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Kardinal Meisner, Köln, hat sich in einem Interview in der Frankfurter Rundschau zu dem überraschend zum 28.Februar erklärten Papstrücktritt geäußert. Dabei hat er moniert, dass die Deutschen die historische Bedeutung eines deutschstämmigen Papstes nicht hinreichend gewürdigt hätten. Ihnen hätte ein “Gefühl des Selbstbewusstseins, ja des Stolzes, dass zum ersten Mal nach fast 500 Jahren wieder ein Deutscher ein solches Amt mit dieser globalen Verantwortung” ausübt, gefehlt. Dieser Gesichtspunkt mag für einen deutschen Kardinal durchaus eine Rolle spielen.
Für die universelle Kirche ist dies aber ein unwichtiger Gesichtspunkt und für die (möglichen) universellen Folgen des Rücktritts ebenso.
Was sich in den ersten Kommentaren aus der katholischen Welt zeigt, ist Fassungslosigkeit, ja sogar Entsetzen, auch wenn man um Fassung ringend Verständnis für den Schritt von Herrn Dr. Ratzinger äußert. Denn allgemeine katholische Vorstellung ist: Der “Heilige Vater” tritt nicht zurück, er bleibt in dem (ihm von den bei seiner Wahl vom Heiligen Geist geleiteten Kardinäle) übertragenen Amt der Stellvertretung und Nachfolge Christi, bis der “Herr” ihn in die “jenseitige Welt” abberuft.
Wie aufwühlend die Rücktrittsmitteilung weltweit wirkt, kommt in den vielfachen Bemerkungen über einen durch die Rücktrittsnachricht erlittenen “Schock”, bisweilen auch als “Überraschung” deklariert, zum Ausdruck. Worüber auch Kardinal Meisner bezüglich seiner eigenen Empfindungen berichtet. Im Interview mit der Frankfurter Rundschau äußert er sich – in Übereinstimmung mit den Vorstellungen offenbar vieler Katholiken – zum Papst-Rücktritt so: “Solch ein Schritt lag außerhalb meiner Vorstellungen. Früher traten nicht einmal Priester und Bischöfe zurück. Das hat einen durchaus tiefen Sinn: Das geistliche Amt ist ja eine Art Vaterschaft. Und Vater bleibt man doch Zeit seines Lebens. Als dann die Altersgrenze für Bischöfe und Priester eingeführt wurde, habe ich lange Zeit gedacht: Ein Glück, dass wenigstens der Papst auf Lebenszeit amtiert. Dann ist die Kontinuität dieser Vaterschaft gesichert.”
Und jetzt: ein Vater nur noch auf Zeit? Ein Papst ist nicht irgendwer, er ist weder Dorfpfarrer noch Prälat. Er ist aus katholischem Verständnis heraus auch nicht ein wie ein Vorstandsvorsitzender oder Generalsekretär zu bewerten. Der Papst verkörpert die universelle Einheit der katholischen Kirche und die ständige Verbindung mit Gott. Dass er aus der Masse der Laien ohnehin und der übrigen Kleriker in einzigartiger Weise herausgehoben ist, zeigt sich auch an seinen kirchlichen Titeln und den damit verbundenen umfassenden religiösen Kompetenzen:
Für Rom und Italien:
Episcopus Romanus – “Bischof von Rom”, Primas Italiae – “Primas von Italien” und Archiepiscopus et Metropolitanus Provinciae Romanae – “Erzbischof und Metropolit der Kirchenprovinz Rom”
Für die Weltkirche:
Summus Pontifex Ecclesiae Universalis – “Oberster Priester der Weltkirche” und Servus Serverum Dei – “Diener der Diener Gottes”
In der apostolischen Sukzession als Nachfolger Petri:
Successor Principis Apostolorum – “Nachfolger des Apostelfürsten”
Und schließlich im Verhältnis zum “Heiland”:
Vicarius Iesu Christi – “Stellvertreter Jesu Christi”.
Eine Reihe erhabener Titel, die auf eine sakrale Gesellschaft verweisen, in der kein Raum für Profanes war, schon gar nicht in Hinsicht auf den Oberpriester der Katholiken.
In der Tat ist durch die Erklärung Dr. Ratzingers etwas geschehen, was (bis auf einzelne Ausnahmen in den Jahren 235, 537, 1415 und 1294) noch kein Papst praktiziert hat und was in der neueren Zeit geradezu unvorstellbar war: der Eintritt des Papstes in den Ruhestand. Es handelt sich um eine alleingetroffene Entscheidung des Pontifex maximus, seine vom Heiligen Geist inspirierte Berufung zum Vicarius Iesu Christi, aus eigenem Gutdünken zu beenden. Obwohl nach katholischem Kirchenrecht zu diesem Vorgehen legitimiert, ist die Rücktrittserklärung für die Katholiken irritierend.
Dieses ist für einen Katholiken unfassbar, und es muss die Gläubigen zutiefst verstören: die Weltkirche, in der nicht mehr die göttliche Berufung und die damit verbundene apostolische Pflichterfüllung von erstrangiger Bedeutung sind, sondern die menschliche Befindlichkeit des jeweiligen Amtsinhabers. Der Papst in Zukunft nur noch ein profaner Kirchenangestellter mit Ruhestandsregelungen und -bezügen, mit fester Arbeitszeit und Urlaubsansprüchen?
