„A home away from home“. Die Überschrift ragt in dicken Buchstaben über dem Profil unseres zukünftigen Hosts auf workaway.info. Versprechen und Verlockung zu gleich. Klar, da möchten wir Teil davon sein. Teil eines familiengeführten Hotels am Rande der Thar Wüste im
Was es jedoch heißt mit einer indischen Familie zusammen zu leben und welche tiefgehenden Einblicke wir bekommen würden, war uns zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht so richtig bewusst.
„Most welcome my friends!“ begrüßt uns Yogi, unser Host bei der Ankunft am Bahnhof. Ein groß gewachsener Mann, gutmütig und freundlich. Sein Auftreten erinnert tatsächlich ein wenig
v. li. nach re.: Deboo und Nanoo
Yogi erzählt uns während des Essens über seine Familie und das Hotel. Er lebt mit seinen Eltern und seiner Frau hier in diesem Haus, das Hotel, Guesthouse und Hostel im einen ist. Sein Vater ist pensionierter Brigadier der Indian Army, die Mutter Hausfrau. Kinder hat er keine. Er wurde als junger Mann verheiratet, sollte glücklich sein, hat das Vorhaben aber nach 3 Jahren Ehe aufgegeben und lebt mit seiner Frau nun „freundschaftlich“ unter einem Dach. Scheidung gibt es nicht in Indien. Bum! Wir blicken uns fragend an. Sehr viel Ehrlichkeit für die ersten Stunden. Aber jetzt ins Bett. Morgen geht es um 6 Uhr los!
Warmwasseraufbereitung ist eben Männerarbeit
Mit meiner Tasse Milchtee verschwinde ich aus der Küche Richtung Schuppen wo schon die erste Verantwortung des Tages auf mich wartet. Warmwasser für die langsam erwachenden Gäste produzieren! Easy, werdet ihr jetzt denken. Schalte doch einfach den Boiler ein und leg
Die Magie des Morgens
Guten Morgen Wüste!
Ich stelle meinen Chai ab und lehne mich entspannt an die Begrenzungsmauer des Flachdaches. Wenn man von einer Sache in der Wüste berichten muss, dann vom Sonnenaufgang. Der Moment, wenn die Sterne langsam den Farben des Morgens Platz machen, wenn sich die Sonne schemenhaft am Horizont Stück für Stück in den neuen Tag kämpft, wenn sich Vogelschwärme in den Himmel erheben und voll Freude den neuen Tag begrüßen, ja dann scheint es als würde die Zeit still stehen und nur dieser eine Moment von Bedeutung sein.
Genussvoll nippe ich an meinem Chai und genieße den Frieden und die Stille. Aus der Nachbarschaft tönen leise die Gebete der Moscheen hoch bis zu unserem Dach empor. In den umliegenden Häusern erwacht ebenfalls das Leben. Die Hausfrauen in ihren bunten Saris gekleidet beginnen zu fegen und Wäsche zu waschen. Gelb, Rosa, Dunkelblau oder Knallgrün. Stoffe in allen Farben sind vertreten, einer prachtvoller als der andere. Überblickt man die Nachbarschaft, erscheinen die Frauen in ihren Saris wie bunte Farbtupfer auf der sandsteinfarbigen Einöde der Häuserflut. Sie hauchen der verblassten und von Sand verkrusteten Stadt Lebensfreude und Abwechslung ein. Es ist ein wahrhaft magisches Bild.
Mittlerweile zieht die Sonne immer höher in den Himmel hinauf und die Wärme strahlt mir ins Gesicht. So eisigkalt es in der Nacht auch ist, sobald die Sonne zum Vorschein kommt wird es warm. Richtig warm! Temperaturen Anfang Dezember um die 30 Grad sind keine Seltenheit. Ich nehme den letzten Schluck aus der Tasse und schwebe fast die Treppe hinunter zurück zu meiner heißen Arbeitsstelle. Temperatur des Boilers passt, noch mal nachlegen und dann: Warmwasser marsch! Frohes duschen allerseits, denke ich im Stillen und mache mich dann auf den Weg in die Küche.
Was es bedeutet in Indien Diener zu sein
In der Küche herrscht schon geschäftiger Betrieb. Nanoo und Deboo bereiten Frühstück und
Deboo durfte ein paar Jahre die Schule besuchen und kann somit ein wenig Lesen und Schreiben. Manchmal wenn es nicht zu stressig ist, liest Deboo laut aus der Zeitung vor und Nanoo inspiziert kritisch die dazu passenden Bilder. Für mich sind die beiden das Küchen Dream-Team und geben unserem Aufenthalt eine gewisse persönliche Note. Sie nehmen ihr Schicksal so wie es ist, sind immer zu Scherzen aufgelegt und absolut liebenswerte Menschen.
Deboo zaubert leckere Chapatis
Welches Schicksal, werden jetzt manche von euch fragen. Hier ein paar Fakten: Nanoo kam als Junge im Teenageralter in das Hotel und lebt seitdem als 24h Diener/Koch für die Familie. Er stammt aus einer unteren Kaste vom Land und ist froh, diesen Job zu haben. Sein Tag beginnt um 6:00h Früh (seit wir hier sind ein wenig später, da ich den Boiler für ihn beheize) und endet fast immer erst gegen Mitternacht. Er schläft auf einer Liege im Speisesaal und trägt somit auch die Verantwortung eines 24h Portiers. Er kümmert sich außerdem um alle Angelegenheiten in der Küche, erledigt alle Einkäufe und Instandhaltungsaufgaben im Hotel.
