Es ist der jüngste Vernichtungsschlag der Rathausspitze, aber nicht der erste. Seit Monaten schon werden ausgerechnet in der Fliesenmetropole Halle schwere Geschütze gegen die im öffentlichen Raum ausgestellten Werke des von breiten Bevölkerungsschichten kultisch verehrten Kachelmannes Kachel Gott aufgefahren. Gingen Feinde der völligen Neuverfliesung der Saalemetropole bislang in Einzelfällen gezielt gegen bestimmte Kachelklebungen vor, bemerkten Kacheleologen mit Beginn des Frühjahrs eine "neue Dimension der Gewalt" gegen das gewaltige Kunstprojekt, dessen Urheber zuletzt in der Boulevardpresse zu seinen Absichten und dem von PPQ im Internet gepflegten Kachelverzeichnis Stellung genommen hatte.
Eine Offenbarung, die die Kunstfeinde und Kachelgegner auf den Plan rief. Wenige Wochen nach dem öffentlichen Bekenntnis, dass Halle nach Händel wieder einen großen Sohn hat, der mit ganz eigener Handschrift Kulturgeschichte schreibt, begann die Stadt, eine ebenso rücksichts- wie kulturlose Baggeroffensive gegen prägnante Fliesenstandorte. In der Ludwig-Wucherer-Straße fiel ein ganzes Häuserensemble den gegen die von Kunstfreunden als einzigartig eingeschätzte Schmetterlingsfliese vorrückenden Baumaschinen zum Opfer. In der Abderhalden-Straße schließlich brachen angebliche Handwerker mit einem angeblichen Auftrag der angeblichen Künstler vom Opernhaus wahrscheinlich aus Neid eine ganze Wand ab, nur um der daran befindlichen Fliese, die zuvor schon mehrere Angriffe von Fliesenfeinden überstanden hatte, den Garaus zu machen.
Der Augenfliese, vom bis heute unbekannten Künstler angebracht an einem Haus, in dem der frühere Fernsehkommissar Peter Ehrlicher in den Tagen vor seiner Bundespräsidentenkandidatur ein Wohnheim für arbeitsscheue junge Leute hatte einrichten wollen, konnte nun auch breiter gesellschaftlicher Protest nicht mehr retten. “Ich bin der bleiche Sensenmann und trage eine Krone. Niemand sich erretten kann, niemand den ich schone”, sang der hallesche Frauenchor Missklang dem einzