Vom Pferd und seiner gastronomischen Geschichte in Europa!

Von Oliver Alois Ernst John

“Alles Glück dieser Erde” – zu bestellen in einem Pariser Restaurant!
Ob Fohlencarpaccio oder Haflingerschnitzel – Italiener und Franzosen feiern Pferdefleisch als Delikatesse. Deutschen kommt es nicht auf den Teller. Das hat historische Gründe.

Italiener tauschen sich gern darüber aus, dass die Lasagne der Großmama immer deswegen besonders gut schmeckte, weil sie außer Gehacktem vom Rind auch Pferdefleisch beimengte. Würden die Italiener sich zu Tiefkühlpasta herablassen, wären sicherlich viele bereit, für ein Gericht mit Pferdehaschee mehr zu zahlen als für hormonbelastetes EU-Rinderhack. Freilich hätten sie dabei die lokalen Herden im Kopf, die auf Almweiden der Voralpen grasen und eine der gesündesten, fettärmsten und naturbelassensten Fleischsorten überhaupt liefern. Ideal für Salami, die längst teurer ist als vom Schwein, für Pastrami, die in Venedigs Weinstuben beliebt ist, oder gar ein zartes Fohlencarpaccio, wie es in den schicksten Restaurants des Tessins serviert wird.

In Deutschland aber kommt es zum Skandal. Auch die Briten, selbst Franzosen schäumen. Das ist berechtigt, denn keiner scheint zu wissen, wo das Pferdehack herkommt. Welche verschlungenen Wege durch welche Länder es wie lange genommen hat. Ob es von gedopten Reitpferden stammt, die illegal als Billigfleisch exportiert wurden. Ob es gesundheitsschädlich ist.

Empörender als die reale Gefahr empfinden viele jedoch den kulturellen clash. Dass man ihnen Fleisch untergejubelt hat, vor dessen Genuss sie aus tiefeingewurzelten Motiven zurückschaudern, das sie freiwillig nicht essen würden. Pferdefleisch unterliegt einem tausendjährigen Tabu. Die Germanen praktizierten noch rituelle Rossopfer mit anschließendem Pferdeschmaus in der Hoffnung, sich schamanisch die Stärke des Tiers einzuverleiben. Die Kirche hat diesen Brauch schärfstens geächtet. Papst Gregor III. (731-741) forderte den Germanenapostel Bonifatius dringend auf, einzuschreiten. Die Folge: In Deutschland wird der Handel mit Pferdefleisch erst 1841 freigegeben. Wer in der Gastronomie Pferdegerichte servieren wollte, musste bis 1973 eine Sondergenehmigung beantragen. Bis heute sind die wenigen Pferdemetzger in separierten Geschäften vom Rest des Schlachterhandwerks abgesondert – ein Nachhall mittelalterlicher Zunftordnungen.

„Praktische Anleitung zur Bereitung des Rossfleisches“

Natürlich wurde auch früher von Hungrigen Pferdefleisch gegessen, aber man musste heimlich schlachten, es wurde polizeilich geahndet. Pferde essen, das bedeutete Elend, Not, Erinnerungen von fliehenden Heimatvertriebenen oder Stalingradüberlebenden, die verendete Tiere als Nahrung zerschnitten und den süßlichen Geschmack lebenslang nicht loswurden.

Das zähe Fleisch der abgearbeiteten Zugtiere galt als Essen von der Freibank, wo man minderwertiges Fleisch verkaufte, als Abdeckerkost. Historische Rezepte reagierten darauf, indem sie die flachsigen Stücke wie beim rheinischen Sauerbraten in Essig marinierten oder wie Veroneser pastisada stundenlang kochten. Oder durch den Fleischwolf drehten und zu einstigen Proletarierhappen verarbeiteten wie Berliner Pferdeknacker oder Wiener Pferdeleberkäse.

