Veteranengeschwätz

Über Wulff kann man ja sagen was man will. Dass er trantütig ist, langweilig, eine Sprachrhythmik besitzt, die in Tierschlaf versetzt - dass er so viel politischen Gehalt hat, wie Mineralwasser Alkohol - dass seine anonkelnde Art tapsig und gekünstelt wirkt. Das alles kann man über Wulff sagen. Aber dann muß man fair sein und nachschieben: Er ist der beste Bundespräsident, den wir, gemessen an den realistischen Chancen, die es damals zur Bundesversammlung gab, haben können. Sein damaliger Kontrahent, er konsolidiert mit seinen Ansichten und Frechheiten, die er so in der Presse verbreitet, mehr und mehr die Präsidentschaft Wulffs. Er gebiert aus dieser blassen Belanglosigkeit, die sich Christian Wulff nennt, einen Glücksfall. Letztlich muß man als Bürger auch noch froh sein, einen wie Wulff als Bundespräsidenten zu haben - besser als der andere, den damals Sozialdemokratie und Grüne ins Rennen schickten, ist er allemal.

Der findet nämlich die Occupy-Proteste "unsäglich albern" - romantische Vorstellung, eine andere Welt zu fordern, meint er ganz Snob. Dann folgt, was immer folgt bei Joachim Gauck: seine geballte Lebenserfahrung, die er als Keule gegen diejenigen benutzt, die in der Bundesrepublik nicht täglich ein Hosianna! frohlocken. In dem Land, in dem er lebte, da waren Banken besetzt und nichts war besser, erzählt er trocken. Er habe ja damals in einer Diktatur gelebt - er habe somit damals jedes Recht zum Protest gehabt. Damals gab es Protestberechtigung - heute aber...

Das ist die zeitgenössische Verklärung, die nun bei Menschen aus dem ehemaligen Warschauer Pakt häufiger aufzutreten scheint. Der ungarische Musiker Leslie Mandoki biederte sich beispielsweise vor einiger Zeit bei der Kanzlerin an, immerhin seien beide doch Menschen, die die Diktatur erlebt haben - manche haben das sicherlich ganz drastisch, aber die Schlussfolgerungen solchen Veteranengeschwafels sind unbegreiflich arrogant. Sie lauten nämlich: Wir haben das Elend und die Ungerechtigkeit gesehen, aber ihr, die ihr hier schon immer im feinen Westen lebt, habt keine Ahnung davon - und daher sind Demonstrationen nicht gerechtfertigt, weil euch geht es noch gut. Seid zufrieden mit dem, was ihr habt. Das sind diktatorische Leviten, die man liest - demokratisch ist das jedenfalls nicht. Hervorgehoben sei noch, dass man einräumt, es ginge uns noch gut - im Westen sollte man nach dieser veteranischen Sichtweise erst protestieren dürfen, wenn es schon zu spät ist.

Gauck sieht es ganz genauso. Demonstrationen waren das Vorrecht von DDR-Bürgern. Aber das natürlich auch nur innerhalb der DDR. Und die gibt es nicht mehr, womit es auch keinen Grund mehr gibt, zu demonstrieren. Er ist arrogant genug um anzunehmen, dass das Paradies Bundesrepublik die Hölle des Ostens getilgt hat. Wer aus dem Paradiese heraus jammert, dem sollte man mal die Hölle vor Augen halten - dem sollte man mal erklären, wie gut es ihm heute noch geht. Gauck klingt wie manches Großmütterchen, das verächtlich die Nase rümpft, wenn es liest, dass im heutigen Deutschland Menschen hungern müssen oder an materiellen Notstand leiden - es hat damals doch auch und viel mehr hungern müssen; damals nach den langen Bombennächten. Was hätten wir denn damals gesagt?, fragt es. Wir haben doch nichts gehabt - überhaupt nichts! Als ob es irgendwie sinnvoll wäre, Hungernde gegeneinander in Stellung zu bringen... als ob es sinnvoll wäre, Unzufriedenheit zu kategorisieren in berechtigt oder unberechtigt.

Solches Veteranengeschwätz ist das Geschäft des Joachim Gauck. Dieses deklariert er allerdings als Freiheitsreden. Denn er war dabei, er ist ausgewiesener Fachmann in Sachen Freiheit. Seine Meinung ist verifiziert - wer anders denkt, wer sein Gerede und das seiner ideologischen Brotgeber als arrogante Beredsamkeit entlarvt, der ist eben "unsäglich albern". Der Mann versteht von Freiheit jedoch nichts, sonst würde er auch anderen Generationen, anderen Zeiten, anderen Orten das Recht zubilligen, frei zu demonstrieren - Geschichte wiederholt sich nicht, Protestgründe somit auch nicht. Würde er in einem kurzen Augenblick plötzlich befreit aufdenken, so müsste er erkennen, dass er derselbe verbohrte Ideologe geworden ist, wie es seine damaligen Gegner in der DDR waren. Denen hat er damals genau diese Halsstarrigkeit zum Vorwurf gemacht. Würde man ihn aber wirklich mal öffentlich als Dampfplauderer entkleiden, er würde vermutlich reagieren, wie es viele Veteranen tun: entrüstet, mit der moralischen Verurteilungskraft gegenüber denen, die damals nicht dabei waren... wie kann man nur an den Worten dieses letzten großen Freiheitsphilosophen zweifeln?

Gauck wäre ein Präsident der Banken geworden, muß man letztlich ganz realistisch annehmen. Man stelle sich nur vor, wie unerträglich es gewesen wäre, hätte er als oberster Mann des Staates Proteste dieser Form als albern verunglimpft. Durch Horst Köhler, den treuherzigen Neoliberalen, hatte das Amt großen Schaden genommen - der Veteran Gauck, der die Bundesrepublik als Hort allen Glückes darstellt, hätte das Amt völlig unmöglich gemacht. Wulff tut nicht viel dafür, um das Amt wieder zu einer moralischeren Institution zu machen. Er hält viel den Mund: das dürfte sein Alleinstellungsmerkmal sein. Es gehört viel dazu, jemanden wie Wulff annehmbar zu machen - Gauck schafft das immer wieder punktgenau. Weil es Gauck als Präsident nicht gibt, wissen wir erst, was wir an Wulff nicht haben...


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