Verwirklichte Trennung von Staat und Kirche in der DDR

WEIMAR. (fgw) “Die Trennung von Kirche und Staat ist keine Erfindung der DDR-Politik. In der DDR wurde diese Trennung [jedoch weit­ge­hend; SRK] ver­wirk­licht. Es wäre z.B. anläß­lich eines staat­li­chen oder Gedenktages unmög­lich gewe­sen, die­sen mit einem ökume­ni­schen Gottesdienst (im Parlament) zu eröff­nen, wie es zur übli­chen Gepflogenheit in der ‘religions-neutralen’ BRD gehört”, heißt es auf Seite 79 einer aktu­el­len Schrift von Klaus Emmerich. Dr. Emmerich wirkte im Jahre 1990 an einer Arbeitsgruppe des soge­nann­ten Runden Tisches mit, die mit der Ausarbeitung einer neuen gesamt­deut­schen Verfassung beauf­tragt wor­den war.

Verwirklichte Trennung von Staat und Kirche in der DDREmmerich betont, daß es ihm in die­ser Arbeit nicht mög­lich war und daß es auch nicht sein Ziel war, alle Aspekte der Kirchenpolitik in ihrer Vielfalt zu behan­deln. Er betrach­tet das Thema jedoch nicht iso­liert, son­dern in Verbindung mit der Kirchenpolitik in der alten Bundesrepublik und dem Hier und Heute.

Seine Betrachtungen wer­den bestimmt vom Aspekt der Realisierung der Trennung von Staat und Kirche auf allen Gebieten des Lebens. Emmerich schreibt dazu: “Ich gehöre nicht zu jenen, die sich pau­schal ‘zur Mitschuld an der bis­he­ri­gen Politik’ [der SED 1945-1989; SRK] beken­nen und undif­fe­ren­ziert bei ‘Gläubigen, Kirchen und Religionsgemeinschaften und Versöhnung’ bit­ten”, wie das die PDS im März 1990 tat. (S. 6) Er betont in die­sem Zusammenhang, daß er kon­se­quent zwi­schen Gläubigen und Klerus unter­schei­det. Letztere wer­den von ihm “nicht nach from­men Sprüchen, son­dern nach ihren Taten und ihrer Verantwortung betrach­tet.” (S. 6). In sei­nen Betrachtungen beschränkt Emmerich sich auf die evan­ge­li­sche Kirche und weit­ge­hend auch auf das Land Mecklenburg-Vorpommern.

Der Autor räumt mit vie­len Legenden, die Bestandteil der Anti-DDR-Propaganda sind, auf und zeigt auf der ande­ren Seite die Einheit von staat­li­chem und kirch­li­chen Machtapparat in der Bundesrepublik.

Gleich zu Beginn geht der Autor auf Eigentumsfragen ein und zitiert aus den Ergebnissen einer Enquete-Kommission des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern aus dem Jahre 1997:

“Der kirch­li­che Landbesitz (stellte) ein beacht­li­ches Vermögen dar. (…) Die Auseinandersetzung um die land­wirt­schaft­li­chen Betriebe der bei­den Landeskirchen beschäf­tig­ten die staat­li­che und die kirch­li­che Verwaltung regel­mä­ßig, wenn auch die bei der SED und der Regierung zeit­weise erwo­gene Enteignung nie zustande kam.” Keineswegs unbe­ach­tet darf blei­ben, daß es in der Verordnung über die Bodenreform im Lande Mecklenburg-Vorpommern vom 05. September 1945 im Artikel II 5d heißt, daß von der Reform aus­ge­nom­men war, der ‘Grundbesitz der Klöster, kirch­li­chen Institutionen, Kirchen und Pfarrgemeinden.’” (S. 11)

Was Emmerich nicht erwähnt: Der Grundbesitz der evan­ge­li­schen Landeskirchen die­ses Bundeslandes beläuft sich auf ca. 20.800 Hektar, der aller evan­ge­li­schen Kirchen auf DDR-Territorium auf rund 193.000 Hektar. Und die­ser wurde bis zum Ende der DDR vom Staat nicht ange­tas­tet…

Auf die­ses Thema kommt er spä­ter noch­mals zurück, Christoph Kleßmann zitie­rend: “Bestimmte Privilegien, die den Kirchen in der antifaschistisch-demokratischen Phase erhal­ten geblie­ben waren, gal­ten auch spä­ter fort. Daß es sie [diese Privilegien; SRK] gab, ist ange­sichts der har­ten Konflikte mit der Partei vor allem im Westen oft gar nicht mehr wahr­ge­nom­men wor­den. Dazu gehörte, daß der kirch­li­che Grundbesitz von der Bodenreform 1945 wie von der ‘Kollektivierung’ 1959/60 aus­ge­nom­men wurde, daß es trotz der Abschaffung der quasi-staatlichen Kirchensteuer Zuschüsse des Staates für Ausbildung und Versorgung des kirch­li­chen Personals, für die Instandhaltung kirch­li­cher Gebäude und eine Befreiung von der Körperschafts-, Vermögens und Grundsteuer gab. Personalpolitische Entscheidungen konn­ten auto­nom von den kirch­li­chen Gremien getrof­fen wer­den.” (S. 43)

Also, die Trennung von Staat und Kirche war in der DDR zwar weit­ge­hend rea­li­siert, aber doch bis zu ihrem Ende nicht voll­stän­dig; siehe “Staatsleistungen” und “Theologische Fakultäten”…

Wie dif­fe­ren­ziert sich das Verhältnis von Staat und Kirchen, unter Einbezug auch der west­deut­schen Kirchenleitungen, gestal­tet hat, das belegt Emmerich an Themen wie dem soge­nann­ten Häftlingsfreikauf. Darauf geht er aus­führ­lich ein, mit allem Für und Wider, mit dem Nutzen für alle betei­lig­ten Seiten. Zum “prak­ti­schen Nutzen” die­ses Kirchengeschäfts für die DDR schreibt er: “Daß sie sich einen Teil des volks­wirschaft­li­chen Schadens [Kosten für Facharbeiterausbildung und Studium; SRK] erset­zen ließ. Die Höhe der Pauschale [40.000 DM pro Person; SRK] klingt unter den heu­ti­gen Erkenntnissen für einen ‘ange­schlos­se­nen’ DDR-Bürger wie ein Witz.” (S. 19)

Ausführlich skiz­ziert Emmerich die Kirchenpolitik der SED, aus­ge­hend von einer Erklärung ihres Zentralsekretariates vom 27. August 1946. Darin heißt es: “Die frü­here all­ge­meine Ablehnung der Kirche durch die sozia­lis­ti­sche Arbeiterbewegung galt nicht dem christ­li­chen Glauben. Sie galt der Kirche als Machtinstrument der herr­schen­den Klassen. (…) Der Glaube ist eine per­sön­li­che Angelegenheit des ein­zel­nen Menschen. (…) Die Sozialistische Einheitspartei lehnt es mit aller Entschiedenheit ab, sich etwa der Kirche unter­ord­nen zu wol­len, wie es die Kirche mit Recht ablehnt, sich par­tei­po­lisch zu bin­den. (…) Es geht also nicht um die Kampffrage: Christentum oder Marxismus, son­dern um die gemein­same Verantwortung gegen­über der Zukunft Deutschlands.” (S. 33)

Emmerich geht auch auf die Stellung von Kirchen und Religion in der DDR ein. So schreibt er auf S. 45: “Die Verfassung der DDR vom 07. Oktober 1949 regelte in den Artikeln 40 (Religionsunterricht), 41 bis 48 das Recht der Glaubens- und Gewissensfreiheit, von Religion und Religionsgemeinschaften.” Diese Bestimmungen ent­spra­chen weit­ge­hend den Kirchenartikeln der Weimarer Reichsverfassung, die auch das Grundgesetz der Bundesrepublik inkor­po­riert wur­den.

In einer Fußnote ver­weist Emmerich auf den Paragraphen 133 des DDR-Strafgesetzbuches “Straftaten gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Freiheit der Religionsausübung.” (S. 46)

Exkurs:
Der Artikel 40 der DDR-Verfassung unter­schei­det sich aber gra­vie­rend vom Artikel 7 des Grundgesetzes, der den Religionsunterricht an öffent­li­chen Schulen zum “ordent­li­chen Lehrfach” erklärt. Die DDR-Verfassung pos­tu­lierte getreu dem Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche und der Trennung von Schule und Kirche: “Der Religionsunterricht ist Angelegenheit der Religionsgemeinschaften. Die Ausübung des Rechtes wird gewähr­leis­tet.” (Art. 40) Und in Artikel 44 heißt des dazu wei­ter: “Das Recht der Kirche auf Erteilung von Religionsunterricht in den Räumen der Schule ist gewähr­leis­tet. Der Religionsunterricht wird von den durch die Kirche aus­ge­wähl­ten Kräften ert­teilt. Niemand darf gezwun­gen oder gehin­dert wer­den, Religionsunterricht zu ertei­len. Über die Teilnahme am Religionsunterricht bestim­men die Erziehungsberechtigten.”

Als der Rezensent 1959 in die Grundschule ein­ge­schult wurde, gab es nach wie vor frei­wil­li­gen Religionsunterricht, der damals aber bereits außer­halb der Schule statt­fand, also in den Räumen der Kirche selbst. Hieran nah­men in sei­ner meck­len­bur­gi­schen Kleinstadt weni­ger als 20 Prozent der Mitschüler teil.

In der DDR-Verfassung vom 06. April 1968 gibt es zum Komplex Religion und Kirchen nur noch einen ein­zi­gen Artikel, der Religionsunterricht kommt als inner­kirch­li­che Angelegenheit nicht mehr geson­der vor:

“Artikel 39 (1) Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht, sich zu einem reli­giö­sen Glauben zu beken­nen und reli­giöse Handlungen aus­zu­üben.
(2) Kirchen und andere Religionsgemeinschaften ord­nen ihre Angelegenheiten und üben ihre Tätigkeit aus in Überein­stim­mung mit der ver­fas­sung und den gesetz­li­chen Bestimmungen der Deutschen Demokratischen Republik. Näheres kann durch Vereinbarungen gere­gelt wer­den.”

Zurück zu Emmerich:
Auf das unrühm­li­che Bündnis von Thron und Altar, von Kapital und Altar, geht Emmerich detail­liert und anhand vie­ler Beispiele im Kapitel “Gott mit uns – Leitmotiv der faschis­ti­schen Soldaten im Zweiten Weltkrieg” ein. Ein Zitat mag genü­gen: “Zur his­to­ri­schen Erinnerung: Der Soldat der faschis­ti­schen deut­schen Wehrmacht trug auf sei­nem Koppelschloß wäh­rend des Zweiten Weltkrieges die Parole ‘Gott mit uns’.” (S. 60) Ja, daran muß erin­nert wer­den, wenn sich seit 1945 evan­ge­li­schert und katho­li­scher Klerus als Opfer des NS-Regimes und ihre Institutionen als größte Widerstandsorganisationen hin­stel­len!

Auch das Thema “Christliche Werte und die Gesellschaft der DDR” wird von Emmerich behan­delt, aus­ge­hend von der hypo­the­ti­schen Frage: “Was wäre gewe­sen, wenn es in der DDR zwei Stunden Religionsunterricht pro Woche an den Schulen gege­ben hätte?” (S. 61)

Hier wen­det der Autor sich vor allem Begriffsbestimmungen (christ­li­che Werte…) zu und stellt u.a. auf S. 63 fest: “Im Kleinen Bibellexikon gibt es den Begriff Wert nicht.”

“Die Politik und Praxis des jun­gen Sowjetstaates gegen­über der Kirche und ihre ver­mut­li­che Umsetzung in der SBZ/DDR” bleibt nicht uner­wähnt. Hier ver­weist er auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten in bei­den Staaten, sowie auf die Schwierigkeiten, Programmatik in prak­ti­sche Politik umzu­set­zen. Denn Theorie ist das eine, der Kampf der gestürz­ten Ausbeuterklassen und des ihnen ver­bun­de­nen Klerus gegen die neue Macht das andere. So wie man es auch im Gefolge der fran­zö­si­schen Revolution von 1789 beob­ach­ten konnte.

Der Atheismus, die dif­fu­sen Vorstellungen der PDS bzw. der Partei DIE LINKE sind Thema eines wei­te­ren Kapitels. Dabei kann der Autor sich einen iro­ni­schen Seitenhieb nicht ver­knei­fen, wenn er zu einer aktu­el­len Aussage der bun­des­deut­schen Quasi-Staatskirchen, daß sich vier Fünftel der Bevölkerung zu einer der bei­den Großkirchen beken­nen wür­den, in einer Fußnote schreibt: “Die hier gemachte Zahlenangabe beruht wohl auf alten Idealvorstellungen.” (S. 85)

Was brachte nun der “Beitritt” der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes? Hierzu ist bei Emmerich u.a. dies zu lesen: “Nicht uner­wähnt soll blei­ben, daß mit dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages auch das ‘Gesetz zur Regelung des Kirchensteuerwesens’ in der DDR in Kraft trat. Als eine Ungeheuerlichkeit des viel­ge­prie­se­nen Rechtsstaates BRD sehe ich an, daß die­ses Gesetz erst mit dem Einigungsvertrag über­haupt bekannt gemacht wurde, obwohl es alle Angehörigen der evan­ge­li­schen und katho­li­schen Kirchen, sowie der jüdi­schen Kultusgemeinden und ande­ren Religionsgemeinschaften betraf, die die glei­chen Rechte wie die Kirchen hat­ten.” (S. 88)

Desweiteren geht der Autor auf die Militärseelsorge in der alten Bundesrepublik ein und auf die Art und Weise, wie die­ses Systems auch dem Beitrittsgebiet – gegen anfäng­li­che Bedenken ost­deut­scher Kleriker – über­ge­stülpt wor­den ist. Vor allem kri­ti­siert er, daß der bun­des­deut­sche Staat den für alle Bundeswehrangehörigen pflich­tige lebens­kund­li­che Unterricht (“der sich mit berufs­ethi­schen und sitt­li­chen Grundlagen des Soldatenberufs aus­ein­an­der­setzt”; S. 93) in die Hände der Militärgeistlichen gelegt wurde. Und er stellt die berech­tigte Frage, inwie­weit hier­mit die ver­fas­sungs­mä­ßige indi­ci­du­elle Glaubens- und Gewissensfreiheit aus­ge­he­belt wird.

Eine wei­tere nach wie vor vor­han­dene insti­tu­tio­nelle Verflechtung von Staat und Kirche kon­sta­tiert Emmerich, wenn er auf S. 93 fest­stellt: “Deshalb fin­det ein militärisch-kirchliches Zeremoniell statt, wenn die Särge mit toten Soldatinnen oder Soldaten in Deutschland ankom­men.” Hinzufügen wäre dies: selbst wenn die Toten aus Auslandseinsätzen sämt­lich reli­gi­ons­frei sind…

Die Kapitel “Kirchen und Bildung” sowie “Staatsleistungen” sol­len hier nicht refe­riert wer­den, da die von Emmerich ange­führ­ten Fakten und Probleme schon ander­wei­tig aus­führ­lich behan­delt wor­den sind (FRERK u.a.)

Lesenswert ist das abschlie­ßende Kapitel, daß sich mit der finan­zi­el­len Privilegierung der evan­ge­li­schen Landeskirchen Mecklenburg-Vorpommerns ab 1990 befaßt. Vertragstexte und Reden von Landespolitikern sowie den Bischöfen muß man sich mal auf der Zunge zer­ge­hen las­sen. Was hier den Kirchen an fes­ten ewi­gen Geldzuweisungen, Steuer- und Gebührenbefreiungen zuge­stan­den wird, stellt für die Bischöfe kei­nes­falls das dar, was es ist: Daß sich die Kirche mit Hilfe des Staates Vorteile und Privilegien ver­schafft, zumal der christ­li­che Glaube kei­nes­falls Privatsache sei. Der Wortlaut die­ser sal­bungs­vol­len Reden ist nach­zu­le­sen auf den Seiten 108 ff.

Klaus Emmerich schließt seine Arbeit mit Karl Marx (MEW Bd 4, S.200), der zu den sozia­len Prinzipien des Christentums aus­ge­führt hat:

“Diese Prinzipien ‘haben die antike Sklaverei gerecht­fer­tigt, die mit­tel­al­ter­li­che Leibeigenschaft ver­herr­licht und ver­ste­hen sich im Notfall dazu, die Unterdrückung des Proletariats, wenn auch mit etwas jäm­mer­li­cher Miene, zu ver­tei­di­gen.’ (…)
Sie ‘pre­di­gen die Notwendigkeit einer herr­schen­den und einer unter­drück­ten Klasse und haben für die letz­tere nur den from­men Wunsch, die ers­tere möge wohl­tä­tig sein’ (…)”

Emmerich faßt unter Bezug auf Marx und Thesen der Humanistischen Union zusam­men:

“Ich behaupte, das gel­tende Kirchenrecht, das die Kirche beson­ders pri­vi­le­giert, obwohl sie es leug­net, wäre in einem tat­säch­lich welt­an­schau­li­chen Staat nicht durch­zu­set­zen. Diese Behauptung möchte ich mit dem Fragenkomplex ver­bin­den: Was hat die Kirche in Schulen, Universitäten und Hochschulen, in Funk und Fernsehen oder beim Militär zu suchen? Alle Staatsleistungen gehör­ten dann abge­löst. Offensichtlich sind ‘Kirche’ und ‘Geld der Kirche’ wirk­li­che Tabuthemen der BRD. Das Gerede von der Partnerschaft zwi­schen bei­den hilft auch nicht wei­ter, son­dern ver­ne­belt den tat­säch­li­chen Tatbestand.” (S. 116)

Dem ist nichts hin­zu­zu­fü­gen. Bedauerlicherweise ist diese Schrift nur als Book-on-demand erschie­nen. Sie ver­dient grö­ßere Aufmerksamkeit und sollte einen guten Verlag fin­den.

Klaus Emmerich: Glaube und Kirche im Sozialismus. Die Trennung von Kirche und Staat. Ein Abriss. 128 S. kart. Books on Demand. Norderstedt 2012. 9,90 Euro. ISBN 978-3-8448-9578-0

[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]


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