Vom Strohfeuer zum Flächenbrand
Flammen schlugen hoch vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Sie sollten vor allem die Demonstranten wärmen, die sich am Samstag zu Tausenden versammelt hatten, um gegen den ungezügelten Kapitalismus zu protestieren. Sie dienten auch als Symbol: Es lodert in Deutschland, in Europa, in der Welt. In 951 Städten in 82 Ländern gingen die Menschen am Wochenende auf die Straße. Vorbild waren die Occupy-Wall-Street-Proteste in den USA, wo seit vier Wochen Hunderttausende gegen die Auswüchse des Finanzsystems demonstrieren.
«Der Funke ist übergesprungen, die Bewegung ist da», jubelte bereits einer der deutschen Mitorganisatoren von Attac. Doch kann er in Zukunft einen Flächenbrand auslösen, eine globale Bewegung in Gang setzen, die die Kraft und den Einfluss entwickelt, tatsächlich etwas zu verändern? Oder bleiben die Demos ein Strohfeuer, ein kurzer Aufschrei der Empörung, der bald wieder verhallt?
Die Organisatoren der Proteste in Deutschland sehen sich bereits als Teil einer dauerhaften, globalen Bewegung. «Man muss nur ‹15.10.› bei YouTube eingeben und bekommt Videos von Demos auf der ganzen Welt», sagt Alexander Sack von «Occupy Frankfurt» zu news.de. «Wir sehen uns als Teil davon, wir haben alle dasselbe Ziel.» Gerade sei er auf dem Weg zum Ordnungsamt, um die Genehmigung für das Protestcamp vor der Europäischen Zentralbank zu verlängern.
200 bis 250 Menschen zelten auf dem Platz mitten in der Mainmetropole, wie ihre Vorbilder im New Yorker Zuccotti-Park. Bis Mittwoch dürfen sie es offiziell – doch die Demonstranten wollen bleiben. «Das ist nichts Einmaliges, sondern eine langfristige Aktion», sagt Mitorganisator Sack. «Kurzfristig können wir nicht gewinnen.» Ziel sei es zunächst, die Leute zu informieren und so schließlich zum Umdenken zu bewegen. «Wir müssen dafür sorgen, dass das Kapital nicht mehr über allem anderen steht», sagt Sack. Attac hat für kommenden Samstag bereits erneute Proteste angekündigt. Weitere Aktionen sind laut Sack geplant – auch, um die Politik wachzurütteln.
Langer Weg von Worten zu Taten
Die zeigte sich auffallend verständnisvoll. Er nehme die Proteste «sehr ernst», sagte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), Grünen-Fraktionschefin Renate Künast «freut, dass die Menschen auf die Straße gehen», SPD-Chef Sigmar Gabriel finde es «gut, wenn möglichst viele Menschen an friedlichen Demonstrationen gegen die Herrschaft der Finanzmärkte teilnehmen» und sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bekundete «großes Verständnis» für die Demonstranten.
Solche Worte sind schnell gesprochen, zu Taten ist es meist ein langer Weg. In den nächsten Wochen müssen die Protestler der Occupy-Aktionen zeigen, ob es ihnen gelingt, die Wut der Bürger in konstruktive Bahnen zu lenken. «Die Frage ist, ob es gelingt, Diskussions- und Organisationszusammenhänge zu schaffen», sagt der Protestforscher Roland Roth von der Hochschule Magdeburg-Stendal im Gespräch mit news.de. «Es braucht lokale Gruppen, die sich zusammenfinden, Netzwerke bilden und eine gemeinsame Agenda entwickeln.»
Momentan einen die weltweiten Proteste vor allem Gefühle von Ärger und Angst um die eigene Zukunft. «Letztlich ist das national noch sehr unterschiedlich», sagt Politologe Roth. «Eine Bewegung wird es erst, wenn es dauerhaftere, positive Zusammenhänge gibt, was man verändern will.» Ein Hauptproblem sind die noch recht konfusen Forderungen der Demonstranten. Es reicht nicht, wenn sie nur sagen, wogegen sie sind.
Nur dagegen sein ist nicht genug
Um etwas zu verändern, dürfen sie nicht nur kritisieren, sondern müssen Alternativen thematisieren, eigene Vorschläge kundtun. «Sie müssen ihre Forderungen präzisieren, die gemeinsamen Ziele festlegen und dann dafür mit Protest, aber auch anderen Formen werben», sagt Roth. Um zu einer Bewegung zu werden, brauche es darum vor allem zwei Dinge: Zeit und Austausch.
Das ist den Demonstranten offenbar bewusst. In Frankfurt sind sie laut Alexander Sack dabei, eine stehende Internetverbindung mit den Organisatoren der anderen Städte aufzubauen. Per Twitter und Chat stehen sie bereits in Kontakt, um ihre Aktionen zu koordinieren. Das Internet soll auch helfen, die Proteste bekannter zu machen.
Potenzial gibt es noch: In Frankfurt waren es zwar bis zu 8000 Demonstranten, doch in München, Köln, Stuttgart und anderen Städten waren die Kundgebungen mit 1000 bis 1500 Teilnehmern überschaubar. «Wir wollen uns vernetzen und nach Möglichkeit gleichzeitig Demonstrationen veranstalten. Dann sind wir wirklich eine globale Bewegung», sagt Sack.
Das Mobilisieren ist das eine, schwieriger wird die Formulierung konkreter Forderungen werden. Protestforscher Roth ist jedoch zuversichtlich. Stuttgart 21 habe gezeigt, dass sich die Menschen auch mit sehr komplizierter Materie auseinandersetzen und vernünftige Gegenvorschläge entwickeln könnten. «Alphabetisierung der Proteste», nennt er das. «Ich setze immer wieder auf dieses Lernen der Vielen.» Es gebe unter den Demonstranten viele kluge und interessierte Leute, mit Attac zudem ein Netzwerk, das seit zehn Jahre bestehe und sich intensiv um das Thema kümmere. «Man fängt nicht von Null an», sagt Roth.
Das Strohfeuer hat das Zeug, zum Flächenbrand zu werden.
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Anti-Banken-Proteste – Vom Strohfeuer zum Flächenbrand
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