Vielleicht hatte die Vorsehung mit Absicht noch ein bisschen gezögert

Joachim Gauck nannte am Wochenende die Gruppe um Stauffenberg ein »Vorbild für den Kampf für Menschenwürde, Freiheit und Demokratie«. Sie habe uns gelehrt, »dass wir uns nicht mitschuldig machen [sollten], wenn anderen Unrecht geschieht.« Vor einigen Jahren hat Gauck mal die Anne-Frank-Tage eröffnet. Er hätte ihr Tagebuch mal besser lesen sollen.
Vielleicht hatte die Vorsehung mit Absicht noch ein bisschen gezögertEs ist zum Narrativ der letzten beiden Jahrzehnte geworden, dass die Widerstandsgruppe um Stauffenberg Repräsentanten eines besseren, humaneren, friedlicheren Deutschlands gewesen seien. Eines Deutschlands, in dem die Wehrmacht nur ein geknechtetes Werkzeug der Nationalsozialisten war, die überrumpelt und wehrlos in einen Krieg geschickt wurde, den sie nie haben wollte. Solange man aber von Sieg zu Sieg eilte, war es mit Widerstand nicht weit her. Auch Stauffenberg, als berühmtester Kopf dieser Gruppe, war da noch einverstanden. Seit Anbeginn war er das bereits. »Als sich die Menge [am Abend des 30. Januar 1933] zu einer Freudenbekundung formierte, um die neue Regierung Hitler zu feiern«, schreibt Robert Gellately in seinem Buch »Lenin, Stalin und Hitler«, »setzte sich ein junger Leutnant in voller Uniform freudig an die Spitze.« Dafür wurde der junge Mann später von seinem Vorgesetzten getadelt. Sein Name: Claus Schenk Graf von Stauffenberg. »Eine entfernte Verwandte erinnerte sich, dass sie überrascht war, als sie von seiner Beteiligung am gescheiterten Attentat 1944 erfuhr«, berichtet Gellately ebenda, denn sie hielt ihn für »den einzigen richtigen Nationalsozialisten in der Familie«.

Als ihm und einigen Offizieren das Leid der eigenen Volksgenossen gewahr wurde und sie überdies erkannten, dass mit Hitler die Niederlage unabwendbar würde, entschlossen sie sich zu handeln. Diese Leute mögen keine begeisterten Krieger gewesen sein, keine Freunde des heldenhhaften Schlachtens, aber wesentlich kritischer waren sie dennoch nicht. Stattdessen verwiesen sie auf den Ehrenkodex deutscher Soldaten und nahmen aktiv teil an Krieg und Völkermord.
Die Gruppe um Stauffenberg war kein demokratisch gesinntes Widerstandsnest, sondern eine bürgerliche, vornehmlich aus dem Junkertum stammende Riege höherer Offiziere, denen - sobald man Hitler erst mal beseitigt hätte - nicht die Demokratisierung ihres Landes vor dem geistigen Auge vorschwebte, sondern ein Obrigkeitsstaat, der Adel und Eliten bevorzugen sollte. Sozialstaatliche Ideen oder eine Wiederherstellung der Weimarer Verfassung standen überhaupt nicht auf dem Plan.Für sie war der Hitlerstaat ja auch nicht grundsätzlich schlecht, sondern vielmehr ein Staatsgebilde, welches im Kern viel Wahres barg, gerade auch was die Unterdrückung von Minderheiten und sozialistischen Ideen betraf.
»Der beste Beweis ist doch wohl, dass es viele Offiziere und Generäle gibt, die den Krieg satt haben und Hitler gern in die tiefsten Tiefen versenken würden«, notierte die 15-jährige Anne Frank kurz nach dem Attentat in ihr Tagebuch, »um dann eine Militärdiktatur zu errichten, mit deren Hilfe Frieden mit den Alliierten zu schließen, erneut zu rüsten und nach zwanzig Jahren wieder einen Krieg zu beginnen. Vielleicht hat die Vorsehung mit Absicht noch ein bisschen gezögert, ihn aus dem Weg zu räumen.« Die später als Gewissen des »anderen Deutschland« verklärte Gruppe wurde von den damaligen Zeitgenossen also durchaus nicht als Retterin begriffen.
Nein, was sie besorgte waren die negativen Auswüchse, war der Blutzoll, der auf Hitlers Mist erwachsen war - und dort vor allem das Blut der Deutschen selbst; das Blut der Russen, Polen und Juden war nicht in erster Linie Antrieb der Widerstandsbewegung um Stauffenberg, sondern nur indirekt, weil man durch das Abschlachten anderer Völker aussähe wie ein Volk von Mördern. Und um eben nicht wie eine Mörderbande auszusehen, deshalb habe Deutschland den Krieg zu beenden, das Morden zu unterbleiben - und natürlich, damit nicht noch weitere junge deutsche Männer auf den Schlachtfeldern vergeudet würden. Pazifismus war deren Antrieb sicher nicht.
Die Vorläuferbewegung eines demokratischen Deutschlands war sie nicht. Stauffenbergs letzte Worte sollen dem Hochleben des »heiligen Deutschlands« gewidmet gewesen sein; ein demokratisches Deutschland war also nicht sein letzter Gedanke. Seit vielen Jahren schon wird ein eindimensionaler Kult um diese Widerständler betrieben. Stauffenberg als der Kopf wird hierzu als wackerer Held stilisiert, der für deutschen Anstand und deutsches Gewissen steht und für einen gewissen Individualismus im Soldatenrock.
Joachim Gauck hätte Anne Frank lesen sollen. Stauffenberg war ihr zwar nur ein Absatz wert, aber der war realistischer, ausgewogener und weitsichtiger, als die Worte, die der Bundespräsident jetzt dazu formulierte. Und das will schon was heißen. Man kann diesen Männern natürlich gedenken. Aber wenn, dann bitte in aller Ausführlichkeit und ohne hagiographischen Lack. Diese Gruppe lag lange Jahre völlig falsch. Sie bestand aus Mitläufern und (Haupt-)Belasteten, um mal die Kategorisierungen der Entnazifizierung zu bemühen. Man kann nicht mal sagen, dass diese Leute noch die Kurve gekriegt haben. Dazu war es zu spät.
Wahr ist, dass diese Klientel der fruchtbare Boden für den Nationalsozialismus mit all seinen Facetten war. Und das könnte man auch mal sagen.»Vorbild für den Kampf für Menschenwürde, Freiheit und Demokratie« war die Gruppe hingegen eher nicht. Mal sehen, was Gauck am 9. November über Georg Elser erzählt, wenn sich dessen alleingängerischer Plan zur Beseitigung des Tyrannen zum 75sten Mal jährt.
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