Vom dunklen Paradies zum Licht der Vernunft: Das mittelalterliche Klosterensemble in Maulbronn

Im Paradies ist es kalt und dunkel. An diesem Februartag sind wir fast alleine hier und gewinnen das Gefühl, in eine andere, ferne Welt einzutauchen. In dem riesigen Komplex des Klosters Maulbronn kann man sich verlieren, als bewege man sich in der Kulisse für Umberto Ecos „Der Name der Rose“, und tatsächlich wurden hier Teile der Romanverfilmung gedreht. Dem gerade verstorbenen großen Literaturwissenschaftler, Philosophen und Autor zu Ehren haben wir einmal diese Zeitreise unternommen und sogar am Ende ein paar Gedanken für die Gegenwart gewonnen. Die weitläufige Klosteranlage umfasst neben der Kirche mit Kreuzgang und Garten viele gut erhaltene Nebengebäude um einen weiten Platz und vermittelt eindrücklich die mittelalterlichen Gegebenheiten. Sie gilt als am vollständigsten erhaltene mittelalterliche Klosteranlage nördlich der Alpen und hat es so auf die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes geschafft.

Paradies

Da die Anlage so gut erhalten ist, lassen sich an ihr auch die unterschiedlichen Baustile von der Romanik bis zu Spätgotik ablesen. Im 12. Jahrhundert begannen Zisterzienser mit dem Bau des Klosters in einem abgeschiedenen Waldtal. Seinen Namen („Mulenbrunnen“) erhielt das Kloster wahrscheinlich von einer Mühle und einer Quelle. Die Sache mit dem Maultier dagegen ist eine Legende, auch wenn sie – wie so oft – die hübschere Geschichte ist und dem Kloster wie dem Ort ein niedliches Wappentier bescherte. Das Maultier, so heißt es, habe den Platz für das künftige Kloster angezeigt, indem es stehenblieb und mit dem Huf scharrte. Den Brunnen gibt es zumindest immer noch, er steht in der Mitte des Klosterhofs. Will man von hier aus das eigentliche Kloster besuchen, muss man das Paradies durchschreiten. Dafür muss man zum Glück nicht gleich sterben, denn das Paradies ist nichts anderes als die Vorhalle der Klosterkirche. Sie wurde von einem unbekannten Meister geschaffen und gilt als eigentliches Kunstwerk des Klosters. Mit dem raumgreifenden Kreuzrippengewölbe brachte der Unbekannte die frühe Gotik Nordfrankreichs in den deutschsprachigen Raum. Dies setzte er auch im Herrenrefektorium und dem südlichen Kreuzgangflügel fort. Der Name „Paradies“ für die Vorhalle erklärt sich aus der Tatsache, dass im Mittelalter solche Vorhallen traditionell mit Darstellungen des Sündenfalls ausgemalt wurden.

Von hier führten einst die mächtigen, 900 Jahre alten Türen zur Klosterkirche. Heute passiert man einen Nebeneingang nahe dem Cellarium, das nun als Ausstellungsraum dient, und ein modernes Drehkreuz. Anschließend öffnet sich der allein schon in seinem Umfang beeindruckende Kreuzgang mit hohen Säulen, die viel Licht einlassen. Er umrahmt einen stillen, aber lichten, weil ebenfalls weiten Kreuzhof. Dort steht ein alter Magnolienbaum, der dank des eigentlich viel zu milden Winters schon seine zart geschwungenen Knospen trägt. Der Baum schmiegt sich beinahe an das fünfeckige Brunnenhaus, das in den Innenhof hineinragt. Dieser Anbau gilt als das eigentlich Wahrzeichen des Klosters Maulbronn. Mit seinem dreischaligen Brunnen und den durchlässigen Spitzbogenfenstern gibt es dem Ensemble an dieser Stelle eine beinahe maurische Anmutung. Allerdings ist dieser Eindruck nicht ganz „echt“ – vom mittelalterlichen Brunnen stammt nur die unterste Schale, die anderen wurden im 19. Jahrhundert romantisierend „rekonstruiert“.

