© Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de
Heute habe ich ja schon über die neueste Entscheidung des Sozialgerichts Hamburg berichtet, aus der mehr als deutlich wird, welchen Weg die Betriebe und ihre Interessenverbände gehen müssen, um wieder auf der Grundlage von fair ausgehandelten Vertragsbedingungen Ihre Leistungen für Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen erbringen zu können (Klick).
Und in diesem Zusammenhang erinnere ich mich an meinen Besuch am Samstag, den 04.12.2010, in Bad Bramstedt bei der Mitgliederversammlung der Landesinnung für Orthopädieschuhtechnik Nord; auch dort waren die bestehenden Verträge mit den Krankenkassen zur Versorgung von Versicherten mit Hilfsmitteln für die dortigen Leistungserbringer wieder das beherrschende Thema.
Es herrschte grosse Unzufriedenheit mit dem – auch durch den Zentralverband für Orthopädieschuhtechnik (ZVOS) abgeschlossenen – OT1 Vertrag mit der Barmer GEK/TK. Und es waren in diesem Zusammenhang nicht nur die als starke Benachteiligung empfundenen Vertragsklauseln, die den Unmut der anwesenden Betriebsinhaber auslösten, sondern auch die dort ausgewiesenen Vertragspreise, die jedenfalls in einem Gebiet mit hohen Produktionskosten wie Hamburg als nicht mehr kostendeckend empfunden wurden.
Neben dieser Unzufriedenheit über den Vertrag merkte man, dass eine allgemeine Missstimmung mit der politischen Vertretung der Orthopädieschuhtechnik bestand, die schon in der konkreten Aufforderung zum Austritt aus dem ZVOS als Bundesvertretung gipfelte. Diese Stimmung sollte von den gewählten Vertretern sehr ernst genommen werden, und dies muss nach meiner Einschätzung zu einem grundlegenden Wandel in der Verhandlungstaktik gegenüber den Krankenkassen führen.
Analysieren wir zunächst die derzeitige Situation:
Aufgrund der zwar nicht mehr ganz so neuen, aber doch ungewohnten rechtlichen Situation ist inzwischen jeder Leistungserbringer darauf angewiesen, mit einer Krankenkasse einen Vertrag abzuschliessen – oder einem bestehenden Vertrag als Vertragspartner beizutreten -, wenn er eine Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen durchführen will. Hat er keinen Vertrag, kann er der Kasse lediglich ein Angebot zum Abschluss eines Einzelvertrages für die einzelne Versorgung in Form eines Kostenvoranschlags unterbreiten, die Kasse kann diese Angebot ablehnen, es annehmen oder ein Gegenangebot mit geänderten Konditionen unterbreiten.
Diese Rechtslage, die sich von der früheren Rechtslage der „alten“ Rahmenverträge massiv unterscheidet, führt nun zu tiefen Verunsicherungen insbesondere auf der Leistungserbringerseite und – jedenfalls derzeit – zu einem Diktat der Krankenkassen, weil diese einseitig die Vertragskonditionen vorgeben und echte, partnerschaftliche Verhandlungen ablehnen – jedenfalls, was den Bereich der Orthopädieschuhtechnik betrifft.
Erschwerend kommt in diesem Bereich dazu, dass die Orthopädietechnik durch ihren Bundsinnungsverband derzeit den Eindruck vermittelt, die für sie wirtschaftlich uninteressanten Produktgruppen der Orthopädieschuhtechnik sozusagen als „Verhandlungsmasse“ mit einzubeziehen und dadurch zwar Vorteile für ihre Betriebe erlangen, allerdings den Betrieben der OST aber keine auskömmlichen Vertragsbedingungen mehr ermöglichen. Wenn dieses dann noch ergänzend dadurch verschärft wird, dass sich eine Splittergruppe wie die AGOS, die selbst in den wenigen Bundesländern, in denen sie aktiv Betriebe vertritt, nicht unumstritten ist, ebenfalls bemüssigt fühlt, einen solchen Vertrag zu unterzeichnen, dann werden die Spielräume für die Ortopädieschuhtechnikbetriebe natürlich ausgesprochen eng.
Insgesamt stellt man also eine deutliche Unausgewogenheit fest, die sicherlich zu einem Teil durch die Leistungserbringer selbst verschuldet ist, die aber auch auf der Marktmacht der Krankenkassen beruht.
Durch diese Unausgewogenheit in der Festlegung der Vertragsinhalte gibt es nun eine Reihe von Verträgen, die von den Leistungserbringern als „Knebelverträge“ empfunden werden, und die auch tatsächlich einseitig nur die Interessen der Kassen erfassen.
Die Situation ist für alle, die auf der Seite der Betriebe an den Vertrags“verhandlungen“ teilnehmen, äusserst frustrierend, denn auf der einen geben die Krankenkassen keinen Raum für substantielle Verbesserungen der Bedingungen, auf der anderen Seite beschweren sich die Leistungserbringer über den Abschluss von Verträgen, die ihnen keine angemessenen Rahmenbedingungen für ihre Betriebe liefern.
Doch was ist die Schlussfolgerung daraus (und dies unter ausdrücklicher Berücksichtigung der Auffassungen des Sozialgerichts Hamburg)?
Betrachten wir zunächst einmal die Rahmenbedingungen und die Chancen, die für einen Veränderung besten:
- Zunächst einmal ist völlig aus dem Blickfeld geraten, dass nicht nur die Leistungserbringer Verträge benötigen, um Versicherte versorgen zu können, sondern auch die Krankenkassen Leistungserbinger benötigen, um ihrer Versorgungspflicht im Rahmen des Sachleistungsprinzips gegenüber ihren Versicherten nachkommen zu können.
- Auch übersehen die meisten Leistungserbringer und deren Verbände, dass es nicht nur auf ihrer Seite Wettbewerb gibt, sondern auch auf Kassenseite, und dass es nicht nur diejenigen Kassen gibt, die Verträge mit unangemessenen Vertragsbedingungen einseitig in den Markt drücken, sondern auch die grosse Mehrheit der Kassen, die auf eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Leistungserbringern im Interesse der Versicherten Wert legt.
- Auch werden gesetzliche Rahmenbedingungen sozusagen im „vorauseilenden Gehorsam“ kassenfreundlich interpretiert: es wird nicht gesehen, dass es ein notfalls gerichtlich einzuforderndes Recht auf Verhandlungen (und zwar solchen, die den Namen verdienen) mit den Krankenkassen für jeden einzelnen Leistungserbringer und jeden Interessenverband gibt. Und es wird vernachlässigt, dass es natürlich auch ein Recht gibt, Verträge abzulehnen und eigene Vertragsvorschläge zu unterbreiten – die dann zB. Schutzklauseln enthalten wie die Schlichtungsvereinbarung im Vertrag zwischen der Landesinnung Orthopädieschuhtechnik Nord und dem BKK-Landesverbandes Nord – eine Klausel übrigens, der vom Sozialgricht Hamburg völlig zu Recht gerade eine Schutzfunktion vor der Markmacht der Krankenkassen zuerkannt wurde.
- Auch wird übersehen, dass es ein Sachleistungsprinzip gibt, dass das BSozG vor kurzem sogar noch einmal massiv gestärkt hat (Urteil vom 17.12.2009 Az. B 3 KR 20/08R): Versicherte der Krankenkassen haben einen Anspruch auf die Versorgung, welche die nach dem Stand der Medizintechnik bestmögliche Angleichung an die Möglichkeiten Gesunder erlaubt, soweit dies im Alltagsleben einen erheblichen Gebrauchsvorteil bietet; kann also mit einem Preis aus einem Vertrag die nach dem GKV-Leistungsstandard gebotene Versorgung nicht für grundsätzlich jeden Versicherten zumutbar gewährleistet werden, bleibt die Krankenkasse weiterhin zur Sachleistung verpflichtet. Und im Rahmen der Vertragsverhandlungen hat dies natürlich zur Folge, dass Preise zu vereinbaren sind, die nicht nur aus der Sicht der Kasse möglichst günstig sind, sondern eine wirtschaftlich tragfähige Versorgung der Versicherten durch die Betriebe ermöglicht. Preisvereinbarungen haben für die GKV eben nicht die Konsequenz, dann nur noch den vereinbarten Betrag leisten zu müssen, denn im Rahmen ihrer Sachleistungsverantwortung (§ 2 Abs 1 Satz 1 SGB V) haben sie für die ausreichende Versorgung der Versicherten Sorge zu tragen.
- Soweit die Versicherten sich an notwendigen Leistungen mit Eigenanteilen zu beteiligen haben, muss der Gesetzgeber dies selbst regeln, ein Hilfsmittelfestbetrag bewirkt keine Leistungsbegrenzung, soweit er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreicht.
- Letzendlich: Es gibt viele Gebiete, in denen Krankenkassen bei der Weigerung von genügend Leistungserbringern, zu bestimmten vertraglichen Konditionen Leistungen zu erbringen, massive logistische Schwierigkeiten bekommen, ihren Versorgungsauftrag sicherzustellen – und es gibt Gegenden, in denen der Ausfall selbst einer Reihe von Betrieben als Versorgern die Kassen vor keine grossen Probleme stellt.
Was hat das alles zur Folge?
- Die Verbände auf Leistungserbringerseite müssen in der Orthopädieschuhtechnik endlich ihren lächerlichen Kleinkrieg um die politische Führungsrolle beenden. Damit meine ich nicht, dass sie morgen wieder einen Verband bilden sollen – dazu sind offensichtlich die persönlichen Animositäten viel zu gross – sie müssen jedoch aufhören, sich gegenseitig im Wettbewerb um die grösstmögliche Kassenfreundlchkeit zu überbieten. In Vertragsverhandlungen stehen sie alle auf einer Seite, und dies ist definitiv nicht diejenige der Kassen.
- Die Verbände müssen gemeinsam einen Vertragsentwurf vorlegen, der einen ausgewogenen Interessenausgleich zwischen den Krankenkassen und Leistungserbingern herbeiführt und der eine Preisstruktur enthält, die wissenschaftlich nachprüfbar ist und geographische Besonderheiten widerspiegelt. Dies ist die eigentliche Kernaufgabe der Verbände: die Rahmenbedingungen zu schaffen, die dann nötigenfalls mit Lobbyarbeit umgesetzt werden können. Diese Rahmenbedingungen müssen transparent sein und einer gerichtlichen Prüfung standhalten, und die Preiskonditionen müssen es allen Betrieben an allen Orten ermöglichen, gleichermassen wirtschaftlich arbeiten zu können.
- Mit einem solchen ausgewogenen, rechtlich einwandfreien, wissenschaftlich abgesicherten und transparenten Vertragsentwurf müssen die Verbände auf die Krankenkassen zugehen, und zwar nicht (!) zunächst auf diejenigen Krankenkasse, die sich durch besondere Agressivität hervorgetan haben, sondern auf diejenigen, die bis zum heutigen Tage Wert auf eine ausgewogene Zusammenarbeit mit den Leistungserbringern Wert gelegt haben.
Die Gerichte bemühen sich nach Kräften, die Position der Leistungserbringer zu unterstützen – soweit ihnen dies möglich ist -, denn auch ihnen ist zur Sicherung der Versorgung der Patienten natürlich daran gelegen, eine möglichst grosse Bandbreite an Leistungserbingern zu erhalten; dies ist natürlich nur dann möglich, wenn die Betriebe weiterhin „wirtschaftlich“ im Sinne des Sozialgesetzbuches für ihre Arbeit entlohnt werden. Nur müssen die Leistungserbringer und ihre Verbände natürlich auch etwas dazu tun, um die gut organsierte Marktmacht der Krankenkassen zu brechen.
Die Zeiten, in denen einem Betrieb auskömmliche Vertragsbedingungen sozusagen „in den Schoss“ gefallen sind, sind vorbei. Und den neuen Gegebenheiten müssen sich auch sie – insbesondere aber ihre Interessenverbände – schnell und dringend anpassen.