Ich finde es ziemlich aufregend, über Nacht auf einem Schiff zu reisen und benutze deswegen gleich mal die Dusche in der Vierbett-Kabine. Meine Mitreisende ist davon eher genervt, legt sich früh schlafen und faengt demonstrativ an zu schnarchen. Ich laufe auf der Fissos alle Decks ab, erwaege, einen Cocktail in der Piano-Bar zu trinken und entschliesse mich letztlich doch nur für ein Bier unter freiem Himmel bei eisigem Wind, waehrend das Schiff aus dem Hafen von Piraeus auslaeuft.
Acht Stunden dauert die Fahrt nach Chios. Die Stürme in der Aegaeis sind nicht so stark, dass die Fahrt haette verschoben werden müssen, aber doch stark genug, dass ich mitten in der Nacht aufwache und nicht mehr schlafen kann, weil mein Ohr durch das starke Geschaukel auf dem Kissen hin und her schrabbt. Dazu pfeift es ordentlich um die Aussenwand der Kabine.
Ich überlebe und komme um fünf Uhr morgens auf Chios an. Dort warte ich vier Stunden auf die Faehre nach Çeşme. Der Preis von 25 Euro für die einstündige Fahrt ist horrend - verglichen mit den 44 Euro für die Kabine auf der Fissos. Vielleicht zahlt man für die Grenzüberquerung ins ungeliebte Nachbarland drauf. Küstenstaedte in der Nebensaison sind deprimierend. Nur knapp ein Viertel der Lokale entlang der Uferstrasse sind geöffnet. Schweigend haengen die Kellner zu keiner Musik die Weihnachtsdekoration auf, waehrend ich müde mein Kartoffelomelett esse. Dumme schwarz-weisse Köter springen um meine Beine, als ich endlich zur Faehre schlurfe. Einer ist ein Weibchen und schwanger, die beiden anderen kaempfen mit offenem Maul, bedrohlichen Zaehnen und armseligem Gequietsche. Was für eine miserable Existenz, denke ich mir.
Nach Çeşme reise ich schon unter türkischer Flagge. Ich bin froh, dass die Sprachbarriere hier nicht mehr ganz so hoch ist. Ein "Günaydın" und ein kurzes Radebrechen auf Türkisch bringt mir immerhin einen Gratis-Instantkaffee ein. Die Grenzbeamten sind freundlich und verzichten darauf, mein Gepaeck zu durchleuchten, waehrend die drei Amerikaner, die mit mir angekommen sind, angebellt und in Wartestellung gehalten werden.
Auf der Busfahrt nach İzmir müssen wir erst einmal das Baeumchen-wechsel-dich-Spiel durchexerzieren: Die Sitzplaetze im Bus werden so lange hin und her getauscht, bis kein Mann mehr neben einer Frau sitzt, mit der er nicht verheiratet oder verwandt ist. Das wird mit grosser Ernsthaftigkeit betrieben und einer der Amerikaner muss dreimal den Platz wechseln. Schliesslich sitzt er hinter mir, gaehnt und sagt: "I'm really confused."
In Izmir gönne ich mir den Luxus eines Vier-Sterne-Hotels und eine teure Dose Heineken in der Badewanne. Dank des Taxifahrers, der mich erst eine halbe Stunde spazieren gefahren hat, zahle ich für das Zimmer nur dreissig Euro. Ich finde, dass ich ganz gut weggekommen bin, auch wenn ich an die türkischen Maenner nicht mehr gewoehnt bin. Ich weiss nicht mehr, wie ich mit den Heiratsantraegen und den Komplimenten wegen meiner blauen Augen umgehen soll, kichere daemlich und tue so, als haette ich plötzlich jedes türkische Wort vergessen. Am naechsten Tag habe ich schon zwei Freunde: den Mantelverkaeufer und Oktay, einen verrückten Kurden mit grossen Silberringen an jedem Finger und langen struppigen Haaren, der angeblich acht Sprachen beherrscht. Zumindest ist sein English schon mal ziemlich gut, er stinkt zwar ein bisschen, hat aber unendlich viele Lebensweisheiten auf Lager, und wir trinken mehrere Glaeser Tee miteinander, waehrend ich auf den Bus nach İstanbul warte.