Visionen im Wüstensand

Nach den schrecklichen Bildern der Reaktorkatastrophe von Fukushima darf man die Frage stellen, woher der europäische Kontinent seine Energie in Zukunft beziehen soll. Eine Industrie-Initiative schlägt vor: Europäischer Strom soll zukünftig in den Wüsten Nordafrikas gewonnen werden. 

Visionen im Wüstensand

Foto: ABB

Sie ist ein beschaulicher Flecken Erde, die Gegend um den marokkanischen Ort Ouarzazate und den Stausee El Mansour-Eddhabi am Rande der Sahara. Dank ihrer malerischen Wüstenlandschaft zieht sie Jahr für Jahr die Touristenströme an. Auch Filmteams wissen die Kulisse zu schätzen: Der Hollywood-Blockbuster “Gladiator” wurde hier gedreht.

Einige sind jedoch nicht wegen der wilden Schönheit der kargen Natur hierher gekommen. Die Ingenieure der Initiative Desertec interessieren vielmehr die Gründe für diese Kargheit – die sengende Hitze und die extreme Trockenheit. Im Jahr fällt hier so viel Wasser vom Himmel wie in Mitteleuropa schon in zwei Monaten. Und wo kein Regen fällt, bleiben auch die Wolken fern. Ende Juli steht die Sonne in dieser Region fast im Zenit. Bessere Bedingungen für die Idee, welche die Teams der Initiative an diesen Ort brachte, lassen sich kaum vorfinden. Nicht weit von Ouarzazate sollen 2012 die Planungen für das erste Solarthermiewerk Desertecs beginnen.

Um das ganze Potenzial des größten natürlichen Energielieferanten, der Sonne,  zu nutzen, sind hohe Einfallswinkel der Sonne und wenig Bewölkung von Vorteil. Deswegen plant eine private Stiftung seit 2003 die Gewinnung von Sonnenenergie im gesamten nordafrikanischen Raum. Dienen soll sie der Versorgung Europas. Bis zum Jahr 2050 ist geplant, 15 Prozent des europäischen Energieverbrauchs durch Solarstrom aus der Wüste zu decken. Finanzielle Mittel in Höhe von 400 Milliarden Euro werden dazu angeschlagen.

Afrikanischer Solarstrom wird zum europäischen Politikum

Zählbare Ergebnisse stehen indes noch aus. Viele Jahre dauert das Projekt Desertec bereits an und noch ist keine einzige Kilowattstunde des “grünen Stroms” nach Europa geflossen. Der Chef der Desertec Industrial Initiative (DII), der Niederländer Paul van Son, musste in den vergangenen Jahren einiges an Überzeugungsarbeit leisten. Als sich im Juli 2009 einige große Industrieunternehmen und Banken aus Deutschland, Spanien und Algerien zusammenschlossen, hieß es trotz aller Euphorie, das Projekt sei viel zu aufgeblasen und überdimensioniert. Besonders Frankreich kritisierte von Anfang an das von deutschen Unternehmen dominierte “europäische Projekt”.

Doch man hat sich mit Frankreich geeinigt. Während die DII für die Installation der Solarwerke in Nordafrika sorgen wird, bereitet das französisch geführte Projekt Transgreen die Übertragung des Stroms nach Europa über riesige Leitungen unter dem Mittelmeer vor. Mit diesem Auftrag soll die französische Stromnetz-Industrie in Zusammenarbeit mit südeuropäischen und nordafrikanischen Unternehmen eines der wichtigsten noch ungelösten Probleme der Desertec-Initiative übernehmen.

An weiteren Herausforderungen mangelt es der DII jedoch nicht im Geringsten. Die Leitung von Desertec versucht die örtlichen Verwaltungen in Ouarzazate in die Einzelheiten des Pilotprojekts miteinzubeziehen. Kontakte zu der neuen Übergangsregierung im benachbarten Tunesien sind bereits ebenfalls geknüpft. Denn auf tunesischem Boden soll das zweite Solarkraftwerk der DII entstehen. Später werden dann die Unternehmen der DII weitere Werke in ganz Nordafrika ermöglichen. Inwieweit sich die regionalen Proteste gegen die Despoten in Nordafrika auf die Umsetzung auswirken werden, ist jedoch noch nicht absehbar. Doch zumindest werden die Projekte nun konkretisiert, das gilt als positives Zeichen.

