»Verstörender Präzedenzfall«

Junge Welt, 30.03.2013
Analytiker und Thinktanks zu Ursachen und Folgen des deutschen Diktats in der Zypern-Krise

Der Gründer des privaten US-Nachrichtendienstes Stratfor, George Friedman, ging in einer am 26. März publizierten Hintergrundanalyse der Zypern-Krise einer zentralen Frage nach: Wie konnte es zu dem »verstörenden Präzedenzfall« kommen, den die Teilenteignung zypriotischer Bankeinlagen darstellt? Unter deutscher Führung habe die EU gegenüber Zypern eine »härtere Linie« eingeschlagen als etwa gegenüber Griechenland oder Irland. Die Teilenteignung werde laut Friedman bei ihrer Durchsetzung das »zentrale Prinzip« der Bankenbranche in den meisten Industrienationen, die Sicherheit der Bankeinlagen, unterhöhlen.
Um den fundamentalen Tabubruch zu illustrieren, erinnerte der Stratfor-Chef daran, daß die Garantierung der »totalen Sicherheit« von Geldern auf Bankkonten eine Lehre aus der Zeit der großen Weltwirtschaftskrise gewesen sei, als in den 1920er und 1930er Jahren Bankenstürme die Finanzsysteme erschütterten. Nun sei es in Europa ebenfalls nicht mehr »selbstverständlich« für Konzerne oder Anleger, ihre Gelder auf Konten zu belassen, was zu Kapitalabflüssen aus der EU führen könne, erklärte Friedman: »Wenn russische Einlagen in Nikosia beschlagnahmt werden können, wieso nicht auch amerikanische in Luxemburg?« Berlin habe das zusätzliche Risiko in Kauf genommen, weil man der Ansicht war, dies eindämmen zu können, indem Zypern als ein »Ausnahmefall« dargestellt würde.

Zum einen diente das kleine Zypern als Exempel, an dem Berlin europaweit seine Bereitschaft demonstrieren konnte, »hart vorzugehen, ohne dieselben Risiken einzugehen, wenn ein Land wie etwa Spanien zu stark bedrängt« würde. Deutschlands Stellung – die eigentlich von einer starken Exportabhängigkeit geprägt sei – erscheine so »stärker als sonst«. Dies sei aber nur in diesem isolierten Fall auch wahr, bemerkte Friedman: »Wenn wir die Frage der Schlußfolgerungen ignorieren, die der Rest Europas und der Welt aus dieser Behandlung Zyperns ziehen wird.«

Neben dieser europapolitischen Zielsetzung – einer Einschüchterung etwaiger Opposition gegen die deutsche Dominanz in der EU – habe sich Berlin auch von einem innenpolitischen Kalkül leiten lassen. Bedrängt von einer Öffentlichkeit und Wählerschaft, die »Deutschlands Verwundbarkeit« als Exportnation nicht »voll verstehe«, habe Berlin trotz aller Risiken sich im Vorwahlkampf entschlossen, »die harte Linie« einzuschlagen. Europäische Krisenpolitik ist somit zu einer Verlängerung deutscher Innenpolitik verkommen.

Zudem könnte Zypern, wie es auch schon die diesbezüglichen Äußerungen des Eurogruppenchefs Jeroen Dijsselbloem nahelegten, mit voller Intention als ein Präzedenzfall für Teil­enteignungen initiiert worden sein. »Europas Bankensystem ist zu groß, um es in einer ernsten Krise zu retten. Jede Lösung wird den Verlust von Geld der Kontoinhaber beinhalten«, so Friedman. Von der damit geschürten Unsicherheit in Südeuropa dürfte übrigens vor allem der deutsche Finanzsektor profitieren, wie der Finanzmanager Thorsten Reitmeyer gegenüber dem Handelsblatt ausführte: »Die Menschen sehen, wie wertvoll es ist, ein Konto in Deutschland zu haben. Wer derzeit Millionen in einem Krisenland hat, fragt sich doch, ob das Geld bei einer Bank in Deutschland nicht besser aufgehoben wäre.« Ähnlich positiv über den Zypern-Deal äußerte sich auch die Deutsche Bank, deren Chefvolkswirt David Folkerts-Landau beteuerte: »Man sollte jede sich bietende Gelegenheit nutzen, um Marktdisziplin wieder herzustellen« –in Zypern, und nicht in Frankfurt, versteht sich.

Die geopolitische Dimension der Zypern-Krise thematisierte hingegen die Washington Post, die hierin auch eine Auseinandersetzung zwischen »Moskau und der Europäischen Union« sah. Hierbei habe der Kreml eine klare Niederlage erlitten, da der von Berlin durchgesetzte Zypern-Deal »das Scheitern der von Moskau forcierten Anstrengungen signalisiert, einen Teil des einstmals großen Einflusses ind Europa wiederzuerlangen und sich als eine Alternative zur Europäischen Union zu behaupten.«


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