erschienen bei einartysken
von Jan Myrdal, am 10. Mai 2012
Ich habe sowohl in Schweden wie in diesen beiden deutschen Ländern gewohnt und gearbeitet. (Die Schweiz und Österreich lasse ich beiseite.) In der Nachkriegszeit standen beide deutsche Staaten in einem Verhältnis der Abhängigkeit mit begrenzter Souveränität zu ihrer jeweiligen Supermacht; den Vereinigten Staaten im Westen und die Sowjetunion im Osten. Das beinhaltet, dass ich in beiden verurteilt wurde. Offiziell und aufs Gröbste jedoch am meisten im östlichen. Dort wurden meine Bücher verboten, dort wurde ich größeren Unannehmlichkeiten ausgesetzt und dort konnten meine Jugendkameraden (wie z. B. der letzte Außenminister der DDR Oskar Fischer) nicht mit mir sprechen, bevor ihr Staat aufgelöst war.Zuweilen wird es notwendig zu reagieren, wenn die offizielle Medien-Lügerei allzu kompakt wird. Wie jetzt das Staatsgebilde im östlichen Deutschland, das vor etwas über 20 Jahren unterging und dem Zentralstaat der Europäischen Union, der Bundesrepublik Deutschland, einverleibt wurde. Die DDR also. Oder die Deutsche Demokratische Republik, wie sie offiziell hieß, als sie eine Botschaft in Stockholm hatte.
Doch war die DDR das bessere Deutschland. Im Guten wie im Schlechten war es wie das schwedische Volksheim*. Gewiss, dort wie hier wurden die Mitbürger überwacht. Wenn man die Gesamtbevölkerung in Rechnung stellt, war die Anzahl der Überwachten in etwa gleich. In Schweden wird jetzt aus politischer Staatsräson nicht viel über die Schweden geschrieben, die auf die Schwarze Liste kamen und die Arbeit verloren – in gewissen Fällen zum Selbstmord getrieben wurden – oder über die politisch gesteuerten Prozesse, die hier mit falschen Zeugenaussagen, meineidigen Anklägern, käuflichen Richtern und erschrocken schweigenden Journalisten und Medien durchgeführt wurden. Vielleicht war die Niedertracht größer in Deutschland – dort war man ja besetzt. Aber ich erinnere mich auch an das Gute. Das schwedische Volksheim und die deutsche demokratische Republik waren recht gute Gesellschaften, um dort zu leben.
Durch die dortige Vollbeschäftigung wurde niemand der Möglichkeit beraubt, von Arbeit zu leben, freier Ausbildung, Gleichheit zwischen den Geschlechtern, großzügigen Zuschüssen für Wohnung und Familiengründung und es sank dadurch in der DDR das Alter der Eheschließungen. Und mehr noch. Da 99% der Frauen arbeiteten, wurde keine Frau wie im Westen – wo nur 55% arbeiteten – gezwungen, nur Hausfrau zu sein.
Als die soziale Sicherheit mit gratis Verhütungs-Pillen für alle Frauen über 14 Jahre (man beachte, dass damals die Risiken nicht bekannt waren. J. M.) und freier Abtreibung verbunden wurde, veränderte sich das Liebesleben. Die Sexualstatistik zeigt, dass die klassische bürgerliche Pubertät in der DDR aufhörte. 1963 hatte der Jugendausschuss der Partei formuliert, dass das Verbot vorehelicher Sexualität reaktionär war und dass es „sozialistisch war, der Jugend zum Lebensglück zu verhelfen“. Konkret beinhaltete dies, dass 90% aller 16-jährigen Mädchen die Liebe erlebten und 80% einen Partner hatten. Damit wurde – genau wie Wilhelm Reich schrieb – der Orgasmus befreit. 75% aller 16-jährigen Mädchen, 90% aller 18-jährigen Mädchen und 99% aller 27-jährigen Frauen in der DDR erlebten Orgasmus. 3 von 4 Frauen bei jedem Beischlaf. Im Westen – das offiziell sexualisiert war mit öffentlichen Hurenhäusern und sonstigem Elend – war die Situation völlig anders. Nicht nur für die Frauen.
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