit, im angelsächsischen Raum spricht man mehr oder weniger gern von „the Goldman Government“. So war Ex-CEO Henry M. Paulson von 2006 bis 2009 US-Finanzminister. Unter Amtskollege Robert Rubin (1995-99) kam es zur Aufhebung des „Glass-Steagall Act“, der die Trennung von Kredit- & Investmentbanken vorschrieb. Rubin arbeitete 1964 bis 1992 für Goldman Sachs, nach seinem Rücktritt als Finanzminister fand er ein Auskommen bei der Citigroup. Die Fusion von Travelers Group und Citicorp zur Citigroup, ebenfalls eine von 29 „systemically important financial institutions“, war erst durch die Annullierung des „Class-Steagall Act“ möglich geworden. Heute gehört Robert Rubin zum engeren Beraterkreis von Präsident Barack Obama.
In Europa verpflichtete Goldman Sachs beispielsweise 2007 den ehemaligen Chefökonom der Europäischen Zentralbank (EZB) Otmar Issing als Berater. Im Oktober 2008 übernahm Issing auch den Vorsitz einer Expertengruppe, die für die Bundesregierung Vorschläge zur Reform der Finanzmärkte entwickeln sollte.
Der seit dem 1. November des vergangenen Jahres amtierende Präsident der EZB Mario Draghi, gleichzeitig Vorsitzender des Europäischen Systemrisikorates ESRB, war 2002 – 2005 Vizepräsident bei Goldman Sachs London. Allerdings verkaufte er seine Anteile vor dem Wechsel zur italienischen Zentralbank, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Kurz nach Draghis Amtsantritt beschließt die EZB eine Bankenhilfe, die die „Wirtschaftswoche“ am 22.12. als „historisch“ bezeichnet:
„Danach dürfen sich etwa 6000 Institute der Euro-Zone drei Jahre lang für den Zinssatz von nur 1 Prozent so viel Geld bei der EZB leihen, wie sie wollen. Einfach so und indem sie der EZB Sicherheiten zur Verfügung stellen, die zum Teil nur sie als solche akzeptiert.“ (10)
Rund 500 Milliarden Euro gehen innerhalb kürzester Zeit über den Tisch.
Ein anderer Goldman Sachs-Berater aus Italien ist inzwischen in Personalunion Ministerpräsident, Wirtschafts- und Finanzminister sowie Senator auf Lebenszeit: Mario Monti. Der „Experte und Nicht-Politiker“ war auch schon EU-Kommissar, 1995-99 für den Binnenmarkt, anschließend bis 2004 für Wettbewerb. Monti, der für seinen Dienst an der italienischen Bevölkerung auf Entlohnung verzichtet, dürfte im Rahmen anderer ehrenamtlicher Tätigkeiten gelegentlich auch mit Josef Ackermann zusammentreffen: beide sind Mitglied im Lenkungsausschuß der Bilderberg-Konferenz sowie Mitglieder der Trilateralen Kommission, zweier informeller Vereinigungen zur Beförderung des Gedankenaustausches zwischen Politik, Militär, Wirtschaft und Hochfinanz.
Ebenfalls in diesen Kreisen aktiv ist der Ire Peter Sutherland, ein weiterer Ex-EU-Kommissar für Wettbewerb, vormaliger Generaldirektor der Welthandelsorganisation, graue Eminenz in der irischen Bankenkrise 2009, mittlerweile Direktor bei Goldman Sachs International in London und übrigens auch Berater der Güterverwaltung des Apostolischen Stuhls.
Aufreibende Wahlkämpfe werden bei der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch politikferne Experten gern vermieden, Mario Monti wurde kurzerhand vom Staatspräsidenten ernannt. Als der ehemalige griechische Ministerpräsident Papandreou auf die verwegene Idee kam, sein Volk in altdemokratischer Manier über das Hilfspaket der EU abstimmen zu lassen, da die Hilfe immerhin an einen beispiellosen Sozialabbau gekoppelt war, bedeutete das sein politisches Ende. Nicht, dass er abgewählt worden wäre.
