Vom Leben und Sterben in einer globalisierten Welt

Von Miriam Schaefer @chamailion

Vor einigen Monaten stürzte ein Flugzeug in den Alpen ab. Zuerst waren die Umstände noch umklar. Man betrauerte die Toten und suchte nach einem ‘Warum’. Und obwohl ich keinen der Verunglückten kannte, machte mich die Situation betroffen und traurig. Ich mochte die Nachrichten schon gar nicht mehr hören, denn sie lösten nur Entsetzen und Tränen aus. Und während vor wenigen Wochen die große Trauerfeier im Kölner Dom abgehalten wurde, um sich von den Opfern des Absturzes zu verabschieden, ertranken zeitgleich Tausende Flüchtlinge auf dem Mittelmeer. Das ist furchtbar, löste aber keine Trauer aus. 

Ich habe mir Gedanken gemacht, warum ich so empfinde. Warum macht es mich starr und betroffen, wenn ein Flugzeug mit Menschen abstürzt. Nicht aber die Nachrichten, dass tagtäglich hunderte oder tausende Menschen in Kriegsgebieten ihr Leben lassen oder durch Hunger und Armut zu Grunde gehen.

Wie kann ich damit umgehen: Alle Nachrichten ignorieren oder alles annehmen? 

Kurz nach dem Unglück (das ja nun nachweislich kein Unglück war) wurde meine Twitter Timeline und Facebook mit Beileidsbekundungen und Entsetzen gefüllt. Viele waren von diesem Ereignis eingenommen und die Spekulationen begannen. Geht es uns nur so nahe, weil es einen Teil von ‘uns’ getroffen hat? Oder weil es jeden von uns hätte treffen können?

Ich wohne in der Nähe des Düsseldorfer Flughafens, bin auch schon diese Strecke mit Germanwings geflogen und zweimal im Jahr gehen Exkursionen aus meinem Studiengang in die Pyrenäen. Ja, es wäre wahrscheinlicher, dass es mich oder eine mir bekannte Person  getroffen hätte. Ein Tod im syrischen Kriegsgebiet ist da unwahrscheinlicher.

Es schlagen da immer beide Herzen in meiner Brust: der Empathische, der sagt: ja, du darfst deswegen trauern, auch wenn es dich nicht betrifft. Und der Distanzierte, der sagt: jedes Jahr sterben in Deutschland 859 000 Menschen in Deutschland und über 56 Millionen Menschen pro Jahr auf der Welt.

Macht uns die gesellschaftliche und geographische Nähe zu  einem Unglück/Konfliktgebiet betroffen?

Mit dem alltäglichen Hintergrundrauschen von Tod und Elend gehen wir anders um. Da sind wir Menschen distanziert und meist wird ganz pragmatisch einfach nur das Nachrichtenmedium abgeschaltet. Menschen sterben. Dinge gehen kaputt. Das gibt es eben: Gebrechen, Krankheit, Bürgerkrieg, menschliches Versagen, technisches Versagen. Die Verkettung unglücklicher Zufälle.

Kann am Tresen kurz mal lesen, was die Zeitung schreibt
Irgendwas von ‘nem Großangriff
Unzählige Bomben auf kleine Stadt
Viele Menschen ums Leben gekommen
Und dem Erdboden gleich gemacht in nur einer Nacht
Ich zahle und verlasse den Bäcker
Hör noch den Nachrichtensprecher
“Lage wieder mal dramatisch verschlechtert, heute fantastisches Wetter”

Fettes Brot, An Tagen wie diesen

Der Tod vor unserer Haustür

Es gibt es so viele vermeidbare Todesfälle in unserem eigenen Land, die durch Unterlassung herbeigeführt werden, die uns aber nicht tagtäglich belasten. Ein paar Beispiele:  3368 (2014) tödlich Verunglückte in Straßenverkehr.Viele davon wären vermeidbar. 15 000 (ungenaue Schätzung) Tote durch Krankenhaus-Keime und auch die unzähligen Toten, die durch vermeidbare Zivilisationserkrankungen sterben. Und so weiter, und so weiter…..

 

Können wir denn etwas ändern?

Es wird als politischer  Fakt hingenommen, dass es jahrzehntelange Bürgerkriege mit einer unendlichen Anzahl von Toten und unvorstellbarem Elend gibt. Es wird als kapitalistischer Fakt hingenommen, dass es blutige Kriege um Land und Rohstoffe gibt.                                  Es sind aber nicht nur Nachrichten aus fernen Ländern, wenn aus religiösem Wahn Menschen vertrieben, hingerichtet und verstümmelt werden. Es geschieht tatsächlich!

Diese Nachrichten sind alle weit weg und vielleicht ist es auch gut so. Oder etwa nicht?

Dürfen wir das? – einzelnen Verstorbenen mehr oder weniger Gewicht auf dieser Welt geben? Dabei ist jeder Tod ist schlimm. Ein Vergleich ist nicht angemessen, denn niemand sollte sein Leben verlieren, wer kein langes und erfülltes Leben genießen durfte!

Wie finden wir also die Balance zwischen dem Wissen des permanenten Elends ohne daran zu zerbrechen?

Der Rückzug ins Private und die heile Welt

Vielleicht ist es gar nicht so falsch, sich seine eigene heile Welt zu basteln. Man stelle es sich nur mal vor: jeder Mensch versucht das bestmögliche in seinem Umfeld: Respekt, Toleranz, Gewaltfreiheit, Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft, Gesundheitsbewusstsein. Utopia.

