Vom Respekt für den Konsumenten

Von Christian Sickendiek
Frank Schirrmacher hat heute in der FAS einen weiteren Beitrag zur Urheberrechtsdebatte geleistet: Schluss mit dem Hass. (http://lallus.net/90b). Seit beinahe 20 Jahren bin ich nun schon online, das erste Jahrzehnt fast ausschließlich auf Foren, in denen es Bereiche gab, in denen man alles finden konnte, was das Herz begehrt: Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Musik,Videos und TV-Serien. Und natürlich habe ich das eine oder andere Angebot angenommen. Ich erinnere mich an das erste große heruntergeladene Programm: 200 Files mit einer Größe á 1,44 MB, damit es auf Diskette passte. Heute habe ich hier mehrere Versionen dieses Programms als Original im Regal stehen.
Ich habe Glück gehabt: Wenn auch F!XMBR mir bisher vier anwaltliche Streitigkeiten beschert hat, so bin ich in meiner Vergangenheit niemals wegen Filesharings abgemahnt worden. Ich könnte aber sofort mehrere Namen aufzählen, bei denen es passiert ist. Es gab Zeiten, da ging ich wöchentlich ins Kino, wenn ich meine DVD-Sammlung verkaufen würde, wären das wahrscheinlich drei, vier oder mehr Hamburger Monatsmieten. Ich bin wahrscheinlich das, was man einen guten Kunden nennt.
Lange habe ich mich gegen ein Smartphone gewehrt, Ende letzten Jahres habe ich mich dem Unterwegs-online-sein nicht mehr verschlossen. Und wieder stand ich wie schon so oft in den letzten 20 Jahren vor einem Problem: Im Google Play Store ist es derzeit nur möglich, per Telekom-, bzw. Vodafone-Telefonrechnung zu bezahlen oder per Kreditkarte. Als ich nach langer Zeit mal wieder das eine oder andere Forum aufgesucht habe, wunderte es mich nicht, dort mittlerweile auch eine gut ausgebaute Android-Sektion zu finden.
Ich habe mit mittlerweile eine Kreditkarte zugelegt, aber es kann durchaus passieren, dass ich die eine oder andere App vorher länger teste, bevor ich sie kaufe. Und ich bezahle in aller Regelmäßigkeit die Apps, die ich nutze, für mich eine Form des Respekts - und ich möchte den oftmals kleinen Entwicklerstudios einen kleinen Obolus zukommen lassen. Warum aber an mancher Stelle ein längerer Test? Google bietet die Möglichkeit, eine App bei Nichtgefallen wieder "zurückzugeben". Allerdings ist diese Zeit auf lächerliche 15 Minuten begrenzt. Innerhalb von 15 Minuten lassen sich die meisten Apps nicht ausgiebig testen. Bei jedem neuen Angebot für uns Konsumenten werden immer und immer wieder die gleichen Fehler gemacht. Es gibt heute, im Jahr 2012, weltweit nicht ein einziges legales Angebot, welches mich als Kunden zufriedenstellt.
Frank Schirrmacher verweist auf Constanze Kurz, die davon berichtet, dass die Abmahnindustrie mittlerweile ein eigenes Geschäftsfeld ist (http://lallus.net/90c). Doch nicht nur, wenn es finanzielle Folgen hat: Ich möchte als zahlender Kunde nicht als Krimineller behandelt und beschimpft werden. Die Contentindustrie hat die Politik dahin gebracht, dass Filesharing mit bis zu 5 Jahren Freiheitsentzug geahndet werden kann, man denke an die unsägliche Kampagne "Raubkopierer sind Verbrecher". Fast jede neue DVD, die ich einlege, beinhaltet einen Spot, den ich nicht überspringen kann, und der mich davor warnt, eben diese DVD zu kopieren. Selbst als legaler Kunde werde ich als Illegaler angeschrien.
Obwohl ich wie so viele andere Menschen sehr guter Kunde bin, werde ich wie ein Verbrecher behandelt (http://lallus.net/907). Man muss das einmal auf das reale Leben übertragen: Man stelle sich vor, meine Freundin würde mich vor und während jedem Austausch von Zärtlichkeiten warnen, dies nicht mit einer anderen Frau zu tun. Und das täglich. Wie lange würde diese Beziehung halten? Die Contentindustrie behandelt mich nun schon seit zwei Jahrzehnten wie einen Schwerverbrecher. Nicht wir, die Konsumenten, haben diese Beziehung einseitig aufgekündigt, wir werden täglich mit Misstrauen bedacht, beschimpft, kriminalisiert.