Darf ein Papst vom Kreuz heruntersteigen ?
Kardinal Stanislaw Dziwisz aus Krakau (früher langjähriger Sekretär von Papst Johannes Paul II.) hat vehemente Kritik an dem Rücktritt angedeutet, als er jetzt Karol Józef Wojtyła mit den Worten zitierte: “Vom Kreuz steigt man nicht herunter.” Über diese Frage habe sich der Wojtyla-Papst, so schreibt kath-net, seinerzeit auch mit dem damaligen Kurienpräfekten Joseph Ratzinger beraten – offenbar erfolglos im Sinne eines fundamentalen christlichen Verständnisses.
Warum der Rücktritt von Dr. Ratzinger erfolgt ist, ist nicht im Einzelnen bekannt. Ob es die Entwicklung seines gesundheitlichen Zustandes ist oder das Ränkespiel im Vatikan, das ihn, der er weder Politiker noch ein Funktionärstyp ist, besonders belastet haben soll, oder beides, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Für seine Entscheidung, wird ihm, der sich nach dem gegenwärtig innegehaltenen Amt nicht gedrängt hat, persönlicher Respekt zu zollen sein.
Für die katholische Kirche – in ihrer jetzigen Verfasstheit – aber bedeutet dieser Rücktritt eine (weitere) Katastrophe. Nicht etwa wegen einer besonderen Bedeutung des jetzigen Pontifikats. Nicht etwa wegen des zu erwartenden Nachfolgers – zumal gerade die europäischen Katholiken da nicht allzu viel in ihrem Sinne erwarten sollten: größere Liberalität ist gegenwärtig nicht angesagt in der universellen Kirche.
Ein Rücktritt mit dieser Begründung aber zeigt weltweit deutlich und zeigt dies auch gerade auch den Gläubigen: auch der Papst ist nur ein Mensch mit Anrecht auf Ruhestand und einen Lebensabend nach eigenen Vorstellungen. Und dieser Gesichtspunkt allein zählt. Die Ideologie tritt partiell zurück zugunsten einer Betrachtung des konkreten Menschen an der Spitze der katholischen Kirche und der Berücksichtigung seiner Bedürfnisse und seiner gesundheitlichen Situation. Das ist human und deshalb zu begrüßen.
Rücktritt: Beförderung des Sakralen?
Dies mag zudem eine moderne Kirchenauffassung sein, und auch eine auf Effektivität in der kirchlichen Leitungsfunktion setzende. In einer Zeit jedoch, in der die Ideale und Rituale des Christentums (allemal in der katholischen Fassung) deutlich und in erheblichem Tempo ihre Leuchtkraft verlieren, ist der jetzige Rücktritt des Papstes eine Maßnahme gegen das Sakrale, gegen das Heilige. Auch bezüglich des katholischen Oberhirten und der religiösen Bedeutung seines Amtes bekommt die immer noch wirkmächtige Gegenwart des Sakralen Risse und das Profane dringt in diese Sphäre ein.
Ein Papst , der ruhestandsberechtigt ist und seinen Ruhestand durchsetzt, mag noch ein respektabler Theologe oder ein beliebter Hirte der katholischen Gemeinde, vielleicht auch beides sein – die sakrale Stellung des Vicarius Iesu Christi aber ist unwiderruflich beschädigt. Ein weltlicher Stellvertreter des Heilands – auf selbstbestimmte Zeitdauer, vielleicht auch mit geregelter Arbeitszeit, möglicherweise mit Rufbereitschaftszeiten und vielleicht auch mit Bonus-Meilen-Ansprüchen, das ist dann doch nur noch die Ebene eines (wenngleich herausgehobenen) Kirchenfunktionärs. Mit einer solchen Figur lässt sich eine besondere Kompetenz in ethischen Angelegenheiten und eine „Unfehlbarkeit“ in Glaubens- und Sittenfragen erst recht nicht mehr begründen lassen. Die besondere Bedeutung ist dahin.
Die Bestürzung des Kardinals Meisner kommt nicht von ungefähr. Er verspürt, dass es – gemessen an seinen Vorstellungen und Hoffnungen – mit der katholischen Kirche und Lehre weiter an den Rand der (jedenfalls der) europäischen Gesellschaften gehen wird. Er wird (gemeinsam mit anderen Klerikern) diesen Prozess aufzuhalten versuchen, aber das ist dauerhaft nicht möglich. Die Menschen lassen sich ohnehin in das enge und realitätsfremde Korsett katholischer Vorstellungen nicht mehr einzwängen und gehen ihre eigenen Wege. Katholische Moralvorstellungen können in einer säkularisierten Gesellschaft keine Mehrheiten mehr überzeugen. Die Werte haben sich gewandelt – mehr auf Menschenrechtlichkeit und ein Leben des einzelnen Gesellschaftsmitglieds in Solidarität und Selbstbestimmung orientiert und weniger auf katholisch-ideologische Konstrukte.
