© Capelight Pictures/Central / Charlie (Logan Lerman), Patrick (Ezra Miller) und Sam (Emma Watson) (v.l.n.r.) in “Vielleicht lieber morgen”
Immer wieder mischen sich die britischen Indie-Rocker The Smiths in die filmischen Welten ein, die durch Filmemacher wie Marc Webb geschaffen werden, der zuletzt in „(500) Days of Summer“ von der Musik Gebrauch machte, sie zur Kennlern- und Liebesmelodie für Joseph Gordon-Levitt und Zooey Deschanel ernannte. Nun zieht Stephen Chbosky nach, verfilmt mit „The Perks of Being a Wallflower“ (deutscher Titel: „Vielleicht lieber morgen“) seinen eigenen Roman, inklusive eines berauschenden Soundtracks mit eben jenen Smiths, dieser Band, die für eine melancholisch atmosphärische Untermalung sorgt. Ebenso auch „Heroes“ von David Bowie, ein Song der zum Leitmotiv des Films wird, vom Suchen und Finden der Liebe und Freundschaft, von heimlichen Helden, die versteckt unter uns leben – den Mauerblümchen.
Zu dieser Gattung zählt sich auch Charlie (Logan Lerman), der gerade erst auf der High School angekommen ist, die Middle School hinter sich gelassen hat, nur um sich erneut mit alterstypischen Problemen herum zu schlagen, jedoch noch viel gravierender, als er es sich jemals hätte vorstellen können. Er zählt die Tage, bis er auch diese Hürde seines Lebens hinter sich gebracht hat, möchte sich den ersten Tag vorstellen, als sei er ein beliebter Schüler, nur um wenige Minuten nach Betreten der heiligen High School Hallen wieder in seine alte Rolle als Außenseiter hineingezwängt zu werden. Dann lernt er jedoch die lebenslustigen Stiefgeschwister Sam (Emma Watson) und Patrick (Ezra Miller) kennen. Aus Patrick wird ein dicker Freund, zu Sam fühlt er sich merkwürdig hingezogen, wie noch nie zuvor zu einer Person. Aber die erste große Liebe, wilde Partys, Erfahrungen mit Drogen und Stress in der Familie, der tägliche Wahnsinn eben, tragen nicht dazu bei, dass Charlie seine eigene Rolle, seinen Platz im Leben findet.
Logan Lerman ist das Mauerblümchen Charlie
Regisseur und Drehbuchautor Chbosky liefert eine wirklich rührende Geschichte ab, hat sich hierfür auf die richtigen Darsteller verlassen. Allesamt, in alter Filmtradition schon weitaus älter als die Figuren die sie spielen, liefern nicht nur ihre bestmöglichen, sondern wirklich beeindruckende Leistungen ab. Bei ihnen allen, bei Lerman, der durch das Film-Franchise „Percy Jackson“ bekannt wurde, bei „Harry Potter“-Darstellerin Emma Watson wie auch bei Ezra Miller („We Need to Talk about Kevin“) gibt es eine Oberfläche, die sie durch den Alltag der High School begleitet, die Rollen die sie spielen, nicht als Schauspieler etwa, sondern die Figuren selbst. Sie fügen sich den Bildern, die in den Köpfen ihrer Mitschüler von ihnen existieren, so läuft das nun einmal. Erst die Freundschaft zueinander bringt untereinander Wunden hervor, über die sie normalerweise niemals offen sprechen würden, die aber auch nur durch diese Freundschaft überhaupt erst ertragbar werden.
