Ungarns Ministerpräsident István Tisza verweigert seine Zustimmung zum Militärschlag gegen Serbien
Österreich-Ungarns Kaiser Franz Joseph I. und sein ungarischer Ministerpräsident István TiszaSo nicht! Der ungarische Ministerpräsident István Tisza ist sauer. Fast zufällig hat er kurz nach einer Audienz beim greisen Kaiser mitbekommen, wie man in Wien schon die Messer wetzt, um die Serben gerade zu ziehen. Aber Tisza will keinen Krieg auf dem Balkan – und das Wort des ungarischen Regierungschefs hat in der Doppelmonarchie Gewicht: Ohne Tiszas Zustimmung können die k. u. k.-Truppen nicht gegen die Serben mobil machen. Und genau das will er erreichen. Deshalb schickt Tisza an seinen kaiserlichen Vertrauten Franz Joseph I. eine unmissverständliche Denkschrift. Darin verwehrt er sich „die Greueltat von Sarajewo zum Anlasse der Abrechnung zu machen.“
Der ungarische Ministerpräsident István TiszaIstván Tisza kommt am 22. April 1861 in Budapest zur Welt. Schon im Elternhaus lernt er, wie man für Ungarn Politik macht. Vater Kálmán hat eine Partei gegründet und sogar selbst als Ministerpräsident die Regierung geführt. Dabei hat er nie die Interessen der ungarischen Aristokratie vergessen und Lobbyarbeit von oben betrieben. Sein Sohn István ist aus dem gleichen Holz geschnitzt. Für Demokratie, Gleichberechtigung und Opposition hat er nichts übrig. Das bringt im die Sympathie und das Vertrauen des österreichischen Kaisers Franz Joseph I. ein, der dem sogenannten "Ausgleich" von 1867 auch König von Ungarn ist. Seither sind die ungarischen Interessen im Vielvölkerreich deutlich aufgewertet (neben Österreich und Ungarn gehören zur Donaumonarchie unter anderem Tschechien, die Slowakei, Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina). Im Gegensatz zum erzkatholischen Haus Habsburg ist Tisza ein calvinistisch-kühler Realpolitiker. Er hat in Berlin studiert - und das nicht nur an der Uni. Vom deutschen Kanzler Otto von Bismarck hat er gelernt, wie man nationale Interessen auch auf internationalem Parkett durchsetzt. In der europäischen Julikrise will er vor allem die ungarischen Interessen wahren und ein Krieg auf dem Balkan würde sie gefährden: Denn wenn serbische Gebiete annektiert werden, so fürchtet Tisza, dann würde der slawische Einfluss zwangsläufig aufgewertet – und das ginge ebenso zwangsläufig zulasten der Ungarn. Deshalb hat Tisza auch kein gutes Verhältnis zu Franz Ferdinand gehabt, der den Slawen auch ohne Krieg wohl mehr Einfluss eingeräumt hätte. Manche vermuten sogar, dass der umtriebige Ungar beim Attentat von Sarajewo seine Hände im Spiel hatte. Das aber ist zu weit hergeholt; weiter jedenfalls als die Argumente gegen einen Krieg, die Tisza dem Kaiser unterbreitet. Denn seine eigentlichen Motive behält er für sich. Den Kaiser warnt er vor den verhängnisvollen Mechanismen der Bündnissysteme: Hinter Serbien stehe Russland und hinter Russland Frankreich. Das könne böse enden! Das wissen auch Franz Joseph und sein Außenminister Graf Leopold von Berchtold. Selbst Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf weiß, dass man in Wien auf deutsche Schützenhilfe angewiesen sein wird – und noch mahnt der deutsche Botschafter Heinrich von Tschirschky zur Zurückhaltung. Seine Geschichte gibt's morgen im Eulengezwitscher-Extra zur Julikrise.
Ironie der Geschichte: Ausgerechnet István Tisza ist dem Krieg, den er (anfangs) hatte verhindern wollen, zum Opfer gefallen. 1918 wird er von Revolutionären erschossen, die ihn für das Weltengemetzel zur Verantwortung ziehen.