Vlad Draculea – nur ein teuflischer Retter der Christenheit?

stolzenburg_teufel_coverNun liegt er vor, der zweite Teil von Silvia Stolzenburg Epos über den “Teufelsfürsten” Vlad Draculea (etwa 1431 – 1477), in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts Herrscher über die Walachei. Vlad, der sich selbst als Retter der Christenheit gegenüber dem Vormarsch des Osmanischen Reiches verstand, ist aber ob seiner Grausamkeiten (massenhaftes Pfählen als Folter- und Todesstrafe) nur als Teufelsfürst in die (west-)europäischen Annalen eingegangen. Und der völlig sinnentstellt Bram Stoker als Vorlage für dessen ahistorischen Gruselschocker “Dracula” diente.

Von letzterem setzt sich Silvia Stolzenburg in ihrem vorzüglich recherchierten Epos deutlich ab. Sie stellt Vlad Draculea in seine Zeit, geht auf gesellschaftliche, politische und auch religiöse Hintergründe und Zusammenhänge ein und zeichnet so auf überaus gekonnte Weise ein lebendiges, sich überaus spannend lesendes Geschichtspanorama mit realen und fiktiven Charakteren aus Fleisch und Blut. Ihre Schilderungen menschlicher Leidenschaften und von Landschaften und mittelalterlichen Orten wirken nicht nur authentisch, sind sondern auch einfühlsam und das Gefühl berührend geschrieben. Und daher schont sie den Leser nicht, wenn sie wirklichkeitsnah Folterungen und Hinrichtungen ins Bild bringen muß.

Sie setzt in diesem Buch – zehn Jahre später angesiedelt – die drei Handlungsstränge des ersten Teils fort, angesiedelt im süddeutschen Ulm, im rumänischen (walachischen) Tirgoviste und im osmanisch-türkischen Edirne. Der Leser begegnet hier den bereits bekannten Protagonisten wieder.

Da sind zunächst Utz und Sophia von Katzenstein und deren Söhne Hans und Jakob. Sie entstammen den beiden Zweigen des Geschlechts derer von Katzenstein und waren zwangsverheiratet worden. Daher meiden sich beide und versagen sich ihrer ehelichen Pflichten nach der obligatorischen Zeugung männlichen Nachwuchses. Dennoch spüren die beiden eine zarte Liebe zueinander, trauen sich aber nicht, sich dazu zu bekennen. Scheue Annäherungsversuche schlagen fehl. Utz ist inzwischen erfolgreicher Handelsherr geworden und will sich eines Tages wegen eines günstigen Geschäftes auf eine erneute Reise nach Siebenbürgen und in die Walachei machen. Nebenbei will er seine dorthin geflohene Schwester Zehra besuchen. Beide Söhne sollen ihn begleiten, doch Sophia besteht darauf, daß Jakob in Ulm bleibt. Zum Glück. Denn das Unglück sucht Utz heim; er gerät in kriegerischen Wirren, nur mit Müh und Not kann er halbtot entkommen. Das Geschäft kommt nicht zustande, Zehra bekommt er nicht zu Gesicht und Vlad – Zehras Liebhaber – läßt ihn fast zu Tode prügeln. Und im Zusammentreffen mit walachischen Kriegern geht ihm auch noch sein Sohn verloren. Alles deutet auf dessen Tod hin. In Ulm glauben aber Sohn Jakob und Sophia nicht daran und bringen ihre Hoffnungen deutlich zu Ausdruck. Angesichts dieser Tragödie kommen sich die Eheleute aber näher und bekennen sich schließlich zu ihrer Liebe. Da trifft Nachricht ein, daß Hans als Sklave eines walachischen Bauern gesehen worden sei. Flugs macht sich Utz wieder auf den Weg, seinen verlorenen Sohn zu finden und zu befreien…

Und da sind Sultan Mehmed und Vlads jüngerer Bruder Radu, die nicht nur ihre homosexuelle Liebe ausleben, sondern die auch gemeinsam auf Feldzug gehen. Stolzenburg beschreibt Mehmed aber nicht nur als Eroberer, sondern als einen hochgebildeten Menschen und Kunstliebhaber, der das antike hellenistisch-römische Erbe wertschätzt. Sein Geliebter Radu ist inzwischen zum Wesir avanciert und er sollte dann später Vlads tatsächlicher Nachfolger auf dem walachischen Herrscherthron werden…