Dabei manifestiert sich diese Freundschaft, diese Zuneigung zueinander, vor allem aber das Bedürfnis nach Freunden besonders bei dem Mauerblümchen, dem ewig stillen Charlie. In einer unglaublich nachvollziehbaren Szene, als hätte man es selbst erlebt, hadert dieser bei einer Schulveranstaltung mit dem Gang auf die Tanzfläche, wo Sam und Patrick ausgelassen den Wohnzimmertanz in all seiner peinlichen Blüte zelebrieren. Lerman steht still an der Wand, beobachtet, der Körper bewegt sich nicht, die Füße bleiben an Ort und Stelle und doch merkt man als Zuschauer, wie er ausbrechen möchte. Schaut man ihm tief in die Augen, beobachtet man die leichten Züge, die Veränderungen seiner Mimik, dann merkt man das innere Zerwürfnis, das Mauerblümchen möchte in den Mittelpunkt stürmen, denn dort sind die Freunde, die Menschen mit denen man gemeinsam Spaß haben möchte, die einem Halt geben. Das Zögern, diese Unentschlossenheit, wird von Lerman bravourös dargestellt. Derweil empfiehlt sich Ezra Miller erneut als Sonderling, zuletzt neben John C. Reilly und Tilda Swinton als Amok-laufender High School Schüler, nun der notorische Sitzenbleiber, Verehrer der „Rocky Horror Picture Show“, Klassenclown und Homosexuell. Er wirbelt mit Elan durchs Bild, scheint niemals zu stoppen – wenn er es tut, wirkt es umso dramatisch trauriger. Und seine filmische Stiefschwester, Emma Watson in der Rolle der Sam, ist eine ebenfalls geschundene Figur, hat in der Vergangenheit einen Schmerz erlitten, wie ihn Charlie gut nachvollziehen kann. Das macht sie zu Freunden, zu Verliebten, schon fast zu Seelenverwandten, möchte man meinen, wenn man den beiden Akteuren auf der Leinwand zusieht, mit ihnen hofft, dass sie zueinander finden werden, trotz aller Widrigkeiten. Watson ist sexy und cool, das Mädchen mit dem man befreundet sein möchte, spielt Sam als Unsicher und von Selbstzweifeln geplagt, was dem Zuschauer niemals in den Sinn kommen wird, ist ihre Rolle als Hermine Granger in den „Harry Potter“-Verfilmungen. Diese Rolle streift sich mit Leichtigkeit ab.
Sam (Emma Watson) ist Charlie (Logan Lerman) mehr als nur ein Freund
Sam heißt Charlie auch in der neuen Runde der Freunde willkommen, begrüßt ihn auf ihrem „Spielplatz der ungeliebten Spielzeuge“, dort wo jeder glücklich und traurig zugleich sein kann. Was zuerst einmal wie ein Widerspruch klingt, wird dann an den Teenagern durchexerziert: An Sam wie auch Patrick, an Charlie und seiner Schwester, sie alle dürfen glücklich und traurig zugleich sein. Der brutale Verlust des besten Freundes, geheime und verbotene Liebe, ein jeder der Protagonisten hat sein Päckchen zu tragen, eine Last zu bewältigen. Trotz dem Spaß, den sie miteinander haben, leidet doch jeder von ihnen, sucht sich selbst im Leben genau das, was er glaubt zu verdienen, was meistens zu wenig ist. Die Ausgestoßenen verkaufen sich unter Wert, suchen ihren Platz im Leben, sind froh über jede Gelegenheit, die sie nutzen können um Beachtung zu erlangen. Aber genau hier kommt ihnen ihre Freundschaft wieder zu Gute, einander kann man zeigen, was man wirklich wert ist.
Ebenso wie Chbosky seiner Verfilmung einen Wert gibt, in jeder Minute des Films erscheint nichts als überflüssige Inszenierung. Mit „The Perks of Being a Wallflower“ darf sich ein Jeder gerne anfreunden, denn mit diesem Film erhält man einen wirklich wertvollen Freund geschenkt.
Denis Sasse
“Vielleicht lieber morgen“
Originaltitel: The Perks of Being a Wallflower
Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Produktionsland, Jahr: USA, 2012
Länge: ca. 102 Minuten
Regie: Stephen Chbosky
Darsteller: Logan Lerman, Emma Watson, Ezra Miller, Dylan McDermott, Kate Walsh, Johnny Simmons, Nina Dobrev, Julia Garner, Paul Rudd, Tom Savini, Mae Whitman, Joan Cusack
Deutschlandstart: 1. November 2012
Offizielle Homepage: vielleichtliebermorgen-film.de