Visuelle Kommunikation oder warum wir in der Bilderflut Experimente brauchen

Visuelle Kommunikation oder warum wir in der Bilderflut Experimente brauchen

Intro

Ein Bild. Ein langweiliges Bild. Darauf ein Paar blaue Sneakers. Vielleicht mögt Ihr blaue Sneakers. Vielleicht aber auch nur die blaue Farbe. Oder die Schrift. Oder ihre Anordnung im Bild. Oder der Titel des Artikels veranlasste zum Klick auf den Link hin zum Artikel mit dem langweiligen Bild. Egal was es ist: Ihr seid hier und lest diese Zeilen. Es gibt etwas Buntes, etwas Text und Erwartungen, die ich nicht kenne. Aber Ihr habt sie. Und das ist gut; denn Ihr seid hier.

Zu diesem Text

Zunächst plante ich einen Text über visuelle Kommunikation ohne jegliche Bilder. Visuelle Askese. Ihr, die Leser, sollt hungrig werden nach etwas zum Anschauen - sei es ruhig oder bewegt. Videos und Wackelbilder sind im Kommen - also darf ich bei meinen Berufskollegen zumindest fachliches Interesse unterstellen. Auf Neugier hoffen. Ich als der PR-Berater, der ehemals Kunst studierte, präsentiere meinen Lesern einen Text über Bilder mit Bildverbot - so dachte ich zunächst. Paradoxe Intervention nennt das der Psychologe. Und in unserer Arbeit als Berufskommunikatoren steckt viel Psychologie. 
Dann aber sollte es doch etwas Buntes sein. Nichts Fertiges. Ein Beispiel, wo jeder ankommt und sagt: "Da fehlt aber etwas!" - "Irgendetwas ist nicht ganz richtig!" naja, wenn es nicht jeder sieht, dann doch so einige. Kurzum: Es sollte ein Bild sein, das zum Klugscheißern einlädt. Denn Besserwisserei setzt hier eine Kritikfähigkeit voraus sowie eine Vorstellung, die Ihr habt, dass das Bild anders aussehen könnte oder sollte. Nur dass Ihr sie habt ist für mich von Belang, nicht welche oder wie Ihr sie habt.
Ich will nicht sattmachen mit Bildern. Keine Beispiele liefern. Nicht exemplarisch werden: "Oh, nun Welt! Nun schaue - so gehts! Ich zeige Euch den Weg." Es geht darum, Euch einen kleinen visuellen Einstieg zu bieten in Eure eigene Phantasie. In Eure Vorstellungskraft. Welcome to Your imagination! Sie wird uns helfen.

In der Bilderflut - Askese und Genuss

Keine Frage: Wir sind inmitten einer Bilderflut. Fernsehen, Internet, Kinos, Videotheken, Kioske, Bibliotheken, Straßen und Wände  - die Angebote sind einfach da. Die meisten sogar mobile. Also abrufbar in unserer Hosen- oder Handtasche. Nun könnte es in diesem Text um Praktiken gehen, wie man dieser Flut begegnet oder gar ihr entkommt. Strategien eines selektiven Sehens oder einer derartiger Produktion gewissermaßen. Als gäbe es eine Schule visueller Verkehrsregeln. Eine Art Überlebenstraining. Und Ihr seid die Auserwählten, die einzigen, die es richtig machen.
Vergesst es! Ich treibe Euch nicht in Weltflucht. Immerhin gehören Bilder zur conditio humana, zum Menschsein, seitdem der Cro-Magnon-Mensch begann seine Höhlen zu bemalen. Was Neanderthaler so trieb wissen wir nicht genau. Aber ab homo sapiens können wir nicht mehr ohne Bilder leben. Kulturell betrachtet wird unsere Zeit von einem iconic turn geprägt wie die Bildwissenschaften es nennen. Korrekter ist wohl der Begriff des media turn, der auch den linguistic turn umfasst.
Nicht Verzicht predige ich. Im Gegenteil! Genießt die Bilder. Zu einem neuen Hedonismus rufe ich aus. Untersucht die neuen Möglichkeiten, die beispielsweise Augmented Reality bieten. Sie sind angereicherte Wirklichkeit - angereichert mit Text, Audio, Bilder oder Video. Oder mit allem! Spielt mit den Möglichkeiten. Lernt von Euren selbst gegangenen Wegen, lasst Euch nicht gängeln. In der Ästhetik gibt es keine Vorschrift, wenn ihr sie nicht dazu erklärt. Und die Nachschrift nennt man in der Filmwelt Credits. Das sind die Danksagungen an die Mitarbeiter, die das Projekt ermöglichten.
Schaut nicht nach Ratgebern, How-Tos oder Checklisten. Öffnet Eure Augen. Warum sind so viele Bilder oder Videos so langweilig? Warum nicht von Trailern lernen? Sich von ihren kurzatmigen Narrationen inspirieren lassen? Oder von der Ästhetik von Musikvideos? Oder ganz anders: nach experimentellen Filmen Ausschau halten. 
Wieso immer direkt: Warum nicht Paratexte nutzen? Wenn Produkt xyz genauso gut kommuniziert werden kann durch irgendwelche schriftlichen Anweisungen, die in dessen Kontext auftauchen, sodass wir beide zusammendenken - warum nicht das mal probieren: Warum nicht visuell im Video eine Welt entstehen lassen, die von einer vorgetragenen Gebrauchsanweisung begleitet wird? Die eine löst Emotionen aus, die andere spricht die Erfahrungen an. Nicht immer dasselbe machen: Das gesprochene Wort sagt, was man im Bild sieht - oder was der Regisseur aus Geldmangel nicht mehr realisieren konnte. Langweilig. Vertraut auf Eure Bilder! Und auf Eure Worte! Beide müssen für sich selbst stehen können. Beide müssen eben stark sein. Zahlt Eure Mitarbeiter wieder anständig, dann wird das was. Dann können sie wieder mehr bei der Sache sein.
Oder macht Hörspiele. Die Königsklasse des Radios - warum nicht als Podcast? Wenn Soaps ursprünglich Werbung für Seife waren bevor sie sich absonderten - daher ihr Name - warum nicht auch in bildlicher Askese rein auf die Imagination verlassen in Hörspielen? Ja, auch sie zähle ich zum Thema über Bilderfluten, weil sie einen ganzen Film im Kopf entstehen lassen, wenn sie gut gemacht sind. Das müssen sie allerdings. Gut gemacht sein. Es ist nicht einfach. Der Verzicht auf eine der Wahrnehmungsarten - hier das Sehen - unterstreicht nur noch mehr dessen Wichtigkeit in der Vorstellung. Askese und Genuss - beide gehören zusammen.
Experimentiert mehr. Traut Euch mehr zu. Hinterfragt Eure Sehgewohnheiten. Spielt mit ihnen. Oder übertreibt sie. Geht neue Wege, sonst droht Euer visueller Content nur reiner Müll zu werden. Sonst nimmt Euch niemand in der Flut mehr wahr. Es geht zwar mir mehr als nur um Aufmerksamkeit, um awareness, aber ohne ein Aufmerken verschwindet ihr im Rauschen. Da helfen dann auch keine bunten Fähnchen mehr.

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