Verpiss dich, wenn du mir so kommst!

Besonders ein Punkt zeigt anschaulich, wie verquer die Große Koalition den Arbeitsmarkt wahrnimmt. Wenn sie in der Koalitionsvereinbarung ankündigt, dass sie "dafür sorgen [wird], dass geringfügige Beschäftigte besser über ihre Rechte informiert werden", dann sagt sie damit auch aus, dass der Missbrauch von Mini-Jobs einfach nur ein Produkt von Unwissenheit ist. Vom ausweichenden Charakter der Aussage wollen wir erst gar nicht erst sprechen.
Verpiss dich, wenn du mir so kommst!Vor vielen Jahren habe ich mal auf geringfügiger Basis für einen Pizza-Service gearbeitet. Ich erhielt sogar einen Arbeitsvertrag. Darin war alles geregelt, was so geregelt sein muss. Neben dem schrecklich niedrigen Stundenlohn stand da, dass ich bezahlten Urlaubsanspruch (nach dem Bundesurlaubsgesetz) und Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall (nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz) hätte. Ich habe keine drei Tage dort gearbeitet, da lauschte ich einem Gespräch zwischen der Chefin und einem Angestellten. Letzterer wäre kürzlich krank gewesen und habe daher nicht gearbeitet. Und wer die vereinbarten Stunden nicht beisammen habe, sagte sie ihm, kriege eben weniger am Monatsende überwiesen. Drei Fehltage á vier Stunden seien demnach nicht verrechnet worden. Ganz normal, oder?

Zwei Wochen später bat sie eine Kollegin um Urlaub für die kommende Woche. Klar, kannste haben, sagte die Chefin großzügig. Fang gleich mal damit an, deine Stunden reinzuarbeiten. Urlaub war demnach nichts weiter, als das Ableisten vorher erbrachter Überstunden.
Einer machte dann mal den Mund auf. Er sagte der Chefin, er hätte ein Recht auf bezahlten Urlaub. Stehe sogar in seinem Vertrag. Sie zeigte auf die Türe, schrie: Du kannst dich gleich verpissen, wenn du mir so kommst! Hier mache sie die Regeln und wem das nicht gefalle, der könne gleich seinen Kram packen und abrauschen.
Eines will ich gleich klarstellen: Der Typ, der krank war und die Tante, die Urlaub wollte, waren nicht blöde. Sie wussten sehr gut, dass sie einen rechtlichen Anspruch hatten. Ich wusste es auch, schwieg aber trotzdem. Das Jobcenter saß mir im Rücken. Ich war daher ja froh, wenigstens etwas gefunden zu haben. Besser der Mist als ein Ein-Euro-Job, dachte ich mir. Man schluckt die Kröte und hofft sich irgendwie durchzuboxen.
Was ich sagen will: Es ist ja nicht so, dass es Missbrauch bei geringfügiger Beschäftigung gibt, weil die Leute nicht wüssten, was ihnen rechtlich zusteht. Sie wissen es im Regelfall ganz genau. Aber der Druck am Arbeitsmarkt oder der Arbeitsvermittler im Nacken machen sie gefügig. Sie nehmen hin, dass sie als Arbeitnehmer zweiter Klasse behandelt werden. Die Mehrzahl dieser Arbeitsplätze sind in kleinen Unternehmen zu finden, die keinen Betriebsrat und keine Gewerkschaft im Haus haben. Berichte diverser Mini-Jobber gleichen sich in puncto Urlaub und Krankheit erstaunlich.
Geringfügig meint ja eigentlich das geringere Maß an Arbeitsstunden und überdies den Umstand, dass diese Jobs nicht sozialversicherungspflichtig sind. In der Praxis wird dieses geringfügig meist völlig anders interpretiert: Die Leute, die diese Stellen haben, werden nur geringfügig geachtet.
Wenn nun diese Regierung glaubt, sie müsse die Leute nur besser aufklären, dann verlagert sie die Verantwortung auf die Betroffenen. Nicht die angebliche Unwissenheit des Mini-Jobbers ist nämlich der Grund, dass es Missbrauch gibt - es ist der Umstand, dass man überhaupt solche Arbeitsgelegenheiten mit geringen Barrieren und Sozialstandards geschaffen hat.
Mit ein wenig Schulung ist das Problem nicht aus der Welt. Im Gegenteil, man ist noch verbitterter, weil man es nochmal offiziell gesagt bekommt, dass man ein Arbeitnehmer wie alle anderen ist, aber trotzdem seinen Mund zu halten hat, wenn man die Stelle nicht aufgeben will. Die von Rot-Grün arrangierte "Neuregelung" des Kündigungsschutzes, der erst für Betriebe ab zehn Mitarbeiter gilt (wobei Mini-Jobber nur anteilig gerechnet werden, bestenfalls nur als "halbe Mitarbeiter" gelten), hat das Schweigen der Betroffenen begünstigt.
Das passt zur Leitlinie der Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahre. Arbeitslose waren demnach selbst verantwortlich für ihre Misere. Und wer zu wenig verdient, soll sich einen besser bezahlten Job suchen. Nun soll auch noch der Mini-Jobber stigmatisiert werden. Weil er nicht klug genug ist, wird er ausgebeutet. Das ist die einseitige Sicht neoliberaler Arbeitsmarktexperten einerseits und elitärer Dünkel andererseits. Denn der Pöbel, der Hilfstätigkeiten ausübt, ist ja bekanntlich ungebildet und dumm. Die Absichten der Großen Koalition bezeugen das nun auch noch offiziell.
Bei dem Pizza-Service habe ich dann nicht sehr lange gearbeitet. Als sie anfingen, die Arbeitsräume mit Kameras und Mikrofonen auszustatten und ich nicht mehr an mich halten konnte, sagte die Chefin: Verpiss dich, brauchst nicht mehr kommen. Hier bestimme ich, wie es langgeht. Aber der Rummel, der dann entstand, ist eine andere Geschichte.
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