Das sonnige Wetter an diesem Sonntag ist einfach unwiderstehlich. Ich werde mal ein bisschen für den Ernstfall üben und begebe mich auf eine Testwanderung. Meinen Rucksack habe ich mit allem vollgestopft, was auf dem Pennine Way auch drinstecken wird. Also trainiere ich unter lebensechten Bedingungen. Gut, ich habe jetzt nur einen Müsliriegel dabei, aber ich bleib ja auch nicht über Nacht. Dafür ist mein Trinksack mit 2 Litern gut gefüllt und ich habe sogar Klopapier dabei.
Dann geh ich mal los…
Da mein humorvoller Engländer alle Haustürschlüssel mit auf Arbeit genommen hat, muss ich mich mit dem Sperrgut auf dem Rücken durch die Seitentür hinausquetschen. Es ist verdammt warm und ich schwitze jetzt schon in meinem atmungaktiven T-Shirt. Doch der Rucksack ist erstaunlich leicht. Dank Ultraleicht-Technologien breche ich nicht auf den ersten Metern zusammen. Nein, das Tragefühl ist bis jetzt wirklich angenehm. Auf der Straße vor dem Haus treffe ich auf meinen Nachbarn, der natürlich wissen mag, ob ich einen längeren Ausflug vorhabe. Und er hat ja Recht. Ich sehe ziemlich nach einer Mehrtageswanderung aus und mein Rucksack wächst mir fast über meinen Kopf hinaus. Ich erkläre ihm rasch, dass ich nur mal eben ein bisschen trainieren will für den Pennine Way. Er erzählt mir, er wäre auch schon ein Stück weit darauf entlangspaziert und es sei wunderschön. Dass ich den Weg im Ganzen gehen will bringt ihn zum Schmunzeln und er witzelt mir zu: “Naja, in deinem Alter geht das ja noch.” Na wenn er wüsste, was ich für eine Sportskanone bin.
Jetzt muss ich aber weiter, denn ich habe mir einen Fußmarsch von mehreren Meilen vorgenommen. Ich verlasse die Netherend Road und biege rechts am Reservoir in einen von Wildblumen umsäumten Pfad ein. Kein Sonntagsspaziergänger weit und breit. Ich schlage mich recht gut und vergesse ab und zu, dass ich einen ganzen Haushalt auf dem Rücken trage. Immer wieder bleibe ich staunend stehen und genieße den Ausblick auf das im Sonnenlicht glitzernde Yorkshire (meine Güte, wie schön du heute wieder bist!). Ich schlendere durch ein kleines Wäldchen, vorbei an einem lagunenhaften Wasserfall und stehe bald wieder auf einer einsamen Landstraße. Im Grunde ist das der Beginn des Pennine Heritage Trails, eines etwa 8 Meilen langen Rundgangs zwischen Slaithwaite und Marsden. Da der Trail gut ausgeschildert ist, folge ich den gelben Wegweisern und gelange ins Schmetterlingsparadies von Merrydale.
Hier streife ich durch schulterhohe wilde Wiesen voller Blumen und Gräser. Und noch immer bin ich allein auf der Welt. Langsam merke ich, dass meine rechte Schulter etwas mehr belastet zu sein scheint, aber ich will jetzt nicht umpacken, muss nur später besser auf meine anatomischen Voraussetzungen achten. Ich nehme ein paar Schlucke aus dem Trinkschlauch und freue mich, dass ich ohne anzuhalten meinen Durst ganz nebenbei stillen kann. Eine extrem tolle Erfindung. Dann geht es eine steile Steintreppe hinauf. Dank meiner leichten Trekkinghose und dem immer noch leichten Gewicht auf meinem Rücken, gelingt der Aufstieg fast mühelos. Und nun geht es eine Weile bergauf. Ein kleines Hüngerchen kündigt sich an und ich setze mich, an meinem Riegel knabbernd auf einem Stein am Wegesrand zur Ruhe.
