Verschwörungsnachklapp zum Staatstrojaner

Von Stefan Sasse
Heute kann man bei den NachDenkSeiten verlinkt einen Foren-Beitrag bei heise.de finden, in dem die "Reaktion der Systemmedien" auf die Nachricht vom Staatstrojaner-Skandal dargestellt wird. Das Fazit: "Manipulation und Propaganda". Man kann nicht behaupten, dass SpOn und SZ sich mit Ruhm bekleckert haben. Während bei FAZ und ZEIT schon seit über 12 Stunden Artikel online standen, fanden beide andere Zeitungen es erst einmal wichtiger, am Sonntag morgen ausführlich über Vettels Formel-1-Sieg zu berichten, der sich in drei oder vier direkt untereinander angeordneten Artikeln auch noch hartnäckig auf Seite 1 hielt, als die Staatstrojaner-Meldungen bereits an vierter Stelle verschämt und notdürftig kommentiert erschienen. Es scheint, als ob die beiden eiskalt erwischt wurden und nicht in der Lage waren, schnell auf die Geschehnisse zu reagieren, geschweige denn eine irgendwie fundierte Meinung einzuholen. Was aber, um den Bogen zurückzuspannen, der Kommentator "Der Abschied" bei heise.de von sich gibt, ist einfach nur lächerlich und dient hervorragend zur Untermalung meiner Warnungen in den Debattenbeiträgen (hier und hier) mit Jens Berger.
Das beginnt mit einem ZDF-Artikel. Dieser unterschlägt tatsächlich praktisch vollständig das verfassungsrechtliche Problem - die eklatante Missachtung grundgesetzlicher Regeln - und stützt sich allein auf den technischen Aspekt, so dass der Eindruck entsteht, der CCC kritisiere das Sicherheitsniveau und nicht die Existenz des Trojaners und seiner Funktionen überhaupt. Die Folgerung von "Der Abschied":
Fazit: es ist unglaubhaft, dass die ZDF-Redaktion die Tragweite dieser Affäre nicht erkannt hat. Obwohl sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erwähnt, unterlässt sie es daraufhinzuweisen, dass staatliche Stellen hier einen vorsätzlichen Verfassungsbruch in ihre Software eingebaut haben. Es handelt sich offensichtlich um vorsätzliche Meinungsmanipulation. Auch Propaganda genannt.
Das aber ist übertrieben. Das ZDF war schon immer ein tendenziell "schwarzer" Sender. Der fragliche Artikel erschien noch am Samstagabend, also als FAZ und ZEIT die Presseerklärung des CCC publizistisch begleiteten. Wenn der fragliche Autor sich nicht besonders gut auskannte und generell wenig von der allgemeinen Kritik am Staatstrojaner hält, so ist der Artikel leicht erklärlich. Am Sonntag hat das ZDF außerdem in zwei Artikeln den Stellungnahmen von Leutheusser-Schnarrenberger und Schaar Platz eingeräumt. Ist das ZDF übermäßig kritisch? Nein. Steht es in Sachen Trojaner tendenziell auf Regierungsseite? Ja. Ist es deswegen manipulativ und propagandistisch? Nein. Was "Der Abschied" ebenso wie ein großer Teil der Community nicht erkennen will ist, dass "Propaganda" und "Manipulation" keine einseitig belastbaren Kriterien sind. Die FAZ hat nach diesem Maßstab ebenfalls massive Propaganda und Manipulation betrieben, sogar wegen der Einseitigkeit noch schlimmer als das ZDF - nur eben in eine uns genehme Richtung. Nur, darüber beschwert sich keiner. 
Nach dem ZDF rantet "Der Abschied" dann gegen SpOn. Auch hier wird im ersten Artikel vor allem auf die technischen Mängel abgehoben, während ein kritischer Artikel - der an Schärfe nichts zu wünschen übrig lässt - erst spät am Sonntag nachgeschoben wurde. Das klare Fazit des "Abschied":
Interessant am Rande: kurz nach diesem ersten Versuch, erschien einArtikel des für Spiegel-Redakteure halbwegs Internet-versiertenChristian Stöckers (wer die Beleidigung erkennt, darf nunschmunzeln). Auf einmal hört man andere Töne: ""ProgrammierterVerfassungsbruch" und "Die Analyse staatlicher Überwachungssoftwaredurch den Chaos Computer Club hat Erschreckendes zutage gefördert..."In der Zwischenzeit hat die Nachricht das Netz in so helle Aufruhrversetzt wie selten. Anscheinend kam man in der Redaktion von Spiegelonline zur Einsicht, dass man diesen Angriff auf die Verfassung nichtmit der üblichen Propaganda aus der Welt schaffen kann (selbstSpiegel-Leser haben im Forum erkannt, dass sie mit dieser Meldungmanipuliert werden; das will was heißen). Also frisst man Kreide. Andieser Stelle erkennt man übrigens die Macht des Internets. Man ist nicht mehr auf die Systemmedien angewiesen, um sich zu informierenund desinformieren zu lassen. Gäbe es das Internet nicht, hätten dieVersuche des Spiegels vielleicht Erfolg gehabt. Nun muss er sich aberder Macht der freien Meinungsbildung beugen und Kreide fressen, umzumindest einen Anschein an Glaubwürdigkeit zu wahren.
