Frerk – verantwortlicher Redakteur des Humanistischen Pressedienstes – wirft den Kirchen „Etikettenschwindel“ vor: „Da, wo Kirche draufsteht, ist oft keine Kirche drin.“ Die Kirchen trügen die Kosten für ihre sozialen Einrichtungen nur zu einem Bruchteil selbst. Ein Großteil des Religionsunterrichts und der kirchlichen Kindertagesstätten werde vom Staat finanziert. 98 Prozent der Kosten bei den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas erstatteten die Krankenkassen. Frerk bezeichnet die Kirche als „die beste Geschäftsidee aller Zeiten“. Sie wandele sich immer stärker von der Heilskirche, die den Glauben verkündige, zur Sozialkirche, die Dienstleistungen vermittele. Der Politologe – er bezeichnet sich als Ignorist, weil er die Kirchen für überflüssig hält – fordert eine stärkere Berücksichtigung der Konfessionslosen durch den Staat. Es gebe inzwischen mehr als 20 Millionen Nicht-Religiöse in Deutschland. Nur noch eine Minderheit der Kirchenmitglieder seien „überzeugte Christen“. Die Mehrheit sei nach der Geburt zwangsgetauft worden, ohne dagegen protestieren zu können. Frerk fordert ferner ein Ende von staatlichen Zuschüssen an die Kirchen in 1000 Höhe von jährlich 460 Millionen Euro. Diese durch Staatskirchenverträge geregelten „Dotationen“ basieren auf Entschädigungen für Enteignungen Anfang des 19. Jahrhunderts. Frerk hält die zwischen Staat und Kirche getroffenen Zahlungsvereinbarungen für „verfassungswidrig“. Nach seinen Worten sollen die Kirchen ihre Arbeit selbst finanzieren „oder sie sollen es sein lassen“. Die Kirche werde als Agentur für Sinnstiftung nicht mehr gebraucht.
Staat profitiert von kirchlichem Engagement
Heinig – Professor für Öffentliches Recht an der Universität Göttingen – widerspricht Frerk energisch. Dieser verfolge ein „antikirchliches, kämpferisches Anliegen“ und übersehe, dass der Staat vom Engagement der Kirchen profitiere, etwa in der Wohlfahrtspflege oder der Bildungsarbeit. Heinig weist auch den Vorwurf des Etikettenschwindels hinsichtlich der Finanzierung kirchlicher Arbeit zurück: „Da, wo Kirche draufsteht, ist auch Kirche drin.“ Die Mitarbeiter leisteten ihre Arbeit aus christlicher Motivation. Zur Kritik Frerks, dass die Kirchen „nur“ zwölf Prozent der Kosten für einen Platz in einer kirchlichen Kindertagesstätte zahlten, sagte Heinig: „Was heißt nur?“ Ohne die zwölf Prozent müsste der Staat die Einrichtung selbst betreiben und die gesamte Summe aufbringen: „Für den Staat ist ein kirchlich betriebene Kindertagesstätte also finanziell von Vorteil.“ Den Vorwurf Frerks, dass kirchliche Kindertagesstätten zur Missionierung dienten, konterte Heinig mit den Worten: „Jede kirchliche Einrichtung hat einen missionarischen Auftrag.“ In der Wirklichkeit schlage sich das „leider nicht immer nieder“.
Für bessere Informationspolitik
Hinsichtlich der öffentlichen Darstellung der Kirchenfinanzen räumte Heinig ein, „dass es einen Mangel in der Informationspolitik der Kirche gibt“. Es bestehe ein hohes öffentliches Interesse an den kirchlichen Finanzen: „Dem muss sich die Kirche stellen.“ Oft seien die Selbstdarstellungen jedoch so allgemein gehalten, dass der Bürger „nicht befriedigend“ informiert werde: „Die Kirchen sollten sich da klarer äußern.“ Heinig widersprach ferner der Behauptung Frerks, die Kirchen würden vom Staat noch immer privilegiert – etwa in manchen Landesverfassungen, die „Ehrfurcht vor Gott“ als das oberste Erziehungsziel nennen. Heinig: „Der Staat ist nicht dafür da, einen Kulturkampf gegen die Kirchen zu betreiben, sondern die religiösen Einstellungen aller Bürger, gläubiger wie nichtgläubiger, zu achten und in den staatlichen Strukturen zu berücksichtigen.“ Die jetzige Rechtsordnung sei intelligent und im Grundsatz auf die Bedingungen einer pluralistischen Gesellschaft zugeschnitten. Hingegen wolle Frerk die Kirchen diskriminieren.
Das komplette Interview wird in der ideaSpektrum (Ausgabe Nr. 4 vom 26. Januar 2011) erscheinen. (Man beachte das Titelblatt :-)