Verzweifelt links

 

oder Hier können Familien Kaffee kochen.
Oh Du lieber Augstein, weit hast Du es mittlerweile gebracht! Las ich doch letztens einen Deiner Texte, die Du bei Spiegel Online in den Server pflanzen läßt und den Du aus Gründen, die nur Du zu kennen vermagst, mit Im Zweifel links überschreibst. Mensch, war das mal wieder unausgegorener Quatsch! Ich habe mich über Dich sehr geärgert, wie ich das generell dieses Jahr oft tat. So verteiltest Du dereinst Lob für die Kanzlerin, dann neulich erst dieser Käse, man könne als Linker quasi nur Sozialdemokratie oder nichts wählen und noch was ist mir in Erinnerung. Letzteres habe ich jedoch vergessen, man kann sich den Mist, den Du zuweilen fabrizierst, nicht immer merken.
Warum ich mich daran machte, einen etwas zurückliegenden Eintrag von Dir zu lesen, weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr. Eventuell Hoffnung, dass Du doch noch was von Dir wirfst, was so halbwegs versöhnlich wäre. Was ich dann las, stülpte mir nahezu die Schlappen über die Knöchel.

Über deutsche Waffenlieferungen hast Du Dich ausgelassen. Sind die wirklich so verwerflich? Waffen sind böse, war Dein Einleitungssatz. Und dann folgte: Panzer sind ganz böse. Was für ein infantiler Bullshit! Quintessenz dieses in Sätze gefassten Unsinns: Waffenlieferungen sind nicht nur im globalen Wettbewerb unerlässlich, sondern auch ein Beitrag zur Befriedung der Welt. Als ich dann von Dir las, dass du den Pazifismus, der solche Lieferungen verurteilt, als Käsmann-Doktrin bezeichnest, die nichts anderes sei als eine zu höherer Gesinnung verkehrte Feigheit, da sagte ich bei mir, jetzt hat er die Latte mal wieder noch ein Stückchen tiefer gelegt. Ein neuer Tiefpunkt, aber gut, dachte ich weiter, so ist er halt, der Augstein. Aber recht durchdacht schon grob, was sich dieser linke Herr da leistet. Doch bei allem Ärger, gewundert hat es mich nicht.
Ich klickte weiter und bekam bald darauf eine e-Mail, jemand empfahl mir Deinen Artikel zur Waffenpolitik der Regierung. Ich bekomme oft so sonderbare Hinweise wie Dich. Das ist nicht außergewöhnlich. Dein Artikel hatte nun auch einen anderen Namen und Du warst plötzlich nicht mehr so nihilistisch und von Käßmann keine Rede mehr. Da erst fiel mir auf, dass ich vorher einen Text Deines stockkonservativen und linkenhassenden Kollegen Fleischhauer für den Deinen angesehen habe.
Was soll uns diese Geschichte lehren? Sie mag eine der entbehrlichen Erzählungen in den Weiten des Internets sein, die vor der Entdeckung des Netzes nicht öffentlich gemacht, sondern höchstens vielleicht seinem Nachbarn erzählt wurde, sofern der politisch interessiert war. Gleichwohl die Geschichte hat schon Gehalt. Du, mein lieber Augstein, hast es nämlich so weit gebracht, dass man den inhaltlichen Quark etwaiger Konservativer durchaus auch als aus Deiner Feder erachten könnte, ohne sich dabei überhaupt zu wundern. Dass Du den Wahnwitz der Konservativen mit Deinen Worten repetierst, ist mittlerweile so verfestigt im Denken von Menschen, die sich als links definieren, dass man so hirnrissige Argumentationen wie die Deines Kollegen, auch partout als Dein Elaborat durchgehen lassen würde.
Ich meine, das will schon was heißen. Fleischhauer ist ja nicht irgendein unideologischer Typ, der mal nach Rechts, mal nach Links tendiert, wie es ihm gerade gefällt. Der Mann schwadronierte ja eine Weile über die rote Übernahme der Republik durch Lafontaine. Er schiss sich geradezu in die Hose aufgrund der anstehenden Sowjetisierung. Dass Spiegel Online den weiterhin erträgt, ist ein Kennzeichen des Niedergangs des Magazins. Und mit so einem bist Du verwechselbar! Ist das ein Zeichen für meine Unfähigkeit? Oder eher eines dafür, dass Du als Linker beliebig geworden bist? Wohl beides, nehme ich an.
Im Zweifel bedeutet nicht zweifelhaft. Das hätte man schon mal überdenken müssen, als man sich einen Titel für seine Kolumne ausdachte. Im Zweifel links ist nicht Zweifelhaft links. Es gibt ja auch Leute, die dasselbe und das Gleiche als dasselbe erachten. So ist im Zweifel und zweifelhaft auch nicht dasselbe. Deine Kolumne ist ein Abbild dessen, wie man sich heute einen Linken unter Konservativen vorstellt. Er darf ein wenig andere Ansichten vertreten, aber nicht zu sehr. Und er tut so, als sei alles irgendwie verhandelbar, damit man auch für alle Optionen offen bleibt. Es ist kurz gesagt das grüne Befindlichkeitslinke, das Du publizistisch aufbereitest. Agendalinks wie die Sozialdemokratie oder links nach Art von New Labour. Links als Label ohne Inhalt, als Kennzeichnung für eine Kundschaft, die ein Bedürfnis danach hat, sich mit linken Lametta zu schmücken.
Verzweifelt links sind die, die auch erkennen, dass Du das Linke nur als Gag gebrauchst, um Deinem Schaffen eine exquisite Note, einen chicen Anstrich zu verpassen. So macht das die Sozialdemokratie seit Schröder, so gestaltet sich New Labour seit langen Jahren schon. Was da vertreten wird ist politischer Konservatismus mit linkem Kolorit. Das erinnert an manchen Spinner, der sich einen Buddha ins Wohnzimmer stellt und dann meint, er habe die buddhistische Weisheit nun für sich gepachtet. Andere dekorieren ihre Wohnung mit Lichtern, Tannenzweigen und Kerzen und haben keinen Schimmer davon, was Weihnachten eigentlich mal war. Du bist so ein buddhistisch-weihnachtlicher Linker, Augstein. Das meine ich gar nicht vorwurfsvoll. Es ist halt so. Gib Deiner Kolumne doch nur einen anderen Namen.

"Es ist ein Unglück, daß die SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands heißt. Hieße sie seit dem August 1914 Reformistische Partei oder Partei des kleineren Übels oder „Hier können Familien Kaffee kochen“ oder so etwas, vielen Arbeitern hätte der neue Name die Augen geöffnet, und sie wären dahin gegangen, wohin sie gehören: zu einer Arbeiterpartei. So aber macht der Laden seine schlechten Geschäfte unter einem ehemals guten Namen." Das hat Tucholsky mal geschrieben. Hier können Familien Kaffee kochen - Mensch, das wäre doch ein schöner Name und er wäre viel passender als Im Zweifel links.
Was soll das jetzt, würdest Du fragen, wenn Du das lesen würdest. Liest beim Fleischhauer und pisst mir ans Bein, würdest Du den Kopf schütteln. Eigentlich ein berechtigter Einwand. Manchmal braucht man aber Missgeschicke, um einen Stein des Anstoßes zu erhalten. Mein Maleur war so ein Augenblick, in dem ich dachte, jetzt hat er es zu weit getrieben, auch wenn es eigentlich der Fleischhauer war. Ihr beiden seid gewissermaßen dasselbe - oder heißt es das Gleiche?

 


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