Weil also User im Forum des Spiegel sich beschwert haben, wird "Kreide gefressen" und ein kritischer Artikel nachgeschoben, quasi um alle zu beruhigen. Es ist dasselbe Hirngespinst wie im Falle ZDF. Beide Redaktionen wurden, so vermute ich, von der Nachricht kalt erwischt. Es war Wochenende, und gut bezahlte Redakteure sind da wohl nicht in der Redaktion in ständiger Alarmbereitschaft, sondern führen den Hund Gassi. Einen Artikel muss man aber raushauen, und da ist es in Abwesenheit irgendwelcher kompetenten Vorgesetzten wohl einfach der sicherere Weg, erst einmal die relativ unbedenklichen technischen Daten rauszuhauen, ehe man voll auf die Pauke schlägt und über den Verfassungsbruch schreibt. So was, falls das noch niemandem aufgefallen ist, ist Leitartikel-Stoff. Das machen die großen Jungs. Die aber waren wohl schlicht nicht da. Das erklärt in meinen Augen die auffällige Reihung der Artikel - erst den technischen Kram von dpa abschreiben, erst später Meinungsartikel - deutlich besser als die Existenz einer 24/7 anwesenden Zensurkommission für Propaganda und Agitation. 
Die Vorwürfe, die "Der Abschied" hier - wohl stellvertretend für nicht wenige, wenn man dem bisherigen Diskussionsverlauf und der NDS-Verlinkung Gewicht beimisst - gegen die Redaktion erwähnt, sind dazu schlicht heuchlerisch. Ständig beschwert man sich aus den Reihen der Gegenöffentlichkeit darüber, dass keine vernünftige Recherche mehr bei den Massenmedien stattfindet, sondern einfach nur mit Vergötterung der Aktualität alles rausgehauen wird, ohne Verifizierung und eigene Gedankenbildung. Dann passiert etwas überraschend, am Wochenende, und alle beklagen sich dass SpOn und Co erst mal überlegt (mich eingeschlossen). Macht das Sinn? Ist das nicht ein Doppelstandard? 
Den Vogel schießt "Der Abschied" aber ab, als er zu Frank Schirrmachers deutlichen Worten und der prominenten Stellung, die dieser dem Trojaner in der FAZ eingeräumt hat kommt. 
Betrachtet man aber die Leserschaft und die Kritik genauer, weiß man, warum. Schirrmacher hat das rechte Lagerund seine Leser davor gewarnt, dass solche Skandale viele Bürger zur Piratenpartei treiben. Ein Opposition, die diesen Namen verdient,will man im etablierten System nicht haben. Schirrmache hat erkannt,dass die Rechte es übertrieben hat und dies den Rechten Zielenschadet. Er ist mitnichten zum Freiheitler oder Demokraten geworden. Allein die Macht des Internets triebt ihn dazu, Kreide zu fressen undim freiheitlichen Lager zu fischen.
Das ist genau das, was ich mit "Verschwörungstheorie" meine. Hallo? Frank Schirrmacher hat vielleicht auch so was wie einen eigenen Kopf und hängt nicht an den Fäden irgendeiner weltweiten Verschwörung, die ihn kontrolliert und steuert und der er willfährig zuarbeitet. Ihm zu unterstellen, dass er nur verhindern will, dass Leute zur Piratenpartei überlaufen um eine "Opposition, die ihren Namen verdient" zu bilden, ist schlichtweg albern. Abgesehen davon, dass er dann wohl kaum so kritisch wäre, sondern stattdessen einfach auch nur die technischen Aspekte beschreiben würde - die ihm aber gerade relativ egal sind. Nein, "die Leserschaft" der FAZ reicht dem "Abschied" hier als Beweis dafür aus, dass Schirrmacher ein Doppelagent des Bösen ist. Diese Weltsicht ist nur noch traurig und hat sich von der Realität weitgehend abgekoppelt. Dass die NachDenkSeiten auf diesen Beitrag verlinken und ihn als empfehlenswert herausstellen, spricht absolut nicht für sie. Der Ton im Lager der "Gegenöffentlichkeit" wird immer hysterischer. Hinter jeder Ecke wird ein Agent der alles umfassenden Verschwörung vermutet, die nur wenige eingeweihte, denkende, "kritische" Geister sehen können. Freunde wie "Der Abschied" will niemand haben. Wenn die Piratenpartei jemals mit solchen Leuten assoziiert wird, dann wird sie tatsächlich niemals eine wirksame Opposition sein können. Und überhaupt, warum ist eine "Opposition, die diesen Namen verdient" eigentlich immer das Ziel aller Wünsche? Ich will eine Regierung, die diesen Namen verdient!

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