Ich glaube, dass jeder Kreative, jeder Künstler, jeder Musiker und Autor das gute Recht hat, bezahlt zu werden, seinen Lebensunterhalt mit Kunst zu verdienen. Unsere Welt besteht ohnehin aus zu wenig Kunst - wir leben in Zeiten, in denen Bücherhallen allen Ortes geschlossen werden, gleichzeitig "mehr Bildung" von der Politik propagiert wird.
Wir leben gleichzeitig in einer Welt, in der wir gezwungen sind, um unsere Bürger- und Freiheitsrechte zu kämpfen. Ich möchte nicht auch noch an der Urheberrechtsfront an dieser Stelle kämpfen möchten. Die Folgen der aktuellen Kampagnen im Handelsblatt und der Zeit sind leicht umschrieben (http://lallus.net/8zt): Jedes Byte und jedes Bit, welches wir verschicken und empfangen, sei es per Mail, Chat, im Browser oder Filesharing-Client, soll zukünftig überwacht und kontrolliert werden. In so einer Welt möchte ich nicht leben.
Selbstverständlich gibt es auch auf Konsumentenebene Extreme. Auch das gilt es zu verurteilen (http://lallus.net/xw). Doch gilt es auch an diesem Punkt, zu differenzieren. Die Verluste, die jährlich von der Contentindustrie veröffentlicht werden, sind keine realen Verluste. Kein Filesharer, der sich täglich die Festplatte füllt, würde die gesammelten Werke auch bezahlen. Es geht oftmals "nur" um das Jagen und Sammeln. Das kann man Verurteilen, die veröffentlichten Verlustrechnungen sind aber pure Propaganda. Und es sei angemerkt, dass Filesharer die größten Kunden sind. Kreative, Musiker, Autoren, Filmschaffende leben auch von Filesharern, ihrer kostenlosen Werbung für das Produkt. Der Kreislauf auf einem Forum ging früher wie folgt: Ein vielleicht neuer Kinofilm wurde per Cam abgefilmt, geteilt - gleichzeitig wurde eine meist positive Rezension veröffentlicht und viele Menschen nahmen das zum Anlass, ins Kino zu gehen. Eine typische Win-Win-Situation.
Wir leben in einem Kreislauf, im digitalen Zeitalter, in dem Jeder von Jedem profitiert. Frank Schirrmacher hat Recht, wenn er darum bittet, mit dem Hass Schluss zu machen. Dafür benötigt es gegenseitigen Respekt. Mir scheint, als sei jeglicher Respekt der Contentindustrie vor dem Konsumenten verloren gegangen. Der Kunde wird als Feind angesehen, nicht als Freund. Es gibt keine legalen Angebote, die wirklich zufrieden stellen und ohne Wenn und Aber akzeptiert werden können.
Mit den Kampagnen des Handelsblattes und der Zeit ist eine neue Eskalationsstufe gezündet worden. Die Kriegserklärung der Contentindustrie ist schon vor Jahren erfolgt. Es scheint, als würde man sich zur letzten Schlacht rüsten - Kollateralschäden inklusive. Wenn ich nicht selber Urheber wäre, wenn ich es nicht genießen würde, ein Buch in Händen zu halten, eine DVD mit ihren Extras zu genießen, könnte es mir egal sein.
Ich finde nicht den Kreativen. Seine Werke finden mich. Auf legalem oder auch illegalem Weg. Aus Respekt würde ich immer den legalen Weg gehen und meine Geldbörse öffnen. Es ist an den Kreativen, diesen Respekt zu erwidern und Möglichkeiten zu schaffen, dass der legale Weg als genauso selbstverständlich angenommen wird, wie es bei vielen Nutzern beim illegalen Weg der Fall ist. Kriegserklärungen, Eskalationen helfen da nicht weiter. Im Gegenteil. Es ist eine einfache Rechnung: Ich kann damit leben, wie es in den letzten zwei Jahrzehnten gelaufen ist - auch wenn es mir an vielen Stellen nicht gefallen hat.
Können es die Kreativen auch?

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