Der morgendliche Ausblick vom Rotwandhaus
Nachdem mich Sebastian auf Facebook auf einen halbgar organisierten, sehr “freien” Staffellauf entlang der deutschen Etappen der violetten Via Alpina-Route aufmerksam gemacht hatte, entschied ich mich wie erwähnt kurzfristig statt eines weiteren Rennens (Barbarossa-Berglauf), lieber ein Wochenende richtig alpin unterwegs zu sein. Während Sebastian drei Etappen (einschließlich Montag) auf dem Trail verbrachte, konnte ich nur zwei Etappen laufen, da ich montags schon wieder ein Seminar leiten durfte.
Da konnten wir auch gleich zusammen fahren. Also holte er mich am Bahnhof Nürtingen um 08:00 Uhr morgens ab und wir gondelten (mehr als 120 km/h gab die Opel-Gurke nicht her – beim nächsten mal fahren wir mit meinem!) nach Kreuth.
Bei der Gelegenheit ein neuer Witz zum Thema:
“Wofür stehen die vier Ringe von Audi? – Für jeweils 100.000 km Fahrleistung!
Deshalb ist der eine Ring bei Opel auch durchgestrichen!”
Kreuth war mein Zielort und dort deponierten wir im Hotel meine Dropbag mit Klamotten für hinterher. Dann ging’s weiter nach Oberaudorf, unserem Startort. Christian und seine Freundin gaben das Empfangskomitee. Er war zwei Etappen zuvor gelaufen und kommt aus der Gegend. So konnte er uns noch ein paar Tipps geben und vor dem noch reichlichen Schnee in den höheren Lagen warnen. Während wir uns austauschten, vertilgten wir beide jeweils eine halbe Pizza Hawaii und dann ging’s los…
Keine zwanzig Minuten unterwegs – wir hatten es steil bergan gerade bis zum Hocheck geschafft – da zog auch schon der perfekte bayrisch-weiß-blaue Himmel zu und es zog ein Gewitter über uns hinweg mit immer übleren Hagelschauern. Glücklicherweise verzog sich der Spuk so schnell, wie er gekommen war.
Durch wunderschönen Hochwald ging’s weiter Richtung Brünnsteinhaus. Da hatten wir schon die ersten 1000 von den heutigen 3.500 Höhenmetern beisammen. Von hier nahmen wir eine leicht abweichende Route unterhalb der der Gipfel des Steilnerjoch, des Unterbergjoch und des Großen Traithen. Die Überschreitung hätte uns auf dem Grat sicher mindestens eine Extra-Stunde gekostet – mitten in der Wolke, ohne Sicht und mit viel Schnee. So liefen wir an der Himmelmossalm vorbei zum Fellalm-Sattel, wo wir wieder auf die Originalroute stießen. Unterwegs zeigte sich gleich zwei Mal Lurchi, der Feuersalamander, in seiner exzentrischen schwarz-gelben Lackierung und eine Gemsen-Familie schaute auch mal nach dem Rechten.
In wildem Downhill ging’s hinunter ins Ursprungtal von dort wieder steil bergan zum Rotwandhaus. Das letzte Stück vom Sillberghaus am Hang entlang zog sich dann doch ordentlich lang und mein Sebastian merkte jetzt langsam, wie die Kräfte schwanden. Der letzte Teil zum Gipfel war praktisch weglos, da der ganze Hang von Lawinenresten und Muren durchzogen war. Nach alter Pfadfinder- und Adventure Racer-Sitte suchte ich uns den besten Weg hinauf zum Gipfel und von dort über den Grat zur DAV-Hütte. Gegen Ende fing es auch wieder ordentlich an zu regnen und der kalte Wind auf 1800 m.ü.M. setzte uns dann doch etwas zu. Die Hütte war bei den Bedingungen auch erst im letzten Moment zu erkennen.
Ach, was freute ich mich auf eine heiße Dusche! Die musste aber leider ausfallen, da die DAV-Sektion zwar ihre Berghütte aufwendig, ja fast luxuriös aufpoliert (Toiletten wie ich sie auch zwei Tage später im Fünf-Sterne-Hotel nicht besser hatte), aber offenbar an der Isolation der Wasserleitungen gespart hatte. Wir hatten ohnehin keine Zeit, durften wir doch den Küchenschluss um 18:45 Uhr nicht verpassen. Der anschließende Kaiserschmarrn wog die Enttäuschung wieder auf, denn er gehörte zu den Besten, die ich je essen durfte. Interessanterweise hatten wir trotz fast fünfstündigem Laufen Schwierigkeiten, unsere Teller leer zu essen. Nach dem Genuss des sich sekündlich ändernden Abendhimmels hier so weit oben in den Bergen und dramatischen Regenbogen- und Wolkenformationen stürzten wir uns in unser Vier-Mann-Lager, welches wir glücklicherweise für uns hatten.
