Verstehen ist zu viel verlangt

Mitwisser (Foto: Matthias Heschl)

D rei verschiedene Orte auf unserer geodatentechnisch bis in den letzten Winkel erfassten Erde. Drei Verbrechen, die nichts miteinander zu tun haben und doch in der Zusammenschau einen roten Faden aufweisen –  das Umfeld der Täter und Täterinnen. Es ist austauschbar, egal wo sich Straftaten zutragen. Es hält still, verkriecht sich, will von nichts gewusst haben oder rühmt sich, einst, in ferner Zukunft sagen zu können dabei gewesen zu sein.

Die junge Autorin Enis Maci (geb. 1993 in Gelsenkirchen), die mit der Rohfassung ihres Textes „Mitwisser“ 2017 das Hans-Gratzer-Stipendium erhielt, gestaltete diesen in einem Workshop mit Kathrin Röggla zu einem abendfüllenden Stück, das nun am Schauspielhaus uraufgeführt wurde. Darin schlüpfen Simon Bauer, Lili Epply, Steffen Link, Vassilissa Reznikoff und Sebastian Schindegger in viele verschiedene Figuren. Angefangen von Tätern und Täterinnen bis hin zu jenen Nachbarn oder Freunden, die ein gesellschaftliches Amalgam bilden, das das Grauen zwar nicht erklären, zumindest im Nachhinein aber ausgiebig beschreiben kann.

Verstehen ist zu viel verlangt

„Mitwisser“ im Schauspielhaus Wien (Foto: Matthias Heschl)

Der Regisseur Pedro Marins Beja setzt das Geschehen in einen kalten, neonbeleuchteten Raum (Bühne & Kostüme Elisabeth Weiß), der am Ende den Protagonistinnen und Protagonisten fast die Luft abschnürt. Enis Maci spinnt eine Horrorgeschichte nach der anderen von der Antike herauf in unsere Gegenwart und verwendet dabei zum Teil auch das historische Stilmittel des antiken Chores. Dabei präsentiert sie tatsächlich stattgefundene Gewalttaten wie die Ermordung eines Elternpaares durch ihren Sohn Tyler Hadley in Florida, der, mit den Leichen im Haus, eine Party für seine Facebook-Freunde schmiss. Sie erzählt von Nevin Yildirim, die nach monatelangem Martyrium in einem kleinen, türkischen Dorf ihren Vergewaltiger tötete und seinen Kopf den Dorfbewohnern auf dem Marktplatz präsentierte, um ihre Ehre wiederherzustellen. Sie berichtet aber auch vom jungen Deutschen Nils Donath, der sich der IS anschloss und nach verübten Gräueltaten in Syrien, nach seiner Rückkehr in seinem Heimatland, verhaftet und verurteilt wurde. Tylers Partygäste und die Senioren seiner Stadt, Yildrims Dorfgemeinschaft und die Freunde und Familie von Nils – sie alle kommen im Stück zu Wort und versichern mehr oder weniger glaubhaft, völlig unschuldig zu sein.

Ganz nebenbei, kaum wahrnehmbar, spielt die Autorin auch auf jene Mitwisser an, die während des Nazi-Regimes in Goethes und Schillers Weimar nichts vom KZ Buchenwald vor den Toren der Stadt gewusst haben wollen. Die Verbindung in die Antike schafft Enis Maci mit dem Drama um Klytaimnestra und interpretiert ihre Rache auf eine andere Art und Weise als die bislang tradierte.

In trashiges Neonlicht getaucht und mit zeitgeistigen Rhythmen unterlegt (Musik Markus Steinkellner), agiert das Ensemble als Gewaltverbrechen verdrängende Rentner in Port St. Lucie, als testosteronschwangere, junge Rowdies, die den Kampfplatz Fussball gegen Zusammenstöße mit „Kanacken“ tauschen oder als Dorfbewohner, die Yildirin so zu Leibe rücken, dass ihr Schicksal von vorneherein besiegelt erscheint, egal wie auch immer sie sich dagegen auflehnt.

Verstörend und dicht gestaltet sich das Bühnengeschehen zum Teil, das wie in einem Puzzle, einen Handlungs-Baustein nach dem anderen zur finalen Gesamtschau hinzufügt. Dabei schaut die Autorin auch hinter die kolportierten Geschehnisse und versucht, die Motivationen der Mörder und der Mörderin aufzuzeigen, wenngleich diese nicht im Vordergrund stehen. Der zum Teil spröde Text, der sich pseudophilosophisch zwischen die Erzählungen der Taten schiebt, scheint heute zum guten Theaterton zu gehören. Intellektualität muss aber nicht auf Sprachteufel komm raus aufgesetzt zelebriert werden, wenn der Stückinhalt ohnehin, wie in diesem Fall, schon gut durchdacht und verzahnt ist. Die fehlenden Emotionen, die nur vereinzelt in den Figuren aufflammen, werden durch eine geschickte Regieführung kompensiert.

Ähnlich wie in „Verstehen Sie den Dschihadismus / Zucken“, das im Nestroyhof/Hamakom seine Uraufführung erlebte, erhebt die Autorin von „Mitwisser“ nicht den Anspruch, die Gewaltphänomene tatsächlich erklären zu wollen. Zu Recht bleibt am Ende des Stückes der Satz „Verstehen Sie?“  unbeantwortet im Raum stehen. Die Taten verstehen, kann man nicht. Sich dem Phänomen Gewalt und Terror mit Hilfe dieses Stückes annähern und sich auch Gedanken über das gesellschaftliche Umfeld machen, in dem diese stattfinden, schon.

Weitere Termine auf der Homepage des Schauspielhauses.


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