Obendrein ist er persönlicher Diener der Hotelbesitzer Yogi und seiner Frau Samar welche seine Dienste mehr als regelmäßig in Anspruch nehmen. Er hat einen vier Monate alten Sohn, der mit seiner Frau gut 100km weit weg wohnt. Manchmal zeigt er uns ganz stolz die Bilder seiner Familie. Besuchen kann er sein eigenes zuhause in etwa alle drei Monate für ca 3-4 Tage. Ansonsten stehen seine Dienste immer der Hoteliers-Familie zur Verfügung. Monatlicher Verdienst INR 7.000 (ca. EUR 90). Zum Vergleich, ein durchschnittlicher Beamter in Indien verdient ca. INR 35. 000 (ca. EUR 450). Deboo teilt ein ähnliches Schicksal, nur hat er noch keine Familie und seine Aufgaben beschränken sich hauptsächlich auf Kücheninstandhaltung und leichte Tätigkeiten am Gebäude. Und natürlich „grooming“, also intensive Brautschau!
Yogi und seine Frau Samar
Die Hotelbesitzer kommen aus einer sehr hohen und angesehenen Kaste, daher sind die Verhältnisse klar geregelt. Dienstverträge gibt es nicht. Das Wort Gewerkschaft existiert nicht. So ist es nun mal in Indien. Das einzige Entkommen seines Schicksals nach Verständnis vieler Inder ist die Wiedergeburt in eine bessere Kaste. Bis dahin muss das Schicksal eben getragen und sein Karma auf Hochglanz poliert werden. Dass das Kastendenken noch mehr als präsent ist in Indien ist eine Tatsache und kann nicht geleugnet werden. Das Kastensystem hat den Hinduismus seit Jahrtausenden beherrscht und wird nicht so schnell aus den Köpfen der Menschen verschwinden. Auch wenn der indische Staat offiziell behauptet es wäre nicht mehr von Bedeutung. Für Menschen wie Nanoo und Deboo ist es lebensweisend.
Hotelmarketing nach indischer Art -
Willkommen im Shri Ram Heritage Hotel, Hostel, Guesthouse and Longtermstay.
Wir unterstützen Yogi bei der Vermarktung seiner Beherbergungsvielfalt im Internet. Bei der Frage welche Zielgruppe er eigentlich ansprechen möchte, meinte er ganz überzeugt: „Everybody“. Da er unsere fragenden Blicke nur schwer deuten kann, führt er weiter aus, dass er Absichtlich mehre Namen für seine Bleibe führt:
Hotel deswegen, weil indische Gäste in keine Guesthouse oder Hostel gehen wollen, diese wollen ein Hotel.
Guesthouse ist für Gäste aus Europa und Amerika wichtig die eine familiäre Atmosphäre suchen und eng an der indischen Kultur leben wollen.
Hostel soll die Backpacker und Budget Traveller ansprechen,
ja und longtermstay, ganz klar, für die Arbeiter von außerhalb, die eine Bleibe suchen.
Abendessen kochen Rajasthani Style
Nach einem Nickerchen am Rooftop finden wir uns wieder in der Küche bei Nanoo und Deboo
“Jackson” und Deboo
ein. Heute wird gekocht! „Jackson, happy to see you and Martina wife“! strahlt uns Deboo entgegen. „Same here young man!“ lache ich laut und klatsche gleich mal kräftig ab mit dem jungen sympathischen Inder. Seit wir uns vorgestellt haben wurde ich zu Michael Jackson umgetauft und Martina ist Martina wife. Nanoo kommt auch gleich mit dem ersten Auftrag: „3 tomatoes, chop, chop – 5 onions slice for salad and 3 green chillies!“ Alles läuft wie geschmiert. Es wird Gemüse geschnibbelt, gebraten, gebrutzelt und zwischendurch werden auch ein paar Witze über die Chefitäten gemacht. Aber immer sehr respektvoll und nett. Nie böse. Ein kleines Ventil für einen harten Dieneraltag.
Zwischendurch beobachten wir Nanoo immer wieder voller Neugier, wie er eine indische Köstlichkeit nach der anderen zaubert. Es scheint, als würde jedes Gericht nach seinen eigenen Regeln zubereitet werden. Gewürzt wird nur nach Gefühl und Geschmack. Herrliche Sachen werden zubereitet: Von einfachem Fried Dhal über Aloo Gobi, Mutter Paneer aber auch Masala Chicken. Es ist eine wahre Freude, dem Koch bei seinem Schaffen zusehen zu können. Sobald Nanoo dann einmal kurz die Küche verlässt, kommt Deboo schon mit einem kleinen Löffel angerannt um uns ja alles probieren zu lassen. Das machen wir natürlich sofort.
Die Speisen in Rajastahn sind eigentlich sehr schwer und mächtig. Im Vergleich zu den Speisen im Süden werden im Norden öfter Chapatis als Reis gegessen und es wird auch nicht mit dem Öl gespart. Da wir in einem sehr guten Haus in Indien leben, gibt es auch öfters Fleisch. Normalerweise ist die Küche Rajasthans eher vegetarisch geprägt. Wir sind begeistert und verputzen so ziemlich alles was man uns vorsetzt! Und so vergehen nicht nur die Stunden in der Küche wie im Flug, sondern generell die gesamte Zeit im Hotel.
Ansonsten war es für uns eine absolut tolle Erfahrung, für eine gewisse Zeit Teil dieser „Familie“
Wir wünschen Yogi, seiner Familie und besonders Nanoo und Deboo Alles Gute und die Freiheit, zumindest einen Teil Ihrer Träume leben zu können.