Im Mittelpunkt dieses Buches aber stehen Vlad und dessen (fiktiver) Sohn Carol, Frucht der Liebe des Walachen zu Zehra von Katzenstein. Mutter und Sohn müssen sich jedoch auf Jahre in einem orthodoxen Kloster verstecken. Denn am Ende des ersten Teils wurde Vlad ja von der Macht vertrieben und Zehra drohen durchaus Mordnschläge. Erst gut zehn Jahre später gelingt Vlad die erneute Thronbesteigung. Er will Zehra nun offiziell ehelichen. Doch am Abend vor der Hochzeit wird die hochschwangere Frau ermordet. Das versetzt Vlad erneut in Raserei – so wie bereits früher, als Gleiches geschah nach der Ermordung von Vater und älterem Bruder – und er läßt den alten Bojaren-Adel massenhaft durch Pfählung ermorden. Die Hinrichtungswelle erstreckt sich mitleidslos auch auf deren Frauen und Kinder. Später sind siebenbürgische patrizische Kaufleute an der Reihe. Diese wollten sich nicht unterwerfen, unterstützen andere Thronprätendenten. Schließlich muß jeder Untertan, der aufmuckt oder sich nur kleinster Verfehlungen schuldig macht, mit dieser grausamen Folter- und Hinrichtungsmethode rechnen.

Carol lernt seinen Vater erst spät kennen und spürt seinerseits ihm gegenüber von Anfang an Distanz und sogar Ablehnung. Im Kloster hat er nicht nur kirchliche Schriften studiert, sondern auch die antike Schrift “De rerum natura”). Dieses Buch prägt sein Weltbild, läßt ihn an kirchlichen Dogmen zweifeln und er führt es selbst in der Zeit nach dem Klosterasyl für lange Zeit mit sich. Vlad liebt seinen Sohn, auch wenn er ihn erst Jahre nach der Geburt kennenlernt. Er will aus ihm einen Ritter machen, der ihm dereinst auf dem Thron nachfolgen soll. Doch der Junge ist ob seiner intellektuellen “Weichheit” eine einzige Enttäuschung. Also trennt er Carol von seiner Mutter übergibt ihn einem Bojaren, damit dieser seinen Sohn mit aller Härte zum Kriegsmann erzieht. Carols Erlebnisse und Beobachtungen entfernen ihn aber immer weiter von seinem Vater. Als dann Zehra ermordet wird und Vlad mit den Massenhinrichtungen beginnt, wird aus dem aufgeklärten Carol über Nacht ein bibeltreuer Christ. Der Haß auf den Vater wird immer größer und er sinnt auf Flucht. Er will zu Radu, auch wenn dieser dem muslimischen Sultan ergeben ist. Diese Flucht gelingt und Carol kann sogar zu Radu und Mehmed vordringen. Dort bekennt er, daß Vlad der Teufel in Person sei. Schließlich begleitet der junge Mann seinen Onkel auf des Sultans Feldzug gegen die Walachei. Wie dieser endet und was aus dem historischen Vlad Draculea wird, das wird erst auf den letzten Seiten mitgeteilt. Und dann gibt es auch noch einen Epilog…

Was das Pfählen angeht, so erfährt der Leser, daß diese Hinrichtungsmethode seinerzeit auch im katholischen Europa üblich war und nicht nur im orthodoxen Osten. Vlads orthodoxer Glaube mag wohl ein Grund dafür sein, daß er in seinem Abwehrkampf gegen die Osmanen von Papst, Kaiser, Ungarnkönig und Venedig – allesamt katholisch – nur verbal unterstützt wurde, aber ansonsten alleingelassen. Die Schilderungen über Vlad waren übrigens in Westeuropa wesentlich düsterer als in Osteuropa und Rumänien. Viele der deutschen Geschichten über ihn müssen deshalb vorrangig als politisch, religiös und ökonomisch inspirierte Propaganda verstanden werden. Obwohl einige der überlieferten Geschichten einen Bezug zur Realität haben, dürften jedoch die meisten reine Fiktion oder stark übertrieben dargestellt worden sein. Mit ihrem Roman hat Silvia Stolzenburg daher nicht zuletzt auch die Geschichtsschreibung über Vlad mit literarischen Mitteln vom Kopf auf die Füße gestellt.

Was man Silvia Stolzenburg erwarten konnte, das hat sie mit diesem Roman aufs Neue bestätigt: Eine faszinierende Geschichte mit lebensnahen Charakteren, voller glaubhafter Abenteuer, spannend und lebendig erzählt, emotional anregend. Fiktion und realer historischer Hintergrund sind auf gekonnte Weise verbunden und zeichnen ein authentisches Bild der spätmittelalterlichen Welt. Lesenswert, empfehlenswert. Das Warten auf diese Edition hat sich gelohnt.

Siegfried R. Krebs


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