Immerhin: Deutschlands berühmteste Köchin, die Westfälin Henriette Davidis, warf schon 1848 eine „Praktische Anleitung zur Bereitung des Rossfleisches“ auf den Markt, um das Billigfleisch armen Familien schmackhaft zu machen.

Doch mehr noch schreckt uns der emotionale Faktor. Wir kennen kaum noch Pferde als Ackergäule oder Zugrösser, sondern fast nur als Reittiere, denen wir Namen geben, mit denen wir engen Körperkontakt haben, die wir streicheln und mit Zucker füttern. Pferde sind unsere größten „Haustiere“, wir haben sie lieb. Das Gros unserer Gesellschaft der verkappten Vegetarier, die nicht daran erinnert sein wollen, dass Fleisch von Tieren stammt, und deswegen Hamburger, Chickennuggets und Tiefkühllasagne einer selbstgekochten Fleischbrühe aus Rinderknochen vorziehen, ekelt sich besonders vor gemordeten Pferden.

Fortgeschrittener Tierschutz ist hierzulande breiter Konsens, bei Rössern sind wir wacher als bei Käfighühnern. Ärmere Bevölkerungsgruppen in Osteuropa oder im Mittelmeerraum mit ihrem bäuerlichen background sind da traditionell nicht so zartbesaitet. Sie empfinden es als Luxus, Tiere nicht als Nutztiere zu halten und essbares Fleisch verkommen zu lassen.

Was wird aus all den Renn- und Reitpferden, wenn sie alt sind?

Auch in der arabischen Beduinenkultur, in der man etwa affektive Gedichte auf Lieblingskamele verfasst, wird es als netter Zug des Schicksals empfunden, dass die Tiere später verzehrt werden. Und dann existieren noch die kulinarisch neugierigen und zugleich wertkonservativen Gesellschaften, wie in weiten Teilen Frankreichs oder Süditaliens. In Apulien oder Lyon gibt es praktisch keine verpönten Speisen, weil das komplette Kaleidoskop historischer Speisetraditionen einschließlich der Schroffheiten von Schlachtfesten einfach fortlebt. Innereien, Nieren und Lammzungen werden so selbstverständlich verzehrt wie cavallo oder cheval.

Wir hingegen plädieren aufgrund unserer emotionalen und ethischen Sozialisation dafür, Pferde nicht zu essen. Schön und konsequent wäre es dann auch, dass die Tiere, wenn sie zum Sport nicht mehr brauchbar sind, das Gnadenbrot erhalten und nicht Richtung unbekannt (keiner will so recht wissen, wohin) abgeschoben werden, um dann als Hackfleisch in der Lasagne wiederaufzutauchen? Was wird eigentlich aus all den Renn- und Reitpferden, wenn sie alt sind? Das sind Fragen, die sich aktuell stellen.

Der Skandal um das Pferdefleisch dürfte angesichts unseres kulinarisch gespaltenen Zeitgeists zwei gegensätzliche Folgen haben. Wie im Ausland könnten experimentierfreudige Gourmets angesichts gerade populär werdender Edelsteakgrills entdecken, dass das weitgehend cholesterinfreie Pferdefleisch eine wohlschmeckende und bekömmliche Bereicherung des Speisezettels ist – längst gibt es in den Salzburger oder Südtiroler Alpen Züchter, die zartes Pferdefleisch und Haflingerschnitzel in Bioqualität anbieten.

Andererseits wird der Skandal verständlicherweise den latenten Fleischekel verstärken. Schließlich gibt es exzellente Rezepte für Zucchini- oder Spargellasagne, die man sogar selbst machen könnte. Das gilt auch für diejenigen, die Lasagne mit Hackfleisch nicht missen möchten. Wer das einfach beim Fleischer seines Vertrauens kauft, kann selbst entscheiden, ob er hundertprozentiges Rindfleisch oder doch einmal das Rezept der nonna aus Verona ausprobieren will. Falls er einen der letzten Pferdefleischmetzger in Deutschland findet.