Ich genieße die Stille und will mich gerade noch ein wenig weiter zurücklehnen, da schießt ein kleiner schlappohriger Hund auf mich zu. Als ich bemerke, dass er recht feucht und verdreckt daherkommt, beschließe ich, ihn zu ignorieren, um nicht angesprungen zu werden. Das funktioniert ganz gut. Beim ersten Hund, aber da kommen noch weitere aus dem Dickicht hervorgeprescht, 2 große, 3 kleine. Alle ziemlich aufgeregt, alle vom Baden im Dorfteich klitschnass. Und nirgendwo ein Herrchen in Sicht. Ich fühle mich leicht bedrängt, bin aber zu bequem, um aufzustehen, bleibe prompt sitzen, umringt von 5 verschiedenen Hunderassen und da passiert es: alle schütteln sich gleichzeitig. Dreckspritzer landen auf mir, meinem Rucksack, einfach überall. Als alles vorüber ist, die Hunde trocken, die Steffi nass, erscheinen Frauchen und Herrchen, entschuldigen sich kurz und lassen mich mit meiner Beschmutzung allein zurück.
Und da fällt mir ein, dass Modder und Schlamm neben der Feuchtigkeit auch zu den Begleiterscheinungen des Wanderns gehören werden. Und eigentlich ist das doch auch mal schön, wenn man seine Schuhe nicht putzen braucht. Lektion 1 lautet also: Höre auf dein Bauchgefühl und begebe dich nicht in unangenehme Situationen. Du bist allein unterwegs, also Obacht.
Die Pause ist vorüber, ich will weiterziehen. Doch ich bin so in Gedanken versunken, dass ich glatt den Pfad aus den Augen verliere. Schon eine Ewigkeit habe ich keinen gelben Pfeil mehr gesehen, der mir sagt, ich bin auf dem richtigen Weg. Und auch daraus lerne ich. Lektion Nummer 2: Konzentration und navigatorische Wachsamkeit sind unbedingt erforderlich. Verlasse dich bei der Orientierung nicht auf die Technik. Denn auf dem Pennine Way werde ich vermutlich selten ein Netzwerk zur Verfügung haben, das mir erlaubt, mal eben mein Handynavi einzuschalten. So wie ich es jetzt hier einfach tun kann und feststelle, dass ich mal wieder in die ganz falsche Richtung gegurkt bin. Den komischen Trail muss ich irgendwie verpasst haben, falsch abgebogen sein. Jedenfalls finde ich diesen Weg hier eigentlich auch ganz schön.
Ich laufe einen riesigen Bogen, passiere mitunter ein paar ziemlich verdutzt guckenden Tierchen und gehe immer noch beschwingten Schrittes voran. Eine Kuh starrt mir besonders aufdringlich entgegen und ich erinnere mich daran, was mein schlauer Wanderführer zum Thema Rinder zu sagen hat. Lektion Nummer 3: Schaue einem Tier nie direkt in die Augen, gehe unbeteiligt und mit Abstand deines Weges. Auch wenn eine Kuh dir folgt, sie hofft nur drauf, dass dir ein paar Krümel aus der Tasche fallen.
Eine ganze Radfahrergruppe im Tour de France Stil radelt mir entgegen. 20 junge Männer und jeder fragt mich im Vorübergehen, wie es mir geht, lächelt mir aufmunternd zu. Spontan hebt sich mein Wandereifer, der Rücken wird gerader, die Füße laufen schneller. Lektion Nummer 4: Hole dir ab und zu eine Motivationsspritze und nicke Entegegenkommenden freundlich zu. Das Lächeln, dass dir ein Fremder schenkt kann dich etliche Meilen weiterbringen.
Und so endet mein Testlauf nach circa drei Stunden wieder an meinem Ausgangspunkt. Ich bin froh, dass ich das zumindest mal probiert habe und jetzt noch besser weiß, worauf ich achten muss, aber auch die Gewissheit habe, dass diese Reise zwar tierisch anstrengend wird, aber in jedem Fall machbar und unbeschreiblich bereichernd sein wird.
Slaithwaite mein Heimathafen.
Als ich zu Hause meinen Rucksack absetze und ein paar unangenehme Druckstellen bemerke, lerne ich noch schnell Lektion Nummer 5: Eine Wanderung verläuft nie ohne Schmerzen, ohne Blasen, ohne blaue Flecken, Schurfwunden usw. All das gehört dazu, muss akzeptiert und dann nur vernünftig behandelt werden.
Und hier noch meine etwas abwegige Test-Route: