Verzweifelte Schreiber- Die Presse schafft sich ab

Vom Niedergang des deutschen Qualitätsjournalismus


Verzweifelte Schreiber- Die Presse schafft sich abSie kämpfen wie die Löwen und sterben wie die Fliegen. Immer mehr Zeitungsverlage geraten in Existenznot. Sie müssen Festangestellte entlassen, die dann als mittellose Freelancer verzweifelt auf den einen oder anderen kleinen Auftrag hoffen. Vergeblich, der Praktikant macht es zwar nicht besser, aber billiger und zudem ausreichend gut. Schreiben auf Zuruf ist ein Luxusgut aus besseren Zeiten geworden, die längst vorüber sind. Wie ist es möglich, dass unsere Mainstream- Medien innert weniger Jahre derart in Schieflage geraten konnten?

Einer der Hauptgründe ist sicherlich der progrediente Vertrauensverlust, den die Medien derzeit erfahren. Unschuldig daran sind sie sicherlich nicht, haben sie sich doch freiwillig ihrer einzig realen Existenzberechtigung begeben, die sie hatten. Sie sind nicht länger anerkannt als vierte Säule des Staates. Ihre einstige Kontrollfunktion gegenüber Politikern, Parteien, Gewerkschaften und Verbänden ist zu einer Farce verkommen und immer mehr Leute haben das erkannt. Als logische Folge dieses Vertrauensverlustes sprangen in den vergangenen fünf bis zehn Jahren immer mehr Abonnenten ab, der Umsatzfokus der Medien verlagerte sich daher zusehends auf das Anzeigengeschäft. Damit stabilisierten sich die Umsätze geringfügig und für kurze Zeit. Allerdings trat damit zugleich ein neues Problem auf den Plan.

Werbeeinnahmen fließen nur dann, wenn ein Verlag genügend Leser, Hörer und Zuschauer erreicht. In dem Maße, in dem ihm die Rezipienten weglaufen, sinken zugleich seine Werbeeinnahmen, da die Verlage immer weniger für diesen Service verlangen können, wenn niemand mehr das Machwerk in die Hand nehmen will, um sich daraus zu informieren. Schuld daran, so heißt es jetzt, sei das böse Web 2.0, welches zum Nulltarif köstlichste Informationen in Hülle und Fülle anbietet. Die Wirklichkeit indessen sieht anders aus.

Abgesehen davon, dass es sich herumgesprochen hat, dass die Möglichkeiten der Einflussnahme des BND bis in die Redaktionen namhafter Zeitungsverlage vorgedrungen sind, gibt es zudem eine wachsende Abscheu gegenüber der Feigheit in den Chefetagen der Redaktionen. Anstatt unvoreingenommen, faktentreu und investigativ unbequeme Wahrheiten zu veröffentlichen gehen diese den umgekehrten Weg und beschränken sich auf die Verbreitung von vor gefärbtem und unseriösem Agitprop. So wird die aktuelle Lage in Fukushima, wo offenbar gleich mehrere Kernschmelzen unter freiem Himmel ablaufen, inzwischen entweder verharmlost oder gänzlich totgeschwiegen. Dass der ‘humanitäre’ Einsatz in Libyen mit Uranmunition durchgeführt wird – keine Zeile wert. All die vielen Friedensangebote Gaddafis- als Meldung unterschlagen. Die Massaker in Afghanistan, die Kill-Teams der US- Streitkräfte, bombardierte Hochzeits- und Trauerfeiern durch US-Dronen, alles wird totgeschwiegen, nichts soll durchsickern. Und dennoch, es sickert. Stets nur ein kleines bisschen, aber es sickert immer weiter und die Leute lesen es im Netz. Es stellt sich die Frage: Wozu brauchen wir die Leitmedien eigentlich noch? An der Nase herumführen können wir uns auch selbst, dazu benötigen wir keine opportunistischen Schreibtischtäter, die in vorauseilendem Gehorsam mit der Schere in ihren Köpfen alles aus dem Tagesgeschehen herausschneiden, was nicht gewünscht wird von…ja von wem eigentlich?

Im Netz der Werbekunden

Um diese Frage zu ergründen, ist es notwendig, dass Netz der Abhängigkeiten zu beleuchten, das die Presse sich bereits vor Jahren selbst gesponnen hat. Um mit weniger Arbeit dennoch mehr Umsatz zu erzielen, hat die Presse schon vor Jahrzehnten Nachrichtenagenturen angelegt, die eine Vielzahl von Blättern mit Meldungen versorgen. Diese Meldungen werden zunächst von großen Zeitungen mit hohem Bekanntheitsgrad publiziert und dann in autologisierter Form, also ohne jede Nachrecherche, eins zu eins von den kleineren Zeitungen übernommen. Ein großer Teil aller Meldungen ist in unterschiedlichen deutschen Tageszeitungen wortgleich. Eine Meldung per copy & paste zu übernehmen, schafft ein durchschnittlich begabter Volontär nach spätestens einem Tag. Das spart den Redaktionen teures Personal und ermöglicht eine Gesamtsteuerung des Informationsflusses. Und die dient vor allem zwei Zwecken, erstens konzerngerechte Berichterstattung und zweitens political correctness im Sinne staatstragender Parteiorgane.

Indem Maße, indem die Presse ihren Umsatzfokus weg von gut informierten Lesern und hin zu möglichst viel Werbung verschoben hat, ist auch deren Abhängigkeit von ihren Werbekunden gestiegen. Solange die Leser die Zeitung bezahlt haben, konnte die Verlage relativ frei und ungebunden berichten. Die Androhung einer Firma, dem Verlag Werbeaufträge zu streichen, hätte allenfalls ein müdes Lächeln hervor gerufen. Auf seine Leser konnte man sich schließlich verlassen. Das hat sich inzwischen geändert. Den Zeitungen ist es schon seit Jahren zunehmend egal, ob jemand ihren Schund noch ließt oder nicht. Die Leser laufen ohnehin weg, weil die Glaubwürdigkeit der Medien schon seit Jahren fragwürdigen Umsatzstrategien geopfert wird. Also setzt man in den Verlagen noch mehr als zuvor auf Werbung, weil das große Lager der Bild-Leser bereits vergeben ist. In früheren Jahren kursierte der Scherz: „Was liegt auf der Treppe und lügt? Die Zeitung.“ Inzwischen lügen die Zeitungen nicht nur, sie agitieren vor allem im Sinne der modernen Kriegstreiber, um ihre politische Deckung nicht zu verlieren. Die derzeitge Devise lautet:“Hoch das Bein, die Liebe winkt, der Kaiser braucht Soldaten.“ Also werden auf den entsprechenden Sendern Berichte über die neuesten Errungenschaften der Panzertechnologie mit stromlinienförmig eingebetter Kriegsberichterstattung gepaart. Alte Kämpen mit wettergegerbtem Gesicht berichten: „Es war die Hölle!“ Das zieht, wer braucht nicht gelegentlich etwas Abwechslung. Ausgespart bleibt hingegen die eingangs erwähnte Uranmunition und all die anderen Kriegssauereien, die eindeutig beweisen, dass wir nicht die Guten sind. Dass die Leitmedien die derzeitige Kernschmelze in Fukushima unter den Tisch fallen lassen, liegt daran, dass die Atomkonzerne an einer derartigen Stimmungsmache nicht interessiert sind. Und RWE, EnBW, Vattenfall und E.ON zahlen großzügig für ihre ganzseitigen Anzeigen.

Und noch etwas bringt die Medienhäuser in Abhängigkeiten. Die einzelnen Protagonisten der Meinungsindustrie halten sich für ungeheuer wichtig. Diese narzistisch überhöhte Selbstwahrnehmung wird geschürt durch die Einführung privilegierter Hinterzimmergespräche, in denen die Journalisten von Fraktionsmitgliedern mit vermeintlich wichtigen Informationen aus erster Hand versorgt werden, solange sie diese nicht veröffentlichen. Auf diesem Weg wurde jahrelang die Erkenntnis in ihre Köpfe gepflanzt, dass man nicht alles publizieren muss, auch wenn es wichtig ist. Ein bislang einmaliger Dressurakt mit weitreichenden Folgen für unsere Gesellschaft. In unsere Presse wächst der Wunsch, an der politischen Entscheidungsfindung direkt mitzuwirken. Früher hing in den Fernseh- und Hörfunkstudios ein großes Schild mit dem La Roche-Zitat: „Wir senden weder für Politiker, noch für Journalisten, die sich als verhinderte Politiker sehen.“ Die Zeiten haben sich geändert. Heute gefallen sich Journalisten in der Rolle von Strippenziehern, die die Geschicke der Gesellschaft mit lenken. Wir wollen Flachbildschirme, Handys und bezahlbare Benzinpreise? Ok, dann müssen wir eben auch den Libyeneinsatz decken und unterstützen, egal wie völkerrechtswidrig und grausam dieser auch sein mag. Deshalb wird derzeit in düstersten Szenarien die Propagandalüge verbreitet, der Ausstieg aus der Kernkraft wäre so gut wie unbezahlbar. Wer ein Omlette backen will, der muss eben auch dazu bereit sein, Eier aufzuschlagen.

