Volksentscheid in der Schweiz - ein Musterfall für das Legitimationsproblem

Von Oeffingerfreidenker
Bis heute hielt ich #volksentscheide für ein gutes politisches element. Aber manche sollten eher keine stimme bekommen. #Schweiz #trauer — Hijo de Peter (@LaPhil09) 9. Februar 2014
  Dieser Tweet fasst effektiv zusammen, was ich immer sage: die Leute sind immer für Volksentscheide, solange sie der Überzeugung sind, dass ihre Meinung gewinnt. Sobald das nicht mehr der Fall ist, werden andere Erklärungsmuster genutzt. Ob das nun die Manipulation durch Medien ist (Reaktion der NachDenkSeiten auf den S21-Volksentscheid) oder die schlichte Feststellung, das Volk sei eben dumm (wie in diesem Tweet) ist dabei völlig egal. Dieser Trend bestätigt vor allem eines: der vielbeschworene Effekt einer größeren Akzeptanz demokratischer Entscheidungsprozesse ist eine reine Chimäre.
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Was wurde in der Debatte nicht alles davon geredet, welch positiven Effekte die Einführung bundesweiter Volksentscheide haben würde. Die Leute interessieren sich mehr, die Akzeptanz politischer Entscheidungen wird größer, etc., etc. Nichts davon ist eingetreten. Weder ist die Wahlbeteiligung relevant höher als bei den vergleichbaren Wahlen (12,1% weniger als bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg bei der S21-Abstimmung), noch erhöht sich dadurch der Wissensstand der Menschen zum Thema signifikant, noch ist die Akzeptanz bei den Verliern höher als wenn die Parlamente eine ungewollte Maßnahme bestimmen (man vergleiche mit den immer noch existierenden S21-Mahnwachen). Stattdessen kommen teilweise Themen auf die Agenda, die von den gewählten Vertretern niemals vorgebracht werden würden (oder nur von Randgruppen) wie etwa das Minarettverbot, das vor der aktuellen Ablehnung der Freizügigkeitsrichtlinie die Negativschlagzeilen über das Schweizer Plebiszitwesen beherrschte. Dazu kommen weitere inhärente Probleme, wie etwa die sehr partielle Mobilisierung: bei der Volksabstimmung zur längeren gemeinsamen Grundschulzeit in Hamburg stimmten die begüterten Viertel, die von einer frühen Separierung eher profitieren oder denen sie zumindest nicht schadet, überdurschnittlich stark ab, während die sozialen Brennpunkte, zu deren Gunsten die Reform gedacht war, der Urne fernblieben. Dieses Phänomen ist bei allen Wahlen anzutreffen, aber bei keiner so stark wie bei den Plebisziten. Die aktuellen Entwicklungen in der Schweiz fallen daher in das generelle Problem, das das Instrument mit sich bringt: es ist immer eine tolle Sache, wenn die eigene Seite gewinnt. Man kann sich dann mit großer Rede für die Demokratie, die Meinungsfreiheit und Partizipation einsetzen. Und wenn die eigene Seite nicht gewinnt, dann ist ein Zeichen von Dummheit, Intoleranz, Manipulation - you name it. Eines jedenfalls macht der Volksentscheid nicht: die Gesellschaft verbessern. Es gibt daher keinen Grund, ihn in Deutschland auf Bundesebene einzusetzen.