GATES – Zwischen?Raum war der zweite Teil des Wien Modern Abends in Zusammenarbeit mit dem sirene Operntheater – progetto semiserio und der IGNM. Musikalisch unterstützt wurde er von PHACE deren Schlagwerker Berndt Thurner mit einer besonderen Herausforderung konfrontiert war, waren doch die Schlagwerknoten des ersten Stückes „Seelentore“ am Premierenabend nicht auffindbar. Die einzige Möglichkeit, das Spielen von der Gesamtpartitur, gelang Thurner jedoch meisterhaft, womit er seine Klasse und sein Können mehr als sonst unter Beweis stellen konnte.
Gate as my asshole war im Palais Kabelwerk zu sehen. (Foto: Nick Mangaeas)
„Seelentore“, für das Jörg Ulrich Krah die Musik und Susanne Felicitas Wolf das Libretto schuf, handelt von drei Personen, die ihre soziale Befindlichkeit offenbaren. Dies geschieht jedoch in parallelen Strängen, sodass sich die Personen nicht kennenlernen und austauschen können, was der Idee eine zusätzliche Spannung verlieh. Der politische Flüchtling, der nicht mehr in seine Heimat zurück kann und sich in seiner neuen nicht zurechtfindet (Levent Bakirci), die Pensionistin, der die Sprachverfremdung und der Lärm einfach zu viel wird (Ingrid Habermann) und der junge Gutmensch, der versucht sein Leben so politisch korrekt wie möglich zu leben, agierten auf ihren eingenommenen Plätzen, ohne diese je zu verlassen. Ein schönes Bild für die Vereinsamung und Unmöglichkeit, sich mit anderen auszutauschen. Krah schuf ein sehr ausdifferenziertes musikalisches Werk, das jeder Person eine eigene Färbung zuschrieb und sogar den Flüchtlingsstatus mit verfremdeten Klängen, die in der Nähe des Bosporus angesiedelt sind, verdeutlichte. Der kurze, aber umso prägnantere und völlig emotionslose Text von Wolf unterstrich die ungeschönten Aussagen exakt.
Mit „Wärme“ schloss sich eine abermals ganz persönliche seelische Bestandsaufnahme an, für die Tamara Friebel das Konzept und die Komposition und Nathalie Latham den visuellen Gang durch eine Kirschblütenbaum schuf. Kaoko Amano pendelte darin als entwurzelte Japanerin zwischen Traumgebilden und bedrohlicher Realität. Die musikalische Begleitung durch Cello und Schlagwerk erweiterte Friebel durch zusätzliche elektronische Einspielungen. Spätestens mit diesem Stück war klar, dass der Abend nach der Pause eine eklatante Wendung genommen hatte. Stand das Spielerisch-Humorige im ersten Teil im Vordergrund, war es die Tragik des Individuums, die nun in verschiedenen Ausformungen abgehandelt wurde.
„Gate as my asshole“ – dieser Titel war nicht das einzig Gewalttätige, das sich in der Arbeit von Oliver Weber (Komposition) und Nurkan Erpulat (Libretto) zeigte. Sie setzten einen türkischstämmigen Mann in den Mittelpunkt, der sein Schwulsein in ständiger Angst so lange verbarg, bis seine unterdrückten Gefühle schließlich vulkanartig ausbrachen. Andreas Jankowitsch explodierte nicht nur schauspielerisch, sondern auch stimmlich – wobei er locker den Spagat zwischen Sprechgesang und schwierigen Gesangspartien bis hin zum Verlust der fließenden Sprachmelodie schaffte. Ein expressives, gewalttätiges Werk, das vor allem im Hinblick auf den Schluss des Abends gut platziert war.
Jorge Sánchez-Chiong war dafür kompositorisch zuständig und Thomas J. Jelinek sorgte für das Konzept, den minimalen Text und die Bühne. Der Titel „Bill“ verweist auf das englische Wort für „Rechnung“ assoziiert aber auch jenen Mann, der den größten Softwareentwickler unserer Zeit begründete. Immer schneller werdende, zum Schluss nicht mehr verfolgbare rasende, aufsteigende Zahlenkolonnen, auf mehrere hintereinander gestaffelte, durchsichtige Leinwände projiziert, symbolisierten den wirtschaftlichen Fortschritt seit dem 18. Jahrhundert auf unserem Planeten, zugleich aber auch die Überpopulation und die irrwitzige Ausbeutung, die damit einhergeht. Eine Klangdichte, die sich im Laufe der „installativen Raum-Klang Oper“ zur Schmerzgrenze hin ausweitete, unterstrich diese unaufhaltbare Entwicklung. Die auf der Bühne mitagierenden Musiker von Phace machten deutlich, wie sehr der Mensch in den Produktionswahnwitz eingebunden ist und diesen trotz aller sichtbaren Bedrohungen weiter verfolgt. Da wurden absurde Klangkästen mit Schläuchen traktiert, Percussioninstrumente, Cello und Saxophon in all ihren Klangmöglichkeiten ausgereizt und keine Rücksicht auf Kaoko Amano und Paul Schweinester genommen, die in die Rollen der Dokumentierenden geschlüpft waren, ohne in den Wahnwitz weiter eingreifen zu können. Das dichte, auditive Gespann, teilweise mit harten Beats akzentuiert, erlaubte keinerlei Gedankenabschweifung und machte klar, dass es aus dieser Situation keinen Ausweg geben würde. Erst als abrupte Stille und tiefes Schwarz den Saal ausfüllten, war dem zerstörerischen Treiben ein Ende gesetzt. Hart, mitreißend, unbarmherzig und illusionsfrei präsentierte sich der Schluss dieses Abends und machte mehr als deutlich, dass individuelle seelische Empfindlichkeiten auf das Weltgeschehen keinen Einfluss mehr ausüben.
Peter Pawlik, der die Regie im zweiten Teil führte, gelang damit eine logische Schlussfolgerung, wenngleich auch für viele eine schwer verdauliche.
Ein Abend der Superlative, was die Anzahl der Werke und auch deren Qualität betraf, der ganz am Puls der Zeit das Medium Oper in kürzestmöglichen Varianten von vielen Seiten aus sowohl unterhaltsam als auch nachdenkenswert beleuchtete. Eine Zweiteilung wäre zwar publikumsattraktiver gewesen, hätte aber auch so manche Erkenntnis, die sich gerade aus der Gegenüberstellung der beiden Blöcke ergab, nicht ermöglicht. Gratulation für dieses Wagnis!
Hier geht es zum 1. Teil des Abends: Aus der Zeit gefallen