Ob mit einem Papst mit Ruhestandsanspruch es – deshalb – wohl noch einige mehr sein, die sich zu diesem Schritt des eigenen Weges entschließen werden, wird abzuwarten bleiben.
Christus-Stellvertretung: Ende am 28. Februar, 8.00 Uhr abends
Herr Dr. Ratzinger hat die Wirkung seines Rücktritts von der Stellver- treterschaft des Jesus Christus auf den 28. Februar, abends 8.00 Uhr, festgelegt. Gründe für diesen Zeitpunkt hat er nicht genannt, bislang hat es zu dem Datum, soweit ersichtlich, auch noch keine Bewertungen gegeben. Hinreichend Zeit etwa zur Nominierung eines neuen Papstes noch vor den Osterfeierlichkeiten ist Ende Februar jedenfalls gegeben. Ob dies die wesentliche Größe für die Festlegung des Datums gewesen ist oder die Einräumung von Vorbereitungszeit für eine Abschiedsfeier? Kardinal Meisner jedenfalls hofft auf eine solche Feier. Persönliche Eitelkeit war Dr. Ratzingers Anliegen jedoch bislang nicht.
Allerdings ist er in der Geschichte der katholischen Kirche bewandert und denkt in historischen Kategorien. Hat vielleicht gerade deshalb das Datum 28. Februar eine Rolle gespielt?
28. Februar – kein Tag wie jeder
Was geschah an einem 28.Februar Bedeutsames für die katholische Kirche? Am 28. Februar des Jahres 380 erließ der römische Kaiser Theodosius das Edikt Cunctos populos, mit dem per staatlicher Anordnung die christlich-trinitarischen Religion zur einzig wahren katholischen Religion erklärt wurde. Damit wurde das Ergebnis des Konzils von Nicäa zur alleinverbindlichen Grundlage des allein zulässigen Glaubens gemacht, und zwar nicht von Theologen, sondern von den für die Innenpolitik zuständigen staatlichen Organen. Waren anfangs Andersgläubige noch “nur” der Strafe der Ächtung ausgesetzt, wurden in den folgenden Jahren durch weitere Edikte des Theodosius die noch vorhandenen heidnischen Kulte verboten, durch Eheverbote (etwa mit Juden) tief in die private Sphäre eingegriffen sowie der Abfall vom (wahren) Christentum unter Strafe gestellt, die Häresie zum Verbrechen erklärt. Durch diese und eine Vielzahl weiterer staatlicher Akte wurde das katholische Christentum zur Staatsreligion erhoben.
Dr. Ratzinger wird wohl kaum etwas gegen die trinitarische Formel einzuwenden haben, hat er doch niemals die Ideologieformel vom dreieinigen Gott in Frage gestellt.
Er hat aber während seiner Deutschlandreise 2011 in Erfurt und insbesondere in Freiburg Kritik an der Amtskirche geübt und deren zu enge Verbindung mit der „Weltlichkeit“ beklagt. Orientiert hat er mit deutlichen Worten auf eine „Entweltlichung“, die notwendig sei, damit die Kirche sich ihrer eigentlichen Sendung widmen könne. Der katholischen Kirche seien, so hat er in Freiburg in einer seiner Reden ausgeführt, in ihrer Geschichte die Säkularisierungen – “sei es die Enteignung von Kirchengütern, sei es die Streichung von Privilegien oder ähnliches” – zur Hilfe gekommen, die zur Läuterung und inneren Reform der Kirche wesentlich gewesen seien und die zu einer tiefgreifenden Entweltlichung geführt hätten. “Die von ihrer materiellen und politischen Last befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein. Sie kann ihre Berufung zum Dienst der Anbetung Gottes und zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben. Die missionarische Pflicht, die über der christlichen Anbetung liegt und die ihre Struktur bestimmen sollte, wird deutlicher sichtbar” hat Dr. Ratzinger in Freiburg in seiner Rede vor in “Kirche und Gesellschaft engagierten Katholiken” ausgeführt.
Im Sinne dieses von ihm vor eineinhalb Jahren skizzierten Programms der “Entweltlichung” der katholischen Kirche wäre das Datum 28. Februar eine Markierung des Beginns und des Endes der engen Verbindung von Katholizismus und Staat – in der europäischen Version jedenfalls.
Wenn es zutrifft, wie Charles Taylor es formuliert hat, dass im Mikromechanismus der mittelalterlichen Welt die “Macht Gottes” eine allgegenwärtige Gegebenheit war, und dass diese “Macht Gottes” heute nicht einmal mehr annäherungsweise so empfunden wird, dann ist es angebracht, dass auch die katholische Kirche zu Änderungen bereit ist, will sie nicht zur Bedeutungslosigkeit (in Europa) herabsinken. Möglicherweise will Dr. Ratzinger hierzu einen Beitrag leisten.
Dass eine von ihm gewünschte Entwicklung der katholischen Kirche nicht den Vorstellungen von “Basiskatholiken” und Reformen entsprechen wird, ist freilich ein anderes Thema.
Walter Otte
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