Verpasste Chance in Münster

Bildquelle: ovg.nrw.de

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BERLIN. (hpd) Der Dienstag hätte ein his­to­ri­scher Tag wer­den kön­nen. Denn am Dienstag sollte das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster dar­über ver­han­deln, ob der Humanistische Verband (HVD) auch im bevöl­ke­rungs­reichs­ten Bundesland »Humanistische Lebenskunde« als welt­an­schau­li­chen Gegenpart zum Religionsunterricht anbie­ten darf. Es kam jedoch ganz anders.

Seit nun­mehr acht Jahren strei­tet der HVD in NRW um das Recht, das Schulfach »Humanistische Lebenskunde« anzu­bie­ten zu dür­fen. Im Jahr 2007 bean­tragte der HVD beim Schulministerium die Einführung die­ses Unterrichts, was das Ministerium sei­ner­zeit ablehnte.

Auch die erfolgte Klage vor dem Verwaltungsgericht in Düsseldorf (2006) blieb erfolg­los. Das Gericht begrün­dete die Ablehnung damit, dass Religionsunterricht gegen­über welt­an­schau­li­chen Alternativfächern durch das Grundgesetz pri­vi­le­giert sei. Eine Begründung, die schon allein des­halb gegen genau das erwähnte Grundgesetz ver­stößt, weil sie dem Artikel 3 (3) wider­spricht, in dem es heißt: »Niemand darf wegen sei­nes Geschlechtes, sei­ner Abstammung, sei­ner Rasse, sei­ner Sprache, sei­ner Heimat und Herkunft, sei­nes Glaubens, sei­ner reli­giö­sen oder poli­ti­schenAnschauungen benach­tei­ligt oder bevor­zugt wer­den. …« (Hervorhebung durch den Autor)

Dieses Urteil jedoch war sowohl eine Benachteiligung der kon­fes­si­ons­freien als auch eine Bevorzugung von reli­giö­sen Menschen. Das sah auch der HVD NRW so und klagte vor dem OVG Münster auf Zulassung des Lebenskunde-Unterrichts in Nordrhein-Westfalen.

Die Zeichen stan­den gut

Im Vorfeld der Verhandlung wur­den dem HVD gute Chancen ein­ge­räumt, da durch Artikel 140 GG in Verbindung mit Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung fest­ge­schrie­ben ist, dass Religionsgemeinschaften und nicht­re­li­giöse Weltanschauungsgemeinschaften gleich behan­delt wer­den müs­sen.

Als es am Dienstag end­lich zur münd­li­chen Verhandlung vor dem OVG Münster kam, zog der HVD jedoch über­ra­schend seine Klage zurück.

Was war gesche­hen? Wenn man sich die Pressemitteilung anschaut, die der HVD NRW noch am glei­chen Tag ver­schickte, dann geschah das des­halb, weil der Vorsitzende Richter, Bernd Kampmann zu ver­ste­hen gab, dass er nicht die Frage der Gleichbehandlung von Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften behan­deln würde, son­dern für ihn prak­ti­sche Fragen zu Mitgliedszahlen von Kindern beim HVD NRW im Vordergrund ste­hen.

Hier muss erklä­rend hin­zu­ge­fügt wer­den, dass Verwaltungsgerichte gene­rell nur dafür da sind, zu prü­fen, ob eine Behörde die Rechte des Klägers ver­letzt hat. »Es ist nicht ihre Aufgabe, abs­trakte Grundsatzentscheidungen zu fäl­len« meint dazu Thomas Heinrichs.

Obwohl der Vorsitzende Richter Kampmann von »einer der span­nends­ten Verfassungsfragen über­haupt« sprach, »die durch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig oder das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe höchst­rich­ter­lich geklärt wer­den müsste« und wei­ter dar­auf hin­wies, »wenn es nur darum ginge, die Frage zu unter­su­chen, ob Religionsunterricht auch Weltanschauungsunterricht sein kann, würde der Senat mit Sicherheit die Revision zulas­sen«, gehe es in dem Klagefall ein­zig darum, ob dem Kläger durch die Entscheidung der Behörde - hier: Bildungsministerium - ein Schaden ent­stan­den sei.

