Von Stefan Sasse
Im Rahmen des Programms zum nachhaltigen Wirtschaften und dem Absenken der Staatsschulden hat sich die bürgerlich-solide Koalition jetzt darauf geeinigt, um die sechs Milliarden zum Abmildern der Kalten Progression nutzen und 1,2 Milliarden zum Aufbau des so genannten "Betreuungsgeldes" ausgeben zu wollen. Diese staatlichen Ausgabenprogramme werden dann, gleichsam dem Formelbuch eines finanzpolitischen Zauberlehrlings entnommen, ihren Teil dazu leisten einen selbsttragenden Aufschwung zu entwickeln. Oder so ähnlich. Der Vorteil an der Absurdität dieser Programme, über die Schwarz-Gelb gerade debattiert ist, dass die Regierung selbst sich keinerlei Illusionen hingibt. Wirtschaftsminister Rösler weißt den Gedanken, der große Wurf der FDP-Steuersenkungen liege endlich vor weit von sich und spricht lediglich vom Einstieg in den Ausstieg aus der Kalten Progression. Und noch bevor Sigmar Gabriel ein Mikrofon finden konnte um zu verkünden, dass die SPD das Ganze selbstverständlich im Bundesrat stoppen werde, hat ihm Horst Seehofer den Job bereits abgenommen, nicht ohne noch einmal auf das Betreuungsgeld als Ausgleich für das Elterngeld zu pochen - eine Posse sondersgleichen. Beides ist klarer Ausdruck der Verselbstständigung politischer Debatten, die - walle, walle, manche Strecke - ihren Zauberlehrlingen längst entlaufen sind.
Es sind die Steuersenkungen, die geradezu ein Zombiedasein fristen. Als die FDP sie im Wahlkampf 2009 aus einem überbordenden Gefühl der Stärke auf den Schild hob, den Volksparteistatus scheinbar am Horizont wetterleuchtend, war den Beobachtern des politischen Berlin bereits klar, dass es eine reine Luftnummer war. Niemand, nicht einmal die Wähler der FDP selbst rechneten damit, dass jemand ernstlich in einer der schlimmsten Wirtschaftskrisen seit Beginn der BRD auf die Idee kommen könnte, auf breitet Front die Steuern zu senken. Es war wohl die größte Fehleinschätzung von Westerwelles politischer Karriere, dass er glaubte, tatsächlich liefern zu müssenm wo man ihn hauptsächlich als Frust-Korrektiv gegen die Große Koalition an die Macht gewählt hatte. Seit der Große Vorsitzende aber sein politisches Schicksal damit verknüpfte irrlichtert die Steuersenkungsdebatte als ständiger Lackmustest der liberalen Glaubwürdigkeit durch die Parteienlandschaft. Sie ist das ungeliebte, illegitime Kind der Koalition, das niemand mehr los wird. Das Thema hat kaum Anhänger, weder bei den Spitzenpolitikern noch Wählern oder Leitartiklern, aber es findet doch ständig neue Adoptiveltern die glauben, damit ihre Popularität kurzfristig aufbessern zu können.
Ganz anders verhält es sich mit dem Betreuungsgeld. Es ist gewissermaßen das Gegenpendel zum Elterngeld, der reaktionäre Backlash aus dem verstaubten Hinterhof der Unionsparteien. Es gärt in einem speziellen Milieu, in dem die Vorstellung von zwei arbeitenden Elternteilen noch immer als "pfui" gilt, und es scheint als probates Mittel um das alte bayrische Diktum vom "mir san mir" zu belegen und einen Anknüpfungspunkt an die scheinbar so übersichtlichen guten alten Zeiten zu schaffen. Das Betreuungsgeld ist eine absurde Vorstellung und versucht eine alte Zeit, die niemals gut war, über die Veränderungen der vergangenen Jahre hinaus zu bewahren. Es wird nicht erhoben, weil man vom Erfolg der Maßnahme überzeugt wäre. Es ist der politische Preis, den die CSU von Familienministerin Schröder erhebt, um deren Vorstellungen vom Elterngeld durchzuwinken. Im besten Fall kann man behaupten, damit Entscheidungsfreiheit für Eltern schaffen zu wollen; im schlechten und wahrscheinlichen Fall ist es eine bequeme Möglichkeit, sich aus der Kritik an fehlenden Betreuungsmöglichkeiten und elternfreundlichen Beschäftigungsverhältnissen herauszukaufen. So oder so ist auch das Betreuungsgeld eine Politikdebatte, an der keinerlei echte Sachforderungen hängen, sondern die ihre Existenz einer anderen, genuinen Politik verdankt. Die Debatte wird am Leben gehalten, weil sie sich automatisiert hat. Solange das Elterngeld existiert wird es Konservative geben die glauben, sich dagegen profilitieren zu müssen. Das Betreuungsgeld ist der politische Preis, der ihnen dafür bezahlt wird, nicht mehr und nicht weniger.