Am Morgen dann wieder ein schöner Alpenhimmel und ein tolles Frühstück in der ansonsten etwas unterkühlten Hütte. Auf dem Weg zum Taubenstein begegnen uns drei Mädels auf dem “Rückzug”, die den Weg in dem vielen Schnee nicht gefunden hatten und sicherheitshalber umdrehten. Wir konnten sie von den überlegenen männlichen navigatorischen Fähigkeiten überzeugen und so tippelten sie uns hinterher und fanden den richtigen Einstieg. Hinunter zum Spitzingsee schlittelten wir auf der Skipiste. Dort fing es auch wieder zu regnen an und sollte für den Rest des Tages auch nicht mehr aufhören…
Vom Spitzingsee ging’s die nächste “Bodenwelle” hinauf zum Stümpflinghaus und hinab nach Sutten. Nun sollte der schwierigste Teil unserer gesamten Tour kommen. Ich hatte die Karte schon in der Hütte ausgiebig studiert und diesmal gab es kein entrinnen: Wir mussten über den Grat zum Gipfel des Risserkogel und diesen überschreitend zum Grubereck, bevor wir uns auf den finalen Downhill hinunter nach Kreuth machen durften. Ich sollte recht behalten (manchmal hasse ich es, wenn ich recht behalte): Hinauf zum Grat hatten wir noch Glück, da der Nordhang ein optimaler Skihang ist und wohl zuvor ein paar Skitourengänger mit den Ski auf dem Rücken im Sherpa-style die steile Flanke zu einem Föhren-bewachsenen Sattel hochgestiegen waren. Damit gab es ein paar super Stufen von deren Tourenschuhen. Oben angekommen hieß es aber einmal mehr: Wegloses Gelände! Das lief noch ganz ordentlich, bis wir zu einem sausteilen und tief-verschneiten Couloir kamen.
Im Couloir (Foto: Sebastian)
Das war grenzwertig. Glücklicherweise tendiere ich dazu, in solchen grenzwertigen Situationen sehr klar zu werden und die Dinge zu tun, die zu tun sind. Im Nachhinein hätte ich mir Vorwürfe gemacht, wenn Sebastian da etwas passiert wäre. Ich habe ihn zwar nun schon ein wenig kennen und schätzen gelernt, konnte ihn aber in solch schwierigen Situationen nicht einschätzen. Prompt rutschte er unter mir ein paar Meter ab…und wie durch Geisterhand schlitterte er seitlich in die rettende Rinne zwischen Fels und Eis. Puuh. Das war knapp. Ich schätze, dass ich nichts mehr für ihn hätte tun können, wenn er da geradeaus den Hang abgerutscht wäre und Fahrt aufgenommen hätte…
Also – weniger riskant – auf die andere Seite gewechselt, wo ein paar Föhren Äste zum festhalten boten. Auf dem Gipfel fegte ein übler Wind und der Regen war längst in Schnee übergegangen. Und wer steht etwas unterhalb des Gipfels ganz entspannt in voller Bergausrüstung? Entspannt einen heißen Tee aus der Thermoskanne trinkend? Zwei hübsche Mädel, die offenbar nichts Besseres vorhatten an diesem herrlichen Sonntag-Nachmittag. “Seit’s hoch’joggt?”, kam dann auch die logische Nachfrage, als wenn das hier ein Spaziergang im Park gewesen wäre. Reschpeckt! Während die Nummer Sebastian doch etwas mitgenommen hatte und er im Delirium vorbeizog, gönnte ich mir ein paar Minuten Pause, bekam ein paar Schlucke heißen Tee und verbschiedete mich von den zwei Schönen, die ich nie wiedersehen werde. Ich hab’ doch nicht geträumt? Ich hätte ein Foto machen sollen….
Nachdem sich der Grat doch noch einiges zog, war’s für den Rest des Downhills nur noch die reine Freude. Sebastian erholte sich von seinem Schockzustand auch zusehends und packte auch wieder die Kamera aus. Ein gutes Zeichen!
Unten in Kreuth in seinem Hotel angekommen, gönnten wir uns ein leckeres Mittagessen nach einer heißen Dusche. Und dann fuhr auch schon mein Bus nach Tegernsee und von dort mit der BOB nach MUC, dem ICE nach Ulm, dem IR nach Plochingen und schließlich dem RE nach Nürtingen. Klappte alles wie am Schnürchen. Und da ich gleich am Montag zum Arbeiten musste, kam ich erst jetzt zum Schreiben…