Verstand zu verkaufen

Hundsturm. Kein Theater. Sondern eine Vision.
So liest sich das Eingangsstatement auf der Internetseite der Hundsturm-Location, die vom Volkstheater „commissioned“ wird – wie es ebendort heißt.

Ein Theater. Aber keine Vision.

So könnte man jenes Stück charakterisieren, das im Hundsturm am 28. Februar 2014 in albanischer Sprache mit deutschen Übertiteln uraufgeführt wurde. „Drei Mal Verstand zu verkaufen“ lautete der Titel der absurden Komödie, geschrieben 1994 vom albanischen Dramatiker Ferdinand Hysi. Im Rahmen der 12. Folge von „DIE BESTEN AUS DEM OSTEN!“ war das Teatri i Metropolit aus Tirana eingeladen worden, das Stück in Österreich zu präsentieren. Überraschend dabei war der Publikumsandrang. Der Saal im Hundsturm musste zusätzlich mit Stühlen ausgestattet werden, da die vorhandenen Sitzreihen nicht ausreichten. Vor allem viele AlbanerInnen, die dieser Einladung gefolgt waren, erzeugten ein ganz spezielles, lebendiges Theaterfeeling – davon aber später mehr.

Ferdinand Hysi im Volkstheater Wien Drei mal Verstand zu verkaufen im Volkstheater Wien

„Tri mendje ne ankand“, so der Titel im Original, entstand unter dem Eindruck der Öffnung Albaniens nach dem Sturz des kommunistischen Regimes 1992 und kann als Allegorie auf das Land, sein Volk und die kapitalistische Übernahme Albaniens durch das Ausland gelesen werden. Schon in der kurzen Einleitung von Andrea Grill, die das Stück ins Deutsche übersetzt hat, wurde klar, dass Hysi hier zwar die geschichtlichen Vorgänge seiner Heimat verarbeitete. Tatsächlich jedoch gelang ihm dabei eine allgemeingültige Beschreibung eines turbokapitalistischen Phänomens, das in der gesamten westlichen – und mittlerweile auch östlichen – Hemisphäre seine Spuren hinterlassen hat.

Der Ort des Geschehens: Ein Irrenhaus, genauer, Zimmer Nr. 13 – in Albanien wie bei uns eine Unglückszahl. Dessen Bewohner, von Hysi nur als „Der Erste“, „Der Zweite“ und „Der Dritte“ benannt, waren im Leben vor ihrer Einlieferung Schauspieler, Historiker und Physiker. Popi, eine verrückte Frau, die sich nur mit Lauten artikulieren kann, auch „Das Volk“ genannt, ein „Er“ – ein ausländischer Repräsentant einer Wohltätigkeitsorganisation namens „Gott liebt die Psychiatrie“ und eine Pflegerin, vervollständigen das Ensemble.

Gleich zu Beginn zeigt Hysi mit irrwitzigen, sprachlich blitzgescheiten Dialogen den Zustand der drei befreundeten intellektuellen Insassen auf. „Gestern habe ich nicht geschlafen“ mit dieser simplen Aussage beginnt, wie sich gleich darauf zeigt, eine Fahrt in eine absurde Sprachwelt, aus der es bis zum Schluss kein Entrinnen gibt. Bereits im zweiten Satz des Abends gelingt es dem Autor, seinen intelligenten Sprachwitz zu offenbaren. „Ich habe morgen nicht geschlafen“, diese Zwerchfell-Attacken-Antwort kommt, so verrückt sie auch klingt, wie selbstverständlich aus dem Mund des „Zweiten“. Die Finalisierung dieses Themas übernimmt der „Dritte“: „Ich habe die ganze kommende Woche schlaflos verbracht“. Diese Aussage, die valentineske Züge trägt, macht deutlich, dass Hysi in der Lage ist, Sprache ganz nach seinem Bedarf wie weiches Plastilin zu kneten, zu verdrehen, zu wenden, bis ein völlig neues, ungewohntes semantisches Gebilde entstanden ist. Der Vergleich mit Karl Valentin, einem der ersten absurden Sprachverdreher Deutschlands, drängt sich auf um die Sprachgewalt von Ferdinand Hysi, mit dessen Werken im deutschen Sprachraum kaum jemand vertraut ist, zumindest ansatzweise zu umreißen. Dass sich zu dieser Fähigkeit aber auch eine gehörige Portion tiefgründiger philosophischer Absurdität dazugesellt, wird bald darauf schon deutlich.

Unter der künstlerischen Leitung von Suela Konjari und in der Regie von Elma Doresi sind es keine Spitalsbetten, in denen sich die drei unfreiwilligen Freunde auf der Bühne befinden, sondern sie hantieren mit drei Klomuscheln mit unterschiedlich farbigen Deckeln. Gelb, rot und grün leuchten diese und stellen damit zugleich die einzige individualisierte Zuschreibung von Besitz dar. Sonst gibt es nichts, worin sich die drei Männer attributiv unterscheiden könnten. Ihr Anstaltsgewand (Kostüme Edlira Qyshka), graue Hosen und Hemden, die Extremitäten zusätzlich mit Bändern umwickelt, ist einheitlich. Wer hier lebt, lebt gleichgeschaltet. Und dennoch weisen die Drei gänzlich unterschiedliche Charaktere auf. Der Schauspieler ist noch immer gewohnt, seine Leidensgenossen als Publikum zu betrachten, das er nach Belieben lenken kann, der Historiker erweist sich als herzenswarmer, empathisch Liebender und dem Physiker ist sein analytischer, naturwissenschaftlicher Verstand nicht abhandengekommen, wenngleich doch mit einer eigenen, neuen Logik ausgestattet. Die Männer erzählen sich Absurdes, jagen hintereinander her, bewundern die Ideen der anderen oder machen sich über diese lustig und haben sich, so hat es den Anschein, in ihr Schicksal ergeben. Dabei gibt es allerhand zu lachen. „Im Paradies gibt es keinen Irrsinn“ – „natürlich gibt’s den, wo kämen denn sonst alle Verrückten hin die hier abkratzen“ ist nur ein weiteres Beispiel eines Lachkitzlers Hysi´scher Logik, die unter ihrer ersten Erscheinungsoberfläche zugleich eine unglaubliche Reflextionstiefe eröffnet.

Das Eintreten einer neuen Pflegerin bringt Unruhe in die akkommodierte Lebensweise, aber es dauert nicht lange, da wird ihre Autorität untergraben. Nachdem sie sich auf ihren Status als neue Pflegerin berufen hat, wünscht ihr einer der Heiminsassen schlicht gute Besserung, mit dem Hinweis, dass das schon vergehen würde, schließlich sei er zu Beginn auch der Direktor des Spitals gewesen. Auch ihr Versuch, die drei Männer mittels einer Spritze zu sedieren, scheitert kläglich. Die Welt habe sich verändert und sie wolle ihnen helfen, verkündete sie, nicht wissend, dass sich die Drei gar nicht helfen lassen wollen.

Die Stimme des Volkes bleibt ungehört

So versammeln sie sich zu einer Abstimmung, zu der sie auch „das Volk“ – Popi – herbeirufen, denn ohne das würde ein Entscheid ja nicht funktionieren. Dass die Stimme des Volkes dann gar nicht gehört wurde, versteht sich in dieser Umgebung von selbst. So beschließen sie, die Löcher, durch die es in ihr Zimmer regnet, ohne Hilfe von außen selbst zu stopfen. Hysi verwendet die Loch-Metapher für die albanische Wirtschaft, auf die sich zwar internationale Konzerne stürzten, die aber so marod war, dass jeder Ein- oder Verkauf ein großes Risiko in sich barg. Unter den Firmen, die nach der Öffnung in Albanien investierten, befanden sich auch eine Anzahl österreichischer, was wohl allgemein bekannt sein dürfte. Und dass die Reparatur reibungslos über die Bühne geht, hat wohl niemand im Publikum zu diesem Zeitpunkt erwartet. Schon nach kurzer Zeit entbrennt ein heftiger Streit um den Besitz der Löcher, durch die es regnet. Ein heftiger Wortwechsel ergibt den nächsten, ein absurder Dialog löst den nächsten ab – bis die Drei bemerken, dass sie zwar viel geredet haben, sich an dem Zustand der Löcher aber nichts änderte. Die kalte Umgebung, in der sie sich befinden, von Beqo Nanaj nur durch ein metallenes Stangengerüst gekennzeichnet, das einen ansonsten offenen Raum umreißt, bleibt vom Beginn bis zum Ende unwirtlich. Die seelische Verfasstheit der ProtagonistInnen erhält dadurch seine optische Entsprechung. Geborgenheit und Halt bietet nicht die Umgebung, sondern nur der Zusammenhalt der Menschen untereinander, der sich aber immer nur dann ergibt, wenn sie von außen eine Bedrohung erfahren.

“Gott liebt die Psychiatrie“, der völlig überforderte Helfer

Eine dramatische Wendung erfährt das Geschehen mit dem Auftritt des „Er“. Seiner Sprache nicht mächtig, reimen sich die Verrückten zusammen, worum es ihm eigentlich geht. Vom Ausland sei er gekommen, von der Organisation „Gott liebt die Psychiatrie“. Aus China, Japan, Deutschland und Amerika seien sie gekommen – vielen seien es – und sie seien alle da, um zu helfen, versucht „Er“ zu erklären. Die logische Erklärung der Drei, dass dieser Mann vom Volk sein müsse, da man ihn nicht verstünde, zeigt abermals Hysis Spiel mit mehrfachen Bedeutungsböden. In völliger Verkennung und Verdrehung der Sachlage meinen die Verrückten schließlich, dass der Mann gekommen sei, um von ihnen Hilfe zu erbitten, die sie ihm umgehend zusagen. Und abermals beginnt dasselbe Spiel wie schon zuvor mit der nicht anerkannten Autorität der Pflegerin. So lange bombardieren die drei Männer den Fremden und beziehen ihn in ihr Treiben ein, bis dieser schließlich selbst Anzeichen von Verrücktheit zeigt.

In all dem sprachlichen Trubel und der vordergründigen Absurdität gelingt es dem Autor zusätzlich nach wie vor gelebte, frauenverachtende Sozialpraktiken anzuprangern. Popi, die Sprachlose, kann just in dem Moment sprechen, als sie ihr Trauma offenbart. Die Tötung ihres ledigen Kindes, die sie um der Gesellschaft willen, die unehelichen Geschlechtsverkehr drastisch sanktioniert, durchführte. Mit den kurzen Sätzen „Ein Tier beschützt seine Jungen, während ich meines umgebracht habe“ und „Eine Mutter, die ihr eigenes Fleisch und Blut tötet, damit ihr die anderen keine Steine nachwerfen“ legt der Autor schonungslos offen, woran die albanische Gesellschaft nach wie vor krankt. Aber auch Kindesmissbrauch im Westen wird in dem Stück thematisiert. Der alles vereinnahmenden Logik der Psychiatrieinsassen ausgesetzt, öffnet sich die Erinnerung des Ausländers von einer Sekunde zur anderen schleusenartig und zum Vorschein kommt eine grausame Vergangenheit mit der Erziehung in einem Heim und dem dortigen Missbrauch der männlichen Autoritäten.

Der Versuch, die Löcher irgendwie zu stopfen, misslingt genauso, wie jede von außen versuchte Intervention. Und das kann man sowohl auf die wirtschaftlich bezogene Komponente des Stückes beziehen als auch auf jene Löcher, die in die Seelen der Menschen tiefe Wunden gegraben haben. Was bleibt, sind nicht mehr nur vier Psychiatrieinsassen, sondern zwei zusätzliche. „Er“ und die Pflegerin können ihre zuerst zur Schau getragene vermeintliche Überlegenheit nicht aufrechterhalten und offenbaren ihre persönlichen kindlichen Verletzungen, die sie schlussendlich auch in den Wahnsinn treiben. „Hier drinnen sind Kranke, draußen Verrückte“ resümiert die Pflegerin am Ende des Stückes. Eine Feststellung, die auf jedes kranke System zutrifft, sei es ein familiäres, wirtschaftliches oder ein politisches.

„Drei Mal Verstand zu verkaufen“ ist eine furiose Parabel auf das Menschsein an sich, aber auch auf die völlig absurde, wenngleich weltweit anerkannte wirtschaftliche Vormachtstellung des Kapitalismus. Möchte man Vergleiche zu anderen LiteratInnen anstellen, so ist es Eugène Ionesco, der von Ferne verwandtschaftlich winkt. Wobei Hysi in diesem Stück keine Absurdität konstruieren musste, sondern für das Vorhandene einzig ein adäquates Sprachkostüm erfinden musste. Ferdinand Hysi packt dafür ein sprachgeschärftes Messer aus, das mit eisigen Schnitten die absurden Mechanismen unseres wirtschaftlichen Gebarens freilegt, ohne anschließend eine heilende Lösung oder Antwort darauf zu haben. Die einzige Medizin, die er parat hält, ist jede Menge Witz und tief empfundene Humanität, Empathie und Solidarität mit seinen unterschiedlichen Charakteren.

Ein Theater. Aber keine Vision. Dieser Text ist für das Theater geschrieben. Aber er ist leider keine Vision, sondern genau besehen Abbild einer Realität, deren Tragik von der Gesellschaft permanent zugeschüttet wird um daran – in logischer Konsequenz – nicht verrückt zu werden. Ein Stück mit hohem Erfolgspotenzial, das es verdienen würde, in den Spielplan der deutschsprachigen Theater aufgenommen zu werden.

Häufiger Zwischenapplaus und eine hörbare, schier unbändige Freude am rauschhaften Spiel von Klodian Hoxha, Devis Muka, Alban Musa, Elona Hyseni, Lorenc Kaja und Doriana Çaushi prägten den Abend seitens der Albanischsprechenden im Saal – einfach nur wohltuend! Eine wunderbare Erfahrung für all jene, denen man das Unterdrücken von Emotionen während einer Theateraufführung – völlig zu Unrecht – pädagogisch eingebleut hat.

Vita von Ferdinand Hysi:
Autor 1952 in Berat geboren, studierte Radiotechnik, arbeitete u.a. als Telekommunikationsingenieur. In den 1970er-Jahren begann er Theaterstücke und Libretti zu schreiben, für die er mehrere Preise erhielt. Hysi lebte viele Jahre in Italien, seit 2009 in Tirana Seine Stücke wurden u.a. am Nationaltheater Tirana, am Stadttheater Vlora und zuletzt im Metropoltheater Tirana aufgeführt. Er schreibt Texte und Drehbücher fürs Fernsehen. (entnommen aus dem Programmheft der Serie „Die Besten aus dem Osten!“


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