Blick durch den Kreuzgang ins Brunnenhaus

Brunnenhaus 20160214_140403

Vom Kreuzgang gehen die weiteren Klosterräume ab, unter anderem das ebenfalls gut erhaltene Kalefaktorium, die Wärmestube als einziger beheizbarer Raum des Klosters. Am diesem kalten Februartag wird deutlich, unter welchen Umständen hier die Mönche zwischen den dicken steinernen Mauern gelebt haben. Besonders beeindruckend sind die beiden Speisesäle für Mönche und Laienbrüder, das Laien- und das Herrenrefektorium. Auch hier fühlt man sich in längst vergangene Zeiten zurückversetzt, in denen nicht nur mönchisch gebetet und gearbeitet wurde, sondern auch fürstlich repräsentiert und taktiert. Im Gewölbe des Herrenrefektoriums sind Malereien aus dem 16. Jahrhundert erhalten; im zweischiffigen Laienrefektorium erklingt heutzutage Kammermusik in stilvollem Rahmen. Nachdem wir die Treppe zu den nicht zugänglichen Räumen der heute noch betriebenen Schule (mittlerweile ein evangelisches Internat) passiert haben, betreten wir – wie einst die Mönche von ihren Schlafräumen zum nächtlichen Gebet – durch einen Seiteneingang den Altarraum der Klosterkirche. Rechter Hand befindet sich der Chor mit dem geschnitzten Gestühl aus romanischer Zeit, geradeaus fällt die Totenpforte auf, durch es direkt auf den Friedhof ging. Im Chor befindet sich auch die Maulbronner Madonna aus Walnussholz, die seit ihrer Restaurierung im Jahr 2013 wieder in altem Glanz erstrahlt. Ansonsten ist die Kirche im zisterziensischen Geist schlicht gehalten, ohne großen Zierrat und Zusatzausstattung wie Empore oder Krypta.

Chorwand mit Maulbronner Madonna

Chorwand mit Maulbronner Madonna

Herrenrefektorium

Herrenrefektorium

Kirchendecke

Gotisches Gewölbe im romanischen Langhaus der Kirche

Kreuzgang

Parlatorium (hier durften sich die Mönche unterhalten)

Doch wo ein Kloster ist, gibt es üblicherweise auch Wunder, und das ist in Maulbronn nicht anders. Das hiesige Wunder findet einmal im Jahr statt, am 21. Juni, dem Tag der Sommersonnenwende. Dann nämlich erreicht die Sonne ihren höchsten Punkt und ihre Strahlen fallen durch ein rotes Glasfenster auf die Dornenkrone des Gekreuzigten, sodass sie wie in echtes Blut getaucht wirkt. Die Interpretation dieses Wunders bleibt den Besuchern überlassen. Sie können sich anschließend dann noch mit der nicht weniger wunderlichen Geschichte des Doktor Faustus beschäftigen. Der, so will es zumindest die Sage, hat hier im Jahr 1516 im geheimnisvollen Faustturm residiert und für den berüchtigten Abt Entenfuß Gold hergestellt. Bekanntlich ranken sich um den Alchimisten und Astrologen Johann Georg Faust jede Menge Mythen (die Adaption von Johann Wolfgang Goethe ist nur eine von vielen); vermutlich wurde er in der Gegend um Maulbronn geboren und war einer, der es genauer wissen wollte, als es gesellschaftlich akzeptiert war.

Faustturm

Faustturm

Lohnenswert ist nach der Zeitreise in den weitläufigen Gemäuern auf jeden Fall noch der Gang über die hölzerne, überdachte Brücke über den Klostergraben und ein Aufstieg in die sich anschließenden Weinberge. Von oben hat man einen schönen Rundumblick über das weitläufige Klosterareal und bekommt einen guten Eindruck auch von der umgebenden Landschaft, die von den Mönchen kultiviert wurde. Die Erschließung und Bewirtschaftung der umliegenden Ländereien mit Weinbergen, Obstangern, Wasserkanälen und Fischteich gehörte eigens zum täglichen Brot der Zisterzienser. In Maulbronn lässt sich auch dieser Teil des mönchischen Lebens gegenwärtig noch in einmaliger Weise nachvollziehen, was einen nicht unerheblichen Beitrag zur Zertifizierung als Weltkulturerbe leistete.

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Klostermauer mit Graben und Brücke

Zum Abschluss der Zeitreise wage ich noch einen etwas anderen Zeitsprung, der aber seinen eigenen Reiz hat. Im Jahr 1985 schrieb der „Spiegel“ anlässlich der Verfilmung von Ecos „Der Name der Rose“ folgende, heute wieder erschütternd aktuellen Zeilen: „Tatsächlich liest sich ‚Der Name der Rose‘, das ‚große Figurengedicht‘ (Eco), als wär‘s ein Stück von heut: Throne bersten, Reiche zittern, es herrscht Weltuntergangsstimmung, Endzeit-Apostel sammeln Schäfchen, fanatische Ideologen grassieren, die, so Eco, ‚zur Verbesserung der Menschheit Blutbäder anrichten‘. Tröstlich bleibt da, daß einer, William von Baskerville, an den ‚stolzen Denkwegen der natürlichen Vernunft‘ festhält: ‚Fürchte die Wahrheitspropheten‘, mahnt er seinen Adson, ‚und fürchte vor allem jene, die bereit sind, für die Wahrheit zu sterben.‘ Denn: ‚Gewöhnlich lassen sie viele andere mit sich sterben.‘ Solchen Propheten solle er mit ‚Lachen‘ begegnen, Lachen sei ‚die höchste Vollendung des Menschen‘.“ (Der Spiegel 46/1985)

P.S.: Mein Lektor sagt, ich soll schreiben, dass das Museum in der Küferei nichts für kleinere Kinder ist, da man dort ohne Vorwarnung auf eine mumifizierte Katze trifft. Das Kind hat sich daran allerdings nicht gestört.


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