Seit dem 15. Mai erlebt Spanien eine Konzentration der Unzufriedenen, die inzwischen eine kleine Republik an der Puerta del Sol in Madrid gegründet haben.
Es ist eine Zeltstadt fast wie auf dem Tahrir-Platz in Kairo vor nicht allzu langer Zeit. Die Bewegung hat auch schon einen Namen, sie nennt sich "Movimiento 15-M". Der Zünder für die Mobilisierung waren die am kommenden Sonntag stattfindenden Gemeinde- und Regionalwahlen in Spanien.
Es sind vor allem die Jugendlichen, die diese Bewegung initiiert haben und über Internet und soziale Netzwerke für den großen Erfolg der Aktion sorgen. Sie fühlen sich als die großen Verlierer der Finanzkrise, die in Spanien, wo die Jugendarbeitslosigkeit bei über 20% liegt, vor allem die Jugend getroffen hat. Von den Politikern der großen Parteien haben sie Nase voll. Diese kümmern sich um alles, nur nicht um das, was das Volk bewegt. Die Schuldigen der Krise sind in ihren Augen die Finanzjongleure und Banken, für die der Staat alles tut, damit sie nicht leiden müssen. Deshalb kämpfen sie für einen sozialen und demokratischen Wandel in Spanien, der auch den Benachteiligten eine Mitspracherecht gibt. In diesem Sinne bitten sie ihre Mitbürger "verantwortungsbewusst" zu wählen.
Fing die Bewegung am vergangenen Montag noch mit einer Handvoll jungen Leuten an, die an der Puerta del Sol in Madrid demonstrierten, so wurden es im Laufe der Woche immer mehr Protestierer. Da fühlte sich das Wahlgericht der Provinz Madrid gestern bemüssigt, die Versammlung zu verbieten. Diese Versammlungen würden einen "Eingriff in den Wahlkampf" bedeuten und dessen "Transparenz" einschränken. Der Aufruf zu einer verantwortungsbewussten Wahl könne den Wahlkampf beeinträchtigen und das Recht des Bürgers auf Ausübung des Wahlrechts, meint das Wahlgericht. Deswegen müsse die Versammlung verboten werden
Man reibt sich die Augen ob dieser Begründung. Neue Regungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit versucht man mit durchsichtiger obrigkeitsstaatlicher Disziplinierung zu begegnen. Die Begründung für das Verbot der Versammlung unter freiem Himmel ist auf jeden Fall mehr als fadenscheinig. Das Verbot hatte deshalb nicht gewünschten Erfolg. Im Gegenteil, heute füllte sich der Platz an der Puerta del Sol erneut und diesmal sind es nicht nur die Jugendlichen, die kommen, sondern auch die Erwachsenen. Eine 78-jährige Frau erklärt ihre Anwesenheit: "Ich bin hier, um diese Leute zu unterstützen. Meine Tochter kommt jeden Tag. Es gibt viele gut ausgebildete jungen Leute, die nicht arbeiten können. Bezüglich der beiden Parteien PSOE und PP bin ich ihrer Meinung, das ist alles die gleiche Scheisse".
Das Volk versammelt sich also weiter und sagt dabei seine Meinung, obwohl inzwischen die Zugänge von einem großen Polizeiaufgebot beobachtet wird. Jetzt soll das zentrale Wahlgericht die Sachlage beurteilen. Dieses Gericht ist aus Richtern, die per Los bestellt wurden, und aus Rechtswissenschaftlern zusammengesetzt. Die spanische Justiz hat sich in letzter Zeit nicht gerade mit Ruhm bekleckert, man kann nur hoffen, dass diesmal das Recht der Menschen, bei den Wahlen ihre Meinung kund zu tun, ein größerer Stellenwert eingeräumt wird.
Siehe auch:
Spanien lässt seine Jugend im Stich