Ökologische Entwicklungshilfe: Alles im grünen Bereich

Der Aspekt der Finanzierung ist zentral für das Projekt. Stolz brüstet man sich damit, dass man als private Initiative die von den Staaten und Umweltverbänden ausgerufene Energiewende anpacke. Tatsächlich passt das Konzept der Desertec-Initiative in die Strategien Deutschlands und Europas zur Energieversorgung der Zukunft, sodass sie in der Vergangenheit immer deutlicher darauf pochte, von nationalen und europäischen Fördertöpfen zu profitieren. Auch wenn EU-Energiekommissar Günther Oettinger den Weg für das energiepolitische transmediterrane Bündnis geebnet hat, sind finanzielle Zusagen von öffentlicher Seite bisher nur zögerlich eingetroffen.

Dabei eignet sich das Konzept von Desertec als Vorbild für eine verantwortungsvolle Unternehmens- und Energiepolitik. Investieren große Unternehmen wie Siemens, E.on und RWE in den nordafrikanischen Ländern in hochtechnologische Lösungen zur ökologischen Energiegewinnung, profitieren bei kluger Umsetzung viele Beteiligte. Arbeitsplätze entstünden in einer Region, in der so viele junge, gut ausgebildete Menschen gerade danach suchen. Die Energie käme sowohl in den produzierenden Ländern als auch in Europa an. Das entlastet nicht nur das Klima, sondern auch die Abhängigkeit der nordafrikanischen und europäischen Wirtschaft vom Gasexport.

Don Quijote gegen die Solarlobby?

Wirtschaft, Soziales und Umwelt im Einklang – diesen Ansatz unterstützt sogar die zumeist industriekritische Nichtregierungsorganisation Greenpeace. Und trotzdem plagen die DII Sorgen der politischen Akzeptanz und der Finanzierung, besonders im Vorreiterland Deutschland. Die Region im Norden der Sahara, das zeigten die Proteste Anfang des Jahres, ist alles andere als stabil und sicher. Doch auch in der deutschen Wirtschaft wird die Initiative gern totgeschwiegen. Sollte die Bundesregierung EU-weite Solarstromförderung in Nordafrika unterstützen, so muss sie zwangsläufig auch die Unterstützung der einheimischen Solarindustrie überdenken.

Dieser hochsubventionierte Wirtschaftszweig produziert in Breiten, in denen der Sonne nur ein geringer Teil ihrer Energie in Form von Strom abgerungen werden kann. Südlich des Wendekreises sieht das anders aus: Hier ist die Energiegewinnung deutlich effektiver. Naheliegend wäre also – und so geschah es bereits – eine Senkung der Solar-Förderung auf deutschem Boden, um dieses Geld anderswo, etwa in Desertec, anzulegen. Das ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Da Deutschland gerade durch die staatlichen Subventionen zum Pionier in dieser Branche wurde, befürchtet man den Verlust von Wirtschaftskraft und Arbeitsplätzen in der regionalen Solarindustrie. Gerade in ländlichen und wirtschaftlich schwachen Regionen wie Berlin-Brandenburg, Thüringen oder in einigen Teilen Bayerns hatte sie sich zu einem festen und innovativen Standbein der Wirtschaft entwickelt. Verluste in diesem Bereich könnten schwere Folgen für die Entwicklung der ländlichen Räume haben.

In anderen EU-Ländern sieht die Lage ähnlich aus, sodass Desertec nun auch den Kampf mit den nationalen Verbänden der Solarwirtschaft aufgenommen hat. Es gleicht einem Kampf Don Quijotes gegen die Windmühlen, angesichts des Einflusses dieser mächtigen Verbände auf die Politik. In dieser Situation, mit den politischen Hürden in Europa und den Umwälzungen in Nordafrika, scheinen sich aus der Sicht der Initiative an allen Seiten Risse in den Dämmen aufzutun. Mehr als eine Kittung der Brüche wird der Initiative aufgrund fehlender Mittel nicht übrig bleiben. Trotzdem bestimmen das Prinzip Hoffnung und die Gewissheit, dass sich die derzeitige Energiepolitik in Europa ändern wird, die Arbeit der Desertec Industrial Initiative.



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