Meine liebe SPD entdeckt gerade die direkte Demokratie. Mal wieder. Konkret fordert Thomas Oppermann, das ist immerhin der Geschäftsführer unserer Bundestagsfraktion, in einem Interview, über die Atompolitik der Bundesregierung abzustimmen.
Direkte Demokratie kommt zwar gerade wieder tierisch in Mode, und es gibt auf den ersten Blick auch eine Mehrheit gegen das, was die Traumkoalition da, ohne rot zu werden, ein „Energiekonzept“ nennt. Aber viel mehr als Umfragen hat man nicht zur Verfügung, um das zu bestimmen.
Und es gibt da eben auch ganz andere Erhebungen: Umfragen, die aufzeigen, dass diese Mehrheit recht fragil ist, weil es eine Angst-Mehrheit ist. Wir haben hierzulande fast ausschließlich, ganz egal zu welchem Thema, nur solche Angst-Mehrheiten, denn Angst ist genug da – Überzeugungen eher wenig: Auch dazu gibt es Umfragen, sogar eine groß angelegte:
Die Ängste der Deutschen
z.B. auf FAZ.net
Die größte Angst meiner Landsleute gilt demnach steigenden Preisen. Und wenn wir dann wieder unseren Blick auf die Atompolitik richten, so stellen wir fest, dass sich auch da recht schnell durchaus gewaltige Zustimmung einstellt, sobald das Preisargument kommt – oder natürlich das ebenfalls Ängste stimulierende Arbeitsplatzargument. Sollte einer diese Diskussion suchen im Rahmen einer Volksabstimmung (nicht, dass ich wirklich denke, das sie kommt), er würde dem Zusammenspiel dieser Ängste nicht entgegenzusetzen zu haben, weil sie so unendlich viel praktischer sind, so weitaus näher an der Lebensrealität der Leute, als das Szenario verstrahlter Landschaften oder auch nur verstrahlter unterirdischer Deponien.
Und ganz bestimmt ist das den Leuten näher als die Förderung der Alternativen – sieht man mal von der grünen Kernwählerschaft ab, ist das Vertrauen in regenerative Energien keineswegs unerschütterlich. Schon die simple Ästhetik der allseits unbeliebten Windkraftwerke macht das zunichte. Es wäre auch kein Problem, hier Argumente zu bringen, die mehr Substanz haben als der Vorwurf der „Landschaftsverschandlung“. In der Tat ist es momentan so, dass so eine olle Windmühle zwischen 10 und 15 Jahren in Betrieb sein muss, damit sie die Energie produziert hat, die mal für ihre Herstellung aufgewendet wurde. Das muss so nicht bleiben, aber im Hinterkopf haben sollte man es nicht zuletzt, weil es mit vielen ähnlich unerfreulichen Fakten auf den Tisch käme, sollte man tatsächlich eine Volksabstimmung durchsetzen.
Kurzum: Es müsste eine Volksabstimmung für eine Alternative sein, nicht nur der unschwer zu erkennende Versuch, eine Regierung unter Druck zu setzen, deren Ansehen schlichtweg nicht mehr beschädigt werden kann. Und ich fürchte, diese Alternative müsste sowohl dem Preisargument als auch dem Arbeitsplatzargument standhalten. Das geht , aber nur, wenn man sehr langfristig denkt und argumentiert, und das ist nun nicht gerade die Stärke von abstimmendem Volk.
Ich verrate außerdem hoffentlich nicht zu viel, wenn ich jetzt mal am Rande andeute, dass die Vorstellungen der SPD (und der Grünen ganz genauso) höchst schemenhaft sind, wenn man sie fragt, wie genau denn jetzt eigentlich diese Energiewende vonstatten geht. Sicher: Es gibt so einen weit verbreiteten Aberglauben, dass vor allem die Grünen da total Bescheid wissen und sich ganz doll Gedanken gemacht haben. Es gibt einen ähnlichen Aberglauben, demzufolge die CDU kompetent in Wirtschaftsfragen ist, wir können die Realität ja gerade in ihrer ganzen Pracht bestaunen.
