Vollgeld statt Finanzblasen

Gut zwei Jahre nach der Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen ist in der Schweiz die Vollgeld-Initiative mit etwas über 100’000 gültigen Unterschriften zustande gekommen. Es ist die zweite Initiative innert kurzer Zeit, die dafür sorgt, dass grundlegende Fragen unseres Wirtschaftssystems einer demokratischen Diskussion unterworfen werden. Das ist auch dringend nötig. Worum geht es bei der Vollgeld-Initiative? Und was erhoffen sich die Initianten? – Eine Tour d’Horizon.

Es ist höchste Zeit, dass wir uns dem Lauf der Wirtschaft nicht einfach wie einem Naturgesetz unterwerfen und deren Gestaltung den sogenannten Wirtschaftsexperten überlassen, die doch nur Lobbyisten ihrer finanzkräftigen und daher mächtigen Einflüsterer sind. Nicht zuletzt dies bringen die beiden voneinander völlig unabhängigen Initiativen zum Ausdruck. Während die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen das rigide Verhältnis zwischen Arbeit und Einkommen in Frage stellt[1], zielt die Vollgeld-Initiative auf die Funktion, auf die Wertigkeit des Geldes selbst in der Wirtschaftsmechanik und damit wohl in deren Mark. Kein Wunder geht durch die Wirtschaftselite ein deutlich zu vernehmender Aufschrei, zum Beispiel Seitens der Avenir Suisse.[2] Das Gezeter wird zunehmen, wenn die Vollgeld-Initiative zur Beratung vor die eidgenössischen Räte kommt. Und wenn die Volksabstimmung ansteht, werden nach allen Regeln der Kunst, aber entlang längst ausgedienter Argumentationsmuster die Ängste vor jeglicher Veränderung des Wirtschaftssystems geschürt werden.

Was ist Vollgeld?

Die Vollgeld-Initiative möchte, dass wir von einem Mindestreserve-System wieder zurück zu einem Vollreserve-System wechseln. Das heisst, dass ebenso wie das Bargeld neu auch das Buchgeld, das zunächst als reine Zahl auf unseren Konten erscheint, wieder eine volle Deckung durch «offiziell» – also durch die Nationalbank – geschöpftes Geld aufweisen soll. Die Initiative will deshalb den «normalen» Geschäftsbanken verbieten, neues Geld zu schöpfen. Vielmehr soll dies unserer Nationalbank vorbehalten sein. Nicht nur die Münzen und Banknoten wie bis anhin, sondern auch das (elektronische) Buchgeld soll künftig allein von der Nationalbank geschöpft werden dürfen. Dieses wird nämlich heute – und dessen sind sich viele nicht bewusst – von den privaten Geschäftsbanken gleichsam aus dem Nichts geschaffen. Sobald die Bank einen Kredit vergibt, der nicht zu hundert Prozent von Geldeinlagen ihrer Kunden oder durch Kredite der Zentralbank gedeckt ist – und dies ist der Normalfall –, entsteht wie durch ein Wunder – schwups! – neues Geld, das es vorhin nicht gab. Natürlich ist es zunächst nur Buchgeld, eine Zahl auf dem Kontoauszug – das Versprechen der Bank, bei Bedarf die entsprechende Summe in bar auszuzahlen. Doch sobald dieser Kredit beansprucht, etwa eine Rechnung damit bezahlt wird, weitet sich die Geldmenge aus. Und auf diese Geldmengenausweitung durch die Banken hat heute die Nationalbank nur indirekt und beschränkt Einfluss, obschon zu deren wichtigsten Aufgaben die Überwachung der Stabilität des Finanzsystems gehört.

Gegenwärtig sind nur zehn Prozent der Franken, die auf Schweizer Bankkonten liegen, durch «echtes Geld» gedeckt, also durch solches, das durch die Nationalbank geschöpft und so in den Rang eines gesetzlichen Zahlungsmittels erhoben worden ist. Wenn also alle KontoinhaberInnen der Schweiz gleichzeitig auf die Idee kämen, ihr Guthaben abheben zu wollen, weil das Geld unter der Matratze halt doch sicherer liegt, so müssten sie sich neunzig Prozent ihrer Guthaben ans Bein streichen … Dumm gelaufen! Zwar gibt es eine staatliche Einlagensicherung für Guthaben bis zu 100’000 Franken. Allerdings sind dafür maximal sechs Milliarden Franken vorgesehen, was 1,4 Prozent aller Guthaben entspricht.

Dem und weiteren destruktiven Erscheinungen der heutigen Geldwirtschaft will die Vollgeld-Initiative entgegentreten. Wird sie angenommen, so wird an einem Tag X alles Buchgeld (in Franken) auf Schweizer Bankkonten zum Vollgeld erklärt. Laut Initianten handelt es sich «nur um eine buchhalterische Veränderung an einem bestimmten Stichtag; das Vollgeld-System etabliert sich danach schrittweise innerhalb von einigen Jahren».[3]

Was für Auswirkungen sind zu erwarten?

Folgende Argumente zugunsten eines Vollgeldsystems führen die Initianten ins Feld:

  • Echte Franken liegen auf unseren Konten: Auch das Buchgeld auf unseren Konten gehört künftig vollumfänglich seinem Besitzer – «wie das Bargeld im Portemonnaie oder im Tresor. Es steht jederzeit zur Verfügung, auch wenn eine Bank in eine Krise oder sogar in Konkurs gerät.»
  • Eine Gesetzeslücke wird geschlossen, denn im Jahr 1891 verbot die Schweizer Stimmbevölkerung den Banken das Drucken von Geldscheinen – nachdem es zu erheblichem Wildwuchs bei der Herstellung von Banknoten gekommen war – und übergab dieses Recht dem Bund, der dafür die Schweizerische Nationalbank (SNB) gründete. Der Volkswille kam damals klar zum Ausdruck, bloss gab es noch kein (elektronisches) Buchgeld. Kommt hinzu, dass im Artikel 991 der Bundesverfassung festgehalten wird: «Das Geld- und Währungswesen ist Sache des Bundes.» Es besteht heute dazu also eine deutliche Diskrepanz und eine Gesetzeslücke, die nun geschlossen werden soll.
  • Die Erlöse der Geldherstellung kommen der Allgemeinheit zugute. Denn wenn Geld geschöpft wird, also zum Beispiel Banknoten gedruckt werden, so entsteht, wie man sich leicht vorstellen kann, ein Erlös, die sogenannte Seigniorage. Dieser Erlös errechnet sich aus der geschöpften Geldmenge abzüglich der dafür aufgewendeten Kosten, unter anderem für die Herstellung der Banknoten. Beim heutigen System kommt der grösste Teil des Erlöses den privaten Geschäftsbanken zugute, weil sie durch die (nur teilweise gedeckte) Kreditvergabe eben auch den grössten Teil des neuen Geldes – aktuell neunzig Prozent – selber schöpfen. Der Erlöses daraus fliesst grösstenteils in die Finanzindustrie, nur etwa ein Fünftel in die Realwirtschaft. Im Vollgeldsystem fällt der gesamte Erlös der Geldschöpfung bei der Nationalbank an und fliesst über die Gewinnausschüttung an den Bund und die Kantone. Laut den Initianten sind das jährlich fünf bis zehn Milliarden Franken. Immerhin! Gesellschaft und Realwirtschaft würden davon erheblich profitieren.
  • Fairere Marktbedingungen entstehen: Dass die Banken eigenes Geld schöpfen können, kommt einer kräftigen Subvention durch den Staat gleich. Denn sie haben dadurch einen erheblichen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Unternehmen. Mit dem selbstgeschöpften Geld können sie (im eigenen Namen) Handel betreiben, etwa Wertpapiere oder Immobilien kaufen. Andere Unternehmen müssen die Mittel für Investitionen zuerst selbst erarbeiten oder zinspflichtig ausleihen. «Banken hingegen arbeiten heute mit Geld, das sie selbst herstellen.» Ihre Investitionen lassen sich dadurch einfacher finanzieren und rentieren so schneller. Durch ein Vollgeldsystem werden die Banken den anderen Unternehmen wieder gleichgestellt.
  • Vollgeld vereinfacht die Bankenregulierung. Seit der Bankenrettung im Jahr 2008 werden die Bankgeschäfte zunehmend reguliert. Es ist ein kompliziertes, ausuferndes und doch nicht recht wirksames Regulationssystem entstanden, das zwar für die grossen, weltweit tätigen Banken gedacht ist, aber zunehmend auch die kleinen und mittleren, regionalen Banken in ihren herkömmlichen Bankengeschäften (Zahlungsverkehr, Kreditvermittlung, Vermögensverwaltung und weitere Finanzdienstleistungen) trifft – und ihre Existenz gefährdet. Es sind aber gerade diese Banken, die der regionalen Wirtschaft der KMUs dienen. Durch ein Vollgeldsystem wird ein Teil der Regulatorien überflüssig. Die regionalen Banken können von Vorschriften entlastet werden. Das traditionelle Bankengeschäft wird gestärkt.
  • Der Finanzmarkt wird durch Vollgeld gebändigt. Immer risikoreichere Finanzprodukte sorgen dafür, dass sich die Geldmenge übermässig ausweitet. Man kann von einer Wucherung sprechen. «Zwischen 1990 und 2012 wuchs die Geldmenge in der Schweiz fünf Mal schneller als die Wirtschaftsleistung (BIP).» Dadurch entstehen Finanzblasen, die ganze Bereiche der Realwirtschaft in den Abgrund reissen können, wenn sie platzen. Und das haben Blasen nunmal so an sich. Gleichzeitig ist zu bedenken, dass die heutige Finanzwirtschaft nur in geringem Mass zum Gedeihen der Realwirtschaft beiträgt. Sie hat volkswirtschaftlich betrachtet etwas Schmarotzerisches. Es ist höchste Zeit, sie zu bändigen. In einem Vollgeldsystem gelingt dies, indem die Nationalbank die Geldmenge unter Kontrolle hat. Selbstverständlich steht es ihr frei, die Geldmenge entsprechend dem Wachstum der Realwirtschaft auszuweiten.
  • Vollgeld trägt zur Entschuldung der Gesellschaft bei. Das von den Geschäftsbanken neu geschaffene Geld kommt – in Form von Krediten – als Schuld in Umlauf. Die unkontrollierte Geldmengenausweitung ist daher automatisch mit einer entsprechenden Zunahme der Verschuldung verbunden. Und weil «eine wachsende Wirtschaft auf immer mehr Geld angewiesen ist, müssen auch die Schulden immer weiter zunehmen. Eine Rückzahlung der Schulden im grossen Stil ist nicht möglich, da damit auch das Geld aus dem Umlauf verschwinden würde.» Im Vollgeldsystem erfolgt die Geldschöpfung, ohne dass dadurch neue Schulden entstehen, die verzinst werden müssen. Die Initianten erwarten deshalb eine deutliche Reduktion der Gesamtverschuldung im öffentlichen wie privaten Bereich, nicht zuletzt weil die Erlöse der Geldschöpfung durch die Nationalbank direkt der Allgemeinheit zugute kommen. Für Wirtschaft und Gesellschaft ist das eine grosse Entlastung.

Anmerkungen:

[1] Siehe dazu zum Beispiel «Grundsätzliches zum Grundeinkommen».

[2] Dazu ihr Positionspapier «Leere Vollgeld-Hoffnungen» von Rudolf Walser und Jörg Baumberger

[3] Dieses und die folgenden Zitate sind dem Argumentarium der Initianten entnommen.

Link zur Webseite der Initianten:

csm_Deutsch_Header_vollgeld-initiative_2014_05_29e56433ee


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