Ein afrikanischer Warlord oder ein islamistischer Kämpfer werden sich wohl nicht von diesen einzelnen Ambitionen beeindrucken lassen, aber vielleicht hilft es ein besseres Klima zu schaffen für die, die unsere Hilfe benötigen.Vielleicht hilft es, die Anzeichen zu erkennen, falls es jemandem zu viel wird.

Und nun?

Ich werde nun meine Familie in den Arm nehmen, die Freunde anrufen, von denen man länger nichts gehört hat und mein Leben bewusst leben. Wer weiß, wann es beendet wird…….


Alles klar bei dir? Wie spät?

Gleich neun – okay.

Will mal eben los, Frühstück holen gehen
Schalt den Walkman an, zieh die Haustür ran
Lauf die Straße entlang bis zum Kaufmannsladen
Denn da gibt’s die allerbesten Brötchen weit und breit
Kann am Tresen kurz mal lesen, was die Zeitung schreibt
Irgendwas von ‘nem Großangriff
Unzählige Bomben auf kleine Stadt
Viele Menschen ums Leben gekommen
Und dem Erdboden gleich gemacht in nur einer Nacht
Ich zahle und verlasse den Bäcker
Hör noch den Nachrichtensprecher
“Lage wieder mal dramatisch verschlechtert, heute fantastisches Wetter”
Plötzlich gibt’s ‘n Knall, tausend Scherben überall
Die Nachbarskatze hat’s erwischt bei ‘nem Verkehrsunfall
Der Anblick kann einem echt die Laune verderben
Was fällt diesem Mistvieh ein, hier genau vor meinen Augen zu sterben?

Absolute Wahnsinnsshow
Im Fernsehen und im Radio
Die Sonne lacht so schadenfroh
An Tagen wie diesen
Niemand, der mir sagt, wieso
Beim Frühstück oder Abendbrot
Die Fragen bohren so gnadenlos
An Tagen wie diesen

Eine Million bedroht vom Hungertod nach Schätzungen der
Während ich grad gesundes Obst zerhäcksel in der
Seh’ ein Kind, in dessen traurigen Augen ‘ne Fliege sitzt
Weiß, dass das echt grausam ist, doch scheiße, Mann, ich fühle nichts
Was ist denn bloß los mit mir, verdammt, wie ist das möglich?
Vielleicht hab ich’s schon zu oft gesehen, man sieht’s ja beinah täglich
Doch warum kann mich mittlerweile nicht mal das mehr erschrecken
Wenn irgendwo Menschen an dreckigem Wasser verrecken?
Dieses dumpfe Gefühl, diese Leere im Kopf
So was kann uns nie passieren, und was wäre wenn doch?
Und mich zerreißen die Fragen, ich kann den Scheiß nicht ertragen
Die haben da nichts mehr zu fressen und ich hab Steine im Magen!

Absolute Wahnsinnsshow
Im Fernsehen und im Radio
Die Sonne lacht so schadenfroh
An Tagen wie diesen
Niemand, der mir sagt, wieso
Beim Frühstück oder Abendbrot
Die Fragen bohren so gnadenlos
An Tagen wie diesen

Was hat er grade gesagt an so ‘nem normalen Samstag
Passiert auf bestialische Art ein ganz brutaler Anschlag
Bei dem sechs Leute starben, die Verletzten schreien Namen
Diese entsetzlichen Taten lassen mich jetzt nicht mehr schlafen
Und ich seh’s noch genau das Bild im TV
Ein junger Mann steht dort im Staub, fleht um Kind und Frau
Jetzt frag ich mich, wie ist es wohl, wenn man sein Kind verliert
Noch bevor es seinen ersten Geburtstag hat
Doch das übersteigt meine Vorstellungskraft
Vielleicht waren die Attentäter voller Hass für den Gegner
Vielleicht gab es Liebe für Familie und sie waren sogar selber Väter
Manchmal, wenn ich Nachrichten seh’, passiert mit mir etwas Seltsames
Denn auch wir sind Eltern jetzt, haben ein Kind in diese Welt gesetzt
Dann kommt es vor, dass ich Angst davor krieg, dass uns etwas geschieht
Dass man den verliert, den man liebt, dass es das wirklich gibt
Mitten in der Nacht werd’ ich wach und bin schweißgebadet
Schleich’ ans Bett meiner Tochter und hör, wie sie ganz leise atmet

Absolute Wahnsinnsshow
Im Fernsehen und im Radio
Die Sonne lacht so schadenfroh
An Tagen wie diesen
Niemand, der mir sagt, wieso
Beim Frühstück oder Abendbrot
Die Fragen bohren so gnadenlos
An Tagen wie diesen

Was für ‘ne Wahnsinnsshow
Im Fernsehen und im Radio
Die Sonne lacht dabei so schadenfroh
Ich werd’ die Bilder nicht mehr los
Beim Frühstück und beim Abendbrot
Niemand, der mir sagen kann, wieso.

                                                                           Fettes Brot, An Tagen wie diesen

Dies ist ein Plädoyer für mehr Offenheit und Empathie. Zu mehr Mitgefühl und auch für mehr Engagement. Denn was bleibt, wenn ein Mensch geht, sind die Menschen.

In diesem Sinne mal kein: Ahoi!, sondern mein ehrliches Mitgefühl an alle Betroffenen, Angehörigen und Helfern auf dieser Welt.