Dies sei jedoch nicht nach­prüf­bar, da der HVD NRW sich nicht in der Lage sieht, belast­bare Zahlen vor­zu­le­gen, die nach­wei­sen, dass zum einen ein aktu­el­ler Bedarf an Unterrichtsstunden vor­han­den ist und zudem noch auf­zei­gen, dass dies auch zukünf­tig der Fall sein wird.

In der oben bereits erwähn­ten Pressemitteilung des HVD NRW heißt es dazu: »Zu unse­rem Bedauern beschäf­tigte sich das OVG mit der Frage der Gleichbehandlung nicht, son­dern wollte durch Mitgliedszahlen von Kindern unter 10 Jahren beim Humanistischen Verband NRW belegt haben, dass genü­gend Schüler zur Teilnahme ver­pflich­tet wären. ›Dies stellt eine tech­ni­sche Frage dar, die am eigent­li­chen Sachverhalt vor­bei geht‹ so Jürgen Springfeld, Präsident des Humanistischen Verbands NRW.« Im Weiteren wird dar­auf hin­ge­wie­sen, dass - anders als in Kirchen, bei denen die Mitgliedschaft mit der Taufe beginnt - Mitglieder des Verbandes nur reli­gi­ons­mün­dige Personen ab 14 Jahren sein kön­nen.

Wo liegt das Problem?

Hier pral­len also zwei Rechtsauffassungen auf­ein­an­der, die nicht ein­mal zwei Seiten der sel­ben Medaille sind. Sondern nicht viel mit­ein­an­der gemein haben, so dass es nicht aus­bleibt, einige kri­ti­sche Fragen zu stel­len.

Zum einen sicher­lich dem Vorsitzenden Richter Bernd Kampmann. Tatsächlich gibt es in NRW einen Erlass des Bildungsministeriums, in dem es heißt: »In der ein­zel­nen Schule ist Religionsunterricht ein­zu­rich­ten und zu ertei­len, wenn min­des­tens zwölf Schülerinnen und Schüler eines Bekenntnisses vor­han­den sind.« Auf die­sen hat sich der Richter aller Wahrscheinlichkeit nach bezo­gen, als er einen Nachweis über den Bedarf an Lebenskunde-Unterricht for­derte. Doch in einer Statistik, die das glei­che Ministerium ver­öf­fent­licht hat, fällt auf, dass die Zahlen zur Konfession der Schüler in NRW (Seiten 26/27) eine deut­li­che Sprache spre­chen.

Dort ist näm­lich ange­ge­ben, dass 13,6 Prozent aller Schüler kon­fes­si­ons­frei sind. Daraus könnte sich also erge­ben, dass sich genü­gend Interessenten für einen reli­gi­ons­freien, welt­an­schau­li­chen Lebenskunde-Unterricht fin­den dürf­ten.

Zudem: Wenn man sich die Regelungen in NRW zum jüdi­schen Religionsunterricht anschaut, kommt man schnell dahin­ter, dass die Argumentation des Richters Schwachpunkte auf­weist. Dort heißt es näm­lich: »Durch die geringe Zahl jüdi­scher Schülerinnen und Schülern je Schule und Klasse kann der Unterricht nur zen­tral erfol­gen, d. h. in der jüdi­schen Gemeinde.« Es kann also davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass auch beim jüdi­schen Religionsunterricht mit­nich­ten zwölf Schüler vor­han­den sein müs­sen, um den Unterricht durch­zu­füh­ren.