Plädoyer für eine Neubesinnung

Dabei könnte es auch ganz anders laufen, würde nicht eine solch erbitterte Konkurrenz der Verlage um die letzten Leserressourcen herrschen. Als 1986 Tschernobyl explodierte war die Schweiz eines der am stärksten betroffenen Gebiete. In einigen Messstellen inmitten der Schweizer Alpen wurden Messwerte ermittelt, die stellenweise höher lagen als in der weiteren Umgebung des havarierten Reaktors selbst. Damals erging von der Schweizer Bundesbehörde ein Maulkorberlass an sämtliche schweizerischen Verlage und Medienanstalten mit dem klaren Verbot einer Berichterstattung über die Geschehnisse. Die Redaktionen der Schweiz trafen sich daraufhin in einer gesamtschweizerischen Versammlung und beschlossen gemeinsam, sich über das Verbot hinwegzusetzen und dennoch zu berichten. Gleichzeitig mit Verweis auf den erlassenen, jedoch missachteten Maulkorberlass. Der schweizer Presse sind daraus nie Konsequenzen erwachsen, aber einige schweizer Politiker mussten sich bei ihrer Bevölkerung entschuldigen.

Auch unsere Presse muss sich bundesweit zusammenschließen und endlich wieder ihre frühere Machtposition ausspielen. Wenn ein Konzern mit dem Entzug von Werbeaufträgen droht, dann sollen sie ihn doch rausschmeißen. Aber nicht nur aus einer einzelnen Redaktion, sondern deutschlandweit. Was würden den Konzernriesen für gigantische Umsatzeinbußen drohen, würde die gesamte Medienlandschaft sich geschlossen weigern, Werbung für sie zu schalten um stattdessen kleinere, aufstrebende Unternehmen mit weniger brachialen Geschäftsmethoden zu bevorzugen.

Auch politischem Druck könnte auf diesem Weg begegnet werden. Wer sich weigert, Fragen zu beantworten, der wird einfach nicht mehr gefragt. Politiker verschwinden schlagartig in der Bedeutungslosigkeit, wenn niemand mehr über sie berichtet. Das wissen diese und würden einen Teufel tun, es sich mit der Bundespresse zu versauen. Es entstände eine Pat- Situation, in welcher die Presse sich neu formieren und ausrichten könnte. Natürlich müsste in Sachen Politik eine gewisse Mindestberichterstattung erfolgen, aber diese könnte auch zusehends kritischere und oppositionellere Züge annehmen. Kleinere Alternativparteien mit neuen Ansätzen könnte zusehends im Vordergrund der Berichterstattung platziert werden während man die Platzhirsche vornehm ignoriert.

Natürlich haben auch Journalisten Angst um ihren Arbeitsplatz und beugen sich daher dem Diktat aus den Chefetagen. Dabei ist die Rechtsprechung eindeutig auf ihrer Seite und schützt die freie Berichterstattung mehr und stärker als in vielen anderen Ländern. Als der ehemalige ZDF- Chefredakteur Nikolaus Brender von Roland Koch gefeuert wurde, war das ein derartig unverschämter Eingriff in die Freiheit der Presse, dass eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht durchaus Aussicht auf Erfolg hätte haben können. Indess es fehlte der Mut, sich für einen aufrechten Kollegen gerade zu machen. Das größte Machtkapital unserer wirtschaftlichen und politischen Eliten ist nicht deren Geld, sondern unsere kollektive Feigheit, die endlich in kollektiven Zorn umschlagen muss. Die großen Verlagshäuser wie Burda, Bertelsmann und Springer könnten von ihren Journalisten bestreikt werden. Man stelle sich vor, eine ganze Woche lang keine Berichterstattung. Da würden viele Köpfe rollen, allerdings in den Chefetagen. Die Redakteure würden noch gebraucht, andernfalls müssten die Manager ihren Content selbst erstellen, was diese nicht können. Nicht jeder Pfeffersack eignet sich zur Edelfeder. Kurzum, guter Journalismus war und bleibt unverzichtbar.

Was früher die Kesselflicker von Dorf zu Dorf trugen, hat sich heute zu einem fein austarierten Instrument der Meinungsbildung ausgewachsen. Nicht Waffen sind es, die Macht verleihen, sondern die Fähigkeit, die öffentliche Aufmerksamkeit zu kontrollieren. Ohne Unterbrechung werden wir tagtäglich inflationär mit Informationen überflutet, die um unsere Aufmerksamkeit buhlen. Aufmerksamkeit ist heutzutage eine der wichtigsten Ressourcen überhaupt, daher ist sie heiß begehrt und bares Geld wert. Sie verschafft zeitgleich politischen Einfluss und Reichtum. Wer die Aufmerksamkeit kontrolliert, lenkt den Gang der Geschichte. Aufmerksamkeitskontrolle ist missbrauchbar und führt unweigerlich zur Herrschaft 2.0. Es wird höchste Zeit, dass die Presse endlich damit beginnt, Geschlossenheit zu demonstrieren und sich dieser Entwicklung entgegenzustemmen.



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