Aber als die Grünen 1998 , 20 Jahre, nachdem sie ihren Willen zum Atomausstieg formuliert hatten, endlich am Zuge waren, das auch umzusetzen, da wusste keiner von denen wirklich, wie das dann eigentlich konkret abläuft. Und außer einer mehr oder weniger konzeptfreien und daher auch nicht selten kopflosen „Förderung“ alternativer Energien hat das rot-grüne Lager auch keine konkreten Vorstellungen für den Übergang und die Zeit danach. Tatsächlich hat man die bitter notwendige Weiterentwicklung alternativer Energieträger durch die übermäßigen Subventionen sogar verlangsamt, weil die dringend benötigte höhere Effizienz gar nicht nötig war, um Gewinne einzufahren. Deutschland ist voller Solardächer und diese wiederum voller Solarzellen, die kaum den Namen verdienen, vor allem in wenigen Jahren Forschung und Entwicklung verdienen werden (sollten, muss ich wohl schreiben). Natürlich ist es erst recht ein Unding, die Förderung dieser Forschung und Entwicklung jetzt auch noch zurückzuschrauben, wie es meine Traumregierung tut, aber unbedingt gesteuert von Zielvorgaben und mit sinnvollen Bedingungen versehen war es bisher leider auch nicht.
All das müsste sich ein Initiator einer Volksabstimmung wirklich erstmal überlegen – oh, nicht, weil er darüber zu debattieren hätte, diese Diskussion würde frei von echten Inhalten sein. Deswegen eignet sich die Materie ja auch eigentlich nicht dafür. Aber wenn rot-grün eines Tages wieder regieren soll, müssen sie gerade in der Frage besser aufgestellt sein. Nicht, weil man damit Wahlen gewinnen kann, um Himmels willen. Sondern weil man damit Zukunft gewinnen kann.
Gewählt haben wir schon. Wir hatten schon eine Volksabstimmung.
Es war nun wirklich kein Geheimnis, dass zu den zahlreichen Lobbygeschenken, die schwarz-gelb zu verteilen gedenkt, auch und gerade die Verlängerung der Laufzeiten gehört. Und sie sind mit einer Mehrheit ausgestattet worden bei der Bundestagswahl. Vom Volk. Wenn Sie nicht hingegangen sind oder edlere Motive hatten wie die Abstrafung der SPD: Das gehörte nun mal zum Paket. Das nächste Mal wissen Sie es dann besser. Sie sollten diese Zeit zum Nachdenken haben. Sie sollten das Ergebnis Ihrer Volksabstimmung genießen – oder wohl eher „in Muße bereuen“.
Sie müssen mir das nachsehen. Aber Sie haben in der wichtigsten Frage, die Sie als Demokraten, die Sie als „Volk“ zu treffen haben, und es ist nun mal eine, die Sie für vier Jahre treffen!, eine eindeutige Entscheidung gefällt. Keine drei Monate später hätten Sie eine andere Entscheidung gefällt, nicht mal sechs Monate später hätten Sie exakt umgekehrt entschieden. Ich kann daraus jedenfalls nicht ablesen, dass Sie sich so wahnsinnig viele Gedanken gemacht haben, vor allem, wenn ich den Aufschrei erlebe, der jedes Mal erfolgt, wenn die Traumkoalition ihr Programm umsetzt. Dass Sie gewählt haben. Ja, ich weiß, Sie wollten Steuersenkungen: Es ist ja auch bald wieder Weihnachten. Aber zu den Steuersenkungen gehörte nun mal Atommüll, und seien Sie doch froh, dass Sie wenigstens eines von beidem kriegen
Was soll denn das vor allem werden, wenn wir tatsächlich Volksabstimmungen einführen, mit denen man alles wieder rückgängig machen kann, was man aus Versehen mitgewählt hat? Momentan mag das für die SPD ja noch ganz lustig sein. Aber ich sehe uns schon, wenn wir dann in vier Jahren wieder regieren und CDU und FDP aus Lust an der Freude die Zuwanderung oder die EU-Mitgliedschaft zur Abstimmung stellen wollen. Oder wieder den Atomausstieg.
Wir leben ohnehin schon in Zeiten, in denen es kaum möglich ist, auf jeden Fall immer schwerer wird, Mehrheiten für langfristige politische Entwürfe zu gewinnen. Eben diese Nachhaltigkeit ist es aber, die der deutschen Politik, und das in jeder Disziplin, fehlt. Auf kommunaler Ebene wäre ich durchaus dafür zu gewinnen, das nur mal am Rande. Schon weil es dann auf jeden Fall nicht Politik von Springers Gnaden wäre.
Arbeiten wir also lieber an einem nachhaltigen Energiekonzept. Überlegen wir uns, wie wir das mit den Ängsten vor Preissteigerung und Arbeitsplatzverlust in Einklang bringen können. Versuchen wir uns an einem Kompromiss zur Endlagerungsfrage. Da hätte die SPD eine Menge zu tun, und innerhalb der Partei gebe es auch sicherlich erstmal etliches an direkter Demokratie auszuprobieren, bevor auch nur ein Buchstabe in die Zeitungen kommt.
Da ist dann mehr Platz fürs Wetter.
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