Die beiden größten Fraktionen im griechischen Parlament einigten sich „auf Druck der ausländischen Gläubiger“ (11) auf den vormaligen EZB-Vizepräsidenten Loukas Papadimos (oder: Lucas Papademos) als neuen Ministerpräsidenten. Vor seiner Zeit bei der Europäischen Zentralbank war dieser als Chef der griechischen Notenbank wichtigster Gesprächspartner der Berater von Goldman Sachs. Die halfen damals der griechischen Regierung, sich für den Euro fit zu machen. Für immerhin 300 Millionen desselben. (12) Ein weiterer Mann von Goldman Sachs, Petros Christodoulou, ist seit dem 19. Februar 2010 Chef der staatlichen griechischen Schuldenagentur.
Beinahe möchte man froh sein, dass der neue spanische Wirtschaftsminister einer gewählten Regierung angehört. Er arbeitete aber früher auch nicht für Goldman Sachs. Luis de Guindos war Chef der spanischen Niederlassung des inzwischen auch nicht mehr systemrelevanten Bankhauses Lehman Brothers. Lobbyarbeit ist – zumindest für den ehemaligen Arbeitgeber – in diesem Fall also ausgeschlossen.
Harald Schumann stellt am 8. Januar auf „Zeit Online“ fest, dass die im Zuge der billionenschweren Bankenrettung 2008 versprochene Regulierung der Finanzmärkte bis heute schlicht nicht stattgefunden hat:
„Doch auch drei Jahre nach dem großen Knall ist keines dieser Ziele verwirklicht. Zwar wurden sowohl in Washington als auch in Brüssel umfassende Finanzmarktreformen auf den Weg gebracht. Aber die Reformer waren dem Widerstand der Finanzindustrie nicht gewachsen.“ (13)
Stattdessen werden „den Märkten“ unablässig neue Finanzmittel in schwindelerregender Höhe zur Verfügung gestellt, auf dass das System ja nicht kollabiere. Offensichtlich sind es nicht gerade die Reformer, die im politischen Krisenmanagement das Sagen haben und deren Einfluss wächst.
(1) http://www.bundeskanzlerin.de/nn_683608/Content/DE/Rede/2011/06/2011-06-29-merkel-Kongress.html
(2) http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?documentId=7774748
(3) http://www.sueddeutsche.de/geld/ackermann-und-merkel-wie-in-einer-schlechten-ehe-1.1027424
(5) http://www.heise.de/tp/artikel/35/35074/1.html
(6) http://www.bankenverband.de/presse/presse-infos/aus-der-initiative-finanzstandort-deutschland-ifd-wird-der-gemeinsame-standortdialog
(7) http://www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2011/0825/bruessel.php5
(8) http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/paul-achleitner-der-aufseher-11534947.html
(9) http://www.focus.de/finanzen/news/wirtschaft-allianz-rettet-die-deutsche-bank_aid_686323.html
(10) http://www.wiwo.de/finanzen/geldanlage/gbureks-geld-geklimper-super-mario-in-hochform/5987292.html
(11) http://www.n-tv.de/politik/Papademos-geniesst-Vertrauen-article4785206.html
(12) http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,677750,00.html
(13) http://www.zeit.de/wirtschaft/2012-01/das-grosse-kraeftemessen
Anmerkungen:
Ein ausführlicherer Bericht über die Mitarbeit der Deutschen Bank und Josef Ackermanns bei der „Griechenlandrettung“ auf den sehr empfehlenswerten Seiten von LobbyControl:
http://www.lobbycontrol.de/blog/index.php/2011/11/deutsche-bank-und-josef-ackermann/
Detaillierte Auskunft über den Einsatz von „sozailversicherungspflichtig Beschäftigten“ des privaten Kreditwesens in Bundesministerien und Behörden gab die Bundesregierung für den Zeitraum 2003-2008 auf Anfrage des Abgeordneten Brüderle in der Drucksache 16/12923 des Deutschen Bundestages vom 08.05.2009, dort Frage Nr. 33:
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/129/1612923.pdf
Artikel zur europäischen Strategie Goldman Sachs’; „LeMonde“ vom 16.11.2011, deutsche Übersetzung von presseurop:
http://www.presseurop.eu/de/content/article/1177201-goldman-sachs-meint-es-gut-mit-uns
„Independent“ vom 18.11.2011, englisch:
http://www.independent.co.uk/news/business/analysis-and-features/what-price-the-new-democracy-goldman-sachs-conquers-europe-6264091.html