Auf der ande­ren Seite - und das ist ein gene­rel­les Problem der Konfessionsfreien in Deutschland - kann der HVD (weder in NRW noch bun­des­weit) nicht für alle Konfessionsfreien spre­chen. Denn bekann­ter­ma­ßen ist der Organisationsgrad gerade die­ses Drittels der Bevölkerung eher gering. Das aber ver­suchte der Verband, statt vor der Verhandlung belast­ba­res Zahlenmaterial - auch und vor allem auf­grund sei­ner Mitglieder - zu beschaf­fen. Selbst wenn Präsident Jürgen Springfeld dar­auf ver­weist, dass es gegen die Gepflogenheiten des Humanistischen Verbandes ver­stößt, von sei­nen Mitgliedern die Zahl der Kinder zu erfra­gen.

Und es gibt in der Argumentation des HVD noch einen wei­te­ren Schwachpunkt. Wenn zum Beispiel in der Presseerklärung auf das Berliner Modell des Lebenskunde-Unterrichts ver­wie­sen wird: »Des Weiteren stellt huma­nis­ti­sche Lebenskunde ein wer­te­bil­den­des Fach für alle Menschen unab­hän­gig der Konfession oder Religion dar. In Berlin und Brandenburg besu­chen bereits etwa 55.000 Schüler Humanistische Lebenskunde« dann ist das ganz sicher rich­tig und erfreu­lich. Jedoch stellt sich die Situation gerade im Bundesland Berlin deut­lich anders dar als in NRW. Denn Berlin unter­liegt der sog. »Bremer Klausel«, nach der es kei­nen Pflichtunterricht in Religion gibt. In Berlin kön­nen sich Schüler (bzw. deren Eltern) zum Religionsunterricht anmel­den; in NRW müs­sen sie sich expli­zitabmel­den.

Richtig ist natür­lich - und mög­li­cher­weise war das gemeint - dass es in Berlin bedeu­tend mehr Schüler gibt, die den Lebenskunde-Unterricht besu­chen, als der HDV an Mitgliedern zählt.

Wie könnte es wei­ter gehen?

Trotz der Schlappe zei­gen sich sowohl der Landesverband NRW als auch der Bundesverband des HVD in ihren Mitteilungen und in Gesprächen mit dem hpd opti­mis­tisch. So geht der Geschäftsführer des HVD NRW, Jens Hebebrand, davon aus, dass es nun eine erneute Chance gibt, das Verfahren neu zu begin­nen. Zwar sei die­ser Vorgang abge­schlos­sen, »aber nun wis­sen wir ja, wor­auf die Richter ach­ten. Beim nächs­ten Mal klappt das dann.« Und so heißt es von Seiten des HVD: »Da laut Grundgesetz die Weltanschauungsgemeinschaften den Religionsgemeinschaften gleich­ge­stellt wer­den, muss der Verband beim neuen Antrag an das Schulministerium nur noch das tat­säch­lich beste­hende Interesse an sei­nem Lebenskunde-Unterricht nach­wei­sen.«

Andere Stimmen - auch aus dem HVD - sind da bedeu­tend kri­ti­scher. Sie wer­fen dem Verband vor, sich nicht genü­gend um sei­nen Nachwuchs zu bemü­hen. Und so selbst bei einem neu­er­li­chen Verfahren vor der glei­chen Situation ste­hen dürf­ten.

So schreibt der Jurist und Philosoph Dr. Thomas Heinrichs in einer Stellungnahme: »Für einen huma­nis­ti­schen Verband ist es in den Flächenländern, in denen der Religionsunterricht – anders als in Berlin – ein regu­lä­res Schulfach ist, nicht mög­lich über die Einführung eines Lebenskundeunterrichts an der Schule zu wach­sen. Mitgliederwachstum muss außer­halb der Schule orga­ni­siert wer­den, damit über­haupt die Voraussetzungen für einen kon­fes­sio­nel­len Unterricht in der Schule vor­lie­gen. Dies dürfte in NRW noch ein lan­ger Weg sein.«

Nic

[Erstveröffentlichung: hpd]

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Nic Frank Nic Frank

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