Von Dudjom Lingpa
Obwohl ich für den einen Pfad, der von allen Buddhas begangen wurde, Ehrfurcht empfinde, weiß ich, dass ich an einer Kreuzung von zwei Pfaden angekommen bin, aber ich war blind und wusste nicht, welcher Weg zu gehen war. Da ich keinen Führer fragen konnte, musste ich meiner Einschätzung folgen. Dies war meine Wahl.
Obwohl ich in der Gegenwart vieler erhabener spiritueller Lehrer saß, bin ich keine verlässliche Quelle geworden, die nektargleichen Lehren, die ich getrunken habe, weiterzugeben. Gelegentlich habe ich dumme Meditationen praktiziert, die ich selbst erfunden hatte und in Abhängigkeit von täuschenden Traumerscheinungen habe ich ernsthaft versucht, diese Lehren in die Praxis zu bringen. Ich habe nun somit keine Hoffnung, ein starkes Gespür für Stolz entsprechend einer echten Entwicklung meines Geistes zu entwickeln, weil ich keinen spirituellen Führer treffen konnte, der mich auf den Pfad anleiten konnte. Ich habe nicht die Arroganz um zu sagen, „dies ist meine Erfahrung“, da ich keine Weisheitsqualitäten habe, die aus echter Praxis entspringen. Meine Meditation ist wie der Versuch, meditative Stabilität zu erlangen und dann einzuschlafen. Meine Meditation ist wie ein Murmeltier im Winterschlaf!
Um nicht den Befehl meines erhabenen, heiligen Lamas zu brechen, bringe ich mein Herzblut hervor, opfere es mit dem Gedanken: „Was sonst könnte ich machen?“
Daher hatte ich die Idee, ein paar schöne Gewänder aus Seide und Brokat anzulegen und auszugehen und ein paar Leute zu treffen, aber als ich mich umsah, konnte ich keine finden. Daher nahm ich Schlamm, um meinen Körper einzukleiden und als Schmuck steckte ich Stöckchen und Federn an. Dann dachte ich mir, dass dies der beste Zierrat sei und sagte: „Ich habe etwas Quatsch gemacht, um den Leuten wegen dem Schlamm und den Federn als Kleidung zu sagen. So hört! Hört dieser verrückten Meditation aus Schlamm und Federn zu. Hört zu, beobachtet und lacht.“
„Einige Meditierende schätzen gute Gedanken wert und versuchen negative Gedanken zu blockieren. Das ist als ob ein Hund in euer Haus kommt, etwas Essen klaut, dann nach draußen flüchtet. Dadurch verschließt ihr all eure Türen und Fenster und tastet im Dunkeln herum.
Einige Meditierende, nachdem sich die zwanghaften Vorstellungen aufgelöst haben, schicken ein Gegenmittel nach, das wie ein Jagdhund ist, der einem Fuchs nachjagt, welcher schon längst geflohen ist.
Einige Meditierende üben das Beobachten, wie ihre Gedanken aus der Ferne auftauchen. Die sind wie ein alter Schafhirte, der seine Herden aus Kühen und Schafen auf einer großen Ebene betrachtet, aber wenn ihr ein Garuda sein, der aus seinem Nest wegfliegt, ist zu viel, die Leichen von 21.000 Mäusen an einem Tag hinauszuwerfen.
Einige Meditierende betrachten Gedanken wie einen Blitzschlag und Gewahrsein wie das klare Licht, sehen die Untrennbarkeit von Erscheinung und Gewahrsein als den wahren Pfad an.
Einige Meditierende glauben, dass der wahre Pfad darin liegt, sobald ein Gedanke auftaucht, den Gedanken und den Denker als ungetrennt zu erkennen.
Diese Übungen sind gut für Anfänger, aber wenn ihr auf diese Weise weiter meditiert, dann ist das wie wenn man Täuschung mit Täuschung vermischt. Wenn ihr auf diese Weise übt und Freude, Klarheit und Nicht-Begrifflichkeit erlangt und überhöhte Meinung in einem aufsteigt, wo man dann wie von einem hohen Turm auf andere mit einer arroganten Haltung herabsieht, als ob man im Sattel eines tollen Pferdes sitzen würde oder wie so manche Lamas es machen, auf einem hohen Thron zu posieren, wie könnt ihr dabei jemals die Hoffnung haben, aus den Tiefen von Samsara aufzusteigen? Es ist als ob man einen schweren Stein vom Grund des Ozeans hebt. Greifen kommt immer noch vor und Befreiung ist kein Thema.
Wenn ihr euch auf dem Pfad übt, ihr euch konzentriert auf einen Gegenstand ausrichtet und die Gedanken kraftvoll aufhaltet, werden mehr Gedanken entstehen und ihr werdet euch elend, krank und verwirrt fühlen. Aber wenn ihr wie ein Schafhirte seid, der die Gedanken aus der Ferne betrachtet, dann wird alles, was entsteht, mit Klarheit erblickt, der Geist wird als Gewahrsein erkannt und was gesehen wird, wird als Bewegung verstanden. In dieser stabilen Erfahrung werden Freude, Klarheit und Nicht-Begrifflichkeit entstehen. Wenn ihr Ruhe, Bewegung und Gewahrsein verschmelzt, werden Gedanken selbsterkennend, selbsterhellend. Entscheidend ist, dass ihr eure Grundlage hinsichtlich des klaren Gewahrseins, frei von Hoffnung und Furcht, Negation und Affirmation verliert.
Als ich jung war, hörte ich die Leute sagen, dass Meditation ein guter Pfad zum spirituellen Erwachen sei. Diesem Gedanken eingebend, glaubte ich, dass dieser Pfad etwas wäre, dass man sehen, fühlen und hören kann, und daher dachte ich, wenn diese alten Mönche dies machen könnten, warum nicht auch ich? Also ging ich an einen abgelegenen Platz, saß in Einsamkeit und wartete drei Tage, bis Meditation entstehen würde. Am dritten Tag war ich erschöpft und schlief ein. Ich hatte eine Traum von einem weißen Kind, das mich fragte: „Was machst du da?“ Ich antwortete: „Ich warte darauf, Meditation zu erblicken.“ Das Kind schloss seine Augen und sang folgendes Lied: „Hey! Hey! Du blinder Knabe, der sich wünscht, den wahrhaftigen Pfad zu betreten, hör gut zu! Dieser Körper ist wie ein Papiersack, der vom Wind davon getragen wird. Die Rede ist wie der Klang des Windes in einer Röhre. Der Geist ist der Schöpfer sowohl von Samsara wie auch Nirvana. Unter diesen dreien ist der Geist vorrangig. Du wirst eine lange Zeit warten müssen, um Meditation zu sehen.“ Dann wachte ich auf.
Ein paar Tage später hatte ich einen weiteren Traum von einem Yogi, der sich selbst Orgyen Padma Vajra nannte. Er stellte eine Vase auf meinen Kopf und sagte: „Untersuche zuerst den Entstehungsort des Geistes, dann seinen Aufenthaltsort und drittens seinen Bestimmungsort.“ Dann löste er sich in mich auf.
In einer weiteren Nacht träumte ich von einem roten Yogi, der sich Orgyen Vajra-Rede nannte, welcher sagte: „Gedanken werden Bewegung genannt; dasjenige, was es versteht wird Gewahrsein genannt und das Verbleiben darin wird Stille genannt. Sei niemals von diesen getrennt.“ Dann löste er sich in mich auf.
Drei Jahre später erschien mir in einem Traum eine junge Frau. Sie legte 13 weiße Sesamsamen auf die Oberfläche eines klaren Spiegels, dann hielt sie mir diesen an mein Herz und sang dieses Lied: „Ema! Kind des klaren Lichts, dein eigener Geist ist der Grund von allem in Samsara und Nirvana. Sein Ursprung ist leer, sein Aufenthaltsort ist leer, sein Abgang ist leer. Er ist in der großen Leerheit spontan präsent. Dein Geist ist ein Spiegel, der Ursachen und Bedingungen transzendiert. Wie in einem Spiegel können darin verschiedene Reflexionen entstehen, aber seine Wesensnatur ist unwandelbar. Differenziere zwischen Verstand und Gewahrsein. Sie haben dieselbe Grundlage, aber sie sind nicht dasselbe. Der Geist wird in Samsara getäuscht; Gewahrsein erkennt die Natur des Daseins. Erkenne das Grundgewahrsein. Kind des Weisheitsgewahrsein, dies ist der geheime Schatz der Dakinis.“ Dann verschmolz sie mit mir und Körper, Rede und Geist von mir waren von Glückseligkeit durchdrungen.
Indem ich mich anstrengte, lichthaftes Gewahrsein zu identifizieren, hatte ich nach einiger ein Gespür dafür, dass Erscheinungen und dasjenige, das Erscheinungen erkennt, untrennbar seien. Manchmal erschien diese Erfahrung außerhalb. Manchmal erschien diese Erfahrung innen. Manchmal als nonduale Erscheinung und wenn das Gewahrsein hinaus zum Objekt ging, verschwand es. Ich wusste, diese Erfahrungen ereigneten sich aufgrund des Greifens nach einer Basis als Objekt. Zu anderen Zeiten löste sich das Greifen nach Phänomenen ganz natürlich auf, als ich mich in den allesdurchdringenden, ursprünglich reinen Grund hinein entspannte. Dann erschien die schöpferischen Ausdrucksformen ganz natürlich und lösten sich in einen Zustand frei von einem Gegenmittel auf.
Ein Geist frei von Aktivitäten, frei von Hoffnung und Furcht, ist die Realität an sich, die mit der Sonne verglichen werden kann, die an einem klaren Himmel erscheint. Dies ist spontan präsentes Gewahrsein, der Dharmakaya. Die wesentliche Natur der Basis ist, dass alle selbstentstehenden Erscheinungen auf natürliche Weise sich in sich selbst befreien. Die Basis und die Erscheinung sind untrennbar, wie die Sonne und ihre Strahlen. Geist greift nach einem Phänomen, Gewahrsein nicht. Erscheinungen, die der schöpferische Ausdruck des weiten Gewahrseinsgrundes sind, lösen sich wie Wellen in einem Ozean ganz natürlich in den uranfänglichen Schoß auf.
Später in einem Traum sah ich Orgyen Dorje Drollod in einer Ausdehnung aus Flammen und Licht und er er sang ein Lied vom HUNG: „HUNG, HUNG. Verstehst du, dass das Band, das dich in Samsara festhält, die Trennung von Subjekt und Objekt ist? Verstehst du, dass Freude und Sorge, deine Umgebung und deine Begleiter Manifestationen von Licht und Dunkelheit sind, bar einer wahren Bestehensweise wie ein Traum? Obwohl Raum frei von Rand oder Mitte ist, geht er nicht über das Gewahrsein hinaus. Raum ist nichts anderes als die Ausdehnung des Gewahrseins. Ruft man den Dämon darüber an, greift man nach dem Buddha, ruft man den Dämon darunter an, greift man nach täuschenden Erscheinungen. Beides sind Produkte von Verdinglichung. Verstehst du, dass alle Erscheinungen natürliche Projektionen von Gedanken sind? Verstehst du, dass Samsara und Nirvana ungetrennter Ausdruck innerhalb der grundlegenden Weite der absoluten Natur sind? Verstehst du, dass dynamische Energie auf natürliche Weise in die allesdurchdringende Natur ohne Meditation befreit ist? Alles Greifen ist bar von Substanz. Subjekt und Objekt sind von einem Geschmack. Ich selbst und die Emanationen von mir sind uranfänglich eins im Schoß der Mutter der großen Weite.“ Dann löste sich Orgyen Dorje Drollod in mich auf.
Samsara und Nirvana sind gemeinsam entstanden, aber sie sind eins, nicht zwei. Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass die Seinsnatur die große Vollkommenheit von Samsara und Nirvana ist. Gebt euch nicht einfach mit dem leeren Aspekt der Sicht zufrieden, sondern habt die allumfassende Dzogchen-Sichtweise. Gut und schlecht sind Ausdrucksformen eurer eigenen Natur. Die fünf Buddhafelder sind der schöpferische Ausdruck der Weite des uranfänglichen Bewusstseins. Der mitfühlende Buddha erscheint spontan, ohne Anstrengung.
Heh, Heh! Die ursprünglich reine, absolute Natur ist frei vom Extrem des dualistischen Greifens. Der Palast des reinen Lichts ist der Ausdruck von reiner Präsenz. Aus dem nondualen Bereich von Wonne und Glückseligkeit erscheinen Wesen reinen Gewahrseins als das Gesicht des natürlichen Seins. Von diesem anstrengungslosen Ort bin ich diesen Wesen begegnet und habe diese quintessentiellen Anweisungen aus dem Schatzhaus der Weite der Realität selbst erhalten.
Heh, Heh! Die essentielle Natur frei von Extremen ist der uranfängliche Grund, uranfänglich rein. Sucht keinen Buddha getrennt davon. Alle vorgetäuschten Erscheinungen sind in der Weite eures eigenen natürlichen Gewahrseins vollendet. Dies ist die Bedeutung der Großen Vollkommenheit.
Im unwandelbaren Feld des Allesdurchdringenden erscheinen Glückseligkeit und Leerheit als die Weite, die Sonne des klaren Lichts geht niemals auf oder unter. In der Festung der Furchtlosigkeit, im Palast der spontanen Präsenz, sitzend auf einem unerschütterlichen Thron, mich niemals lösend von geschickten Mitteln und Weisheit, bin ich, ein nutzloser alter Mann, in meinem eigenen Grund als eine Verkörperung der Realität selbst verwurzelt, erscheine als Dorje Drollod und stehe auf dem Leichnam der geistigen Störungen.
Mein Pfad ist die essentielle Natur. Ich bin durch erdachte Übungen nicht gebunden. Ich habe eine Übungsweise ohne Meditation oder Sühne. Diese Art ist alles durchdringend, frei von Extremen, im eigenen Grund ohne Gegenmittel oder Struktur verwurzelt. Sie ist mit intellektueller Analyse nicht vermischt und ohne Fokus. Was immer entsteht, lässt man gehen. Hier ist eine Übung frei von Handlung, die Gut und Schlecht, Hoffnung und Furcht transzendiert. Samsara und Nirvana als den Dharmakaya erkannt, habe ich von meinem Herzen die Dunkelheit der Unwissenheit abgeschnitten. Geistige Störungen sind in vollkommener Offenheit vertrieben, im klaren, leeren Weisheitsgewahrsein, dem Schoß der Ungegenständlichkeit.
Diese Verse sind der verrückte Dharma eines Idioten, der sich mit Schlamm beschmiert und in Federn kleidet.
Zum Wohle der Wesen vom Ngak’chang Rangdrol Dorje im Jahr des Wasser-Drachen ins Deutsche übertragen. Sarva Mangalam!