Es ist die Mannschaft vom kommenden Jahr, die Sven Köhler gegen Holstein Kiel auf den Rasen schickt. Der ehemalige Abwehrchef Christoph Klippel, das ist diesmal die einzige Neuerung des seit der Winterpause so experimentierfreudigen Trainers, darf diesmal als Rechtsverteidiger ran. Der zuletzt wieder und wieder durchgeschüttelte Rest mit dem Dribbel-Trio Aydemir, Hauk und Lindehahn, der Mittelfeldzentrale Boltze und Hartmann und der Innenverteidigung Mouaya/Kamalla ist nach fünf Spielen ohne Niederlage die neue Stammelf. Auch der frühere Flügelflitzer Nico Kanitz spielt wieder von Anfang an, und wieder als Linksverteidiger. Raus aus dem Tagesteam und mit einiger Wahrscheinlichkeit auch aus der Zukunftself sind Fußballgott Thomas Neubert, Verteidiger Jan Benes, Philipp Schubert und Markus Müller.
Doch der trotz der zwischenzeitlichen Erfolgsserie der Hallenser ist es ein Spiel zweier enttäuschter Vereine, das gerade mal 1500 Fans in die Neustädter Vorstadttristesse lockt. Vor zwei Jahren spielten beide noch auf Augenhöhe um die Meisterschaft, mittlerweile sind sie gemeinsam im gehobenen Mittelmaß der Liga angekommen. Halle Platz fünf, Kiel kurz dahinter - weil nach oben für beide nicht mehr viel drin ist, nach unten aber auch nichts mehr passieren kann, steht mitten im April bei strahlendem Sonnenschein Sommerfußball auf dem Programm.
Die ersten zehn Minuten zumindest gehören den Gastgebern. Marco Hartmann, die Entdeckung der Saison, schießt als erster aufs Tor, Kiels Torwart Frech aber hält sicher. Danach haben die Hallenser mehr Ballbesitz, aber sie spielen auch mehr Fehlpässe. Im Strafraum der Gäste passiert gar nichts mehr. Auch Angelo Hauk, im
März noch der Spielentscheider vom Dienst, ist wieder zurück in seinem früheren Leben als pfeilschneller, mit den Armen rudernder Abschlußvermeider.
Er ist nicht der einzige, der entschlossen scheint, abzuwarten, bis ein Kollege das Spiel entscheidet. Aydemir, angeblich von Bundesligavereinen umworben, Lindenhahn, bei Red Bull auf dem Einkaufszettel, und Sturm-Junior Dennis Mast spielen Fehlpass auf Fehlpass. Die kleinen Spitzen werden hoch angespielt, je näher der Ball dem Strafraum kommt, desto gewisser ist, dass ihn gleich ein Spieler in Blau haben wird.
Ein langweiliges, nahezu ereignisloses Spiel, das noch Ewigkeiten so weitergehen könnte. Was es auch tut. Bis zur Halbzeit tobt das sparsame Geschehen schaumgebremst im Mittelfeld hin und her. Klippel zeigt Mal um Mal, dass er kein Rechtsverteidiger ist, Hartmann bekommt einen Schlag auf die kürzlich erst angeknackste Nase, Kiels Frech steht derweil weit vor seinem Kasten und hält sich mit Gymnastik warm. Seine Abwehr hat Halles Offensivkräfte im Griff.
Spannend ist eigentlich nur noch die Frage, ob der Auftritt im Energiesparmodus den Hallensern zum offenbar ersehnten torlosen Remis reichen wird wie früher, als Regungslosigkeit nach vorn, von einer stabilen Abwehr gesichert, auch an schlechten Tagen immer für ein Pünktchen reichte.
Nein, diesmal nicht. Kiel macht nach Wiederanpfiff zwar nicht viel nach vorn, Halle aber macht gar nichts mehr. Mit zwingender Logik kommt es, wie es erfahrene Tribünengäste längst vorhergesehen haben. Einen Fernschuß von Sachs wehrt Darko Horvat noch bravourös ab, den Nachschuss aber schießt Lindner ins Netz. Hängende Köpfe bei Halle, pure Ratlosigkeit steht in den Gesichtern. Die noch größer wird, als Heider nur drei Minuten später eine klaffende Lücke zwischen Kamalla und Mouaya findet, einfach mal abzieht und aus 18 Metern in die lange Ecke trifft.
Das wars, wissen die Alten auf den Traversen. Zum ersten Mal seit Monaten stehen Zuschauer auf und machen sich noch vor Sven Köhlers standardisiertem Doppelwechsel nach einer Stunde auf den Weg nach Hause. Sie verpassen den emotionalsten Moment eines Matches, das alllenfalls als fürchterlicher Rückfall in die finstersten Zeiten der jüngsten halleschen Fußballgeschichte eingehen wird: Als Hartmann im Zweikampf vom Ball an der lädierten Nase getroffen wird und schmerzverkrümmt liegenbleibt, stellen alle seine Mannschaftskollegen die Mitarbeit am Spiel augenblicklich ein, um engagiert auf Freistoß zu plädieren. Nur Kiels Wulff spielt weiter und trifft gegen den alleingelassenen und chancenlosen Horvat zum 0:3.
Ein Debakel aus heiterem Himmel, eine Vollbremsung in der Erfolgsspur, die die Fragen nach der Zukunftstauglichkeit der derzeitigen halleschen Bestbesetzung neu aufwirft. Diese Mannschaft kann an guten Tagen mit Sicherheit jeden Gegner in der Liga besiegen. Schon an mittelprächtigen aber steht sie gegen mittelmäßigen Gegner auf verlorenem Posten. Die Abwehr, in den Glanztagen der Ära Köhler die beste Deutschlands, ist ein wackliges Konstrukt aus On-Off-Profis. Das Mittelfeld strahlt kaum Torgefahr aus, der Sturm weiß nicht einmal gegen Gegner aus dem Tabellenkeller Druck aufzubauen. Zwei Elfmeter bekam der HFC in dieser Saison zugesprochen, beide nach gegnerischen Handspielen. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Gefoult werden Hallenser im Elfmeterraum nie - sie tauchen dort einfach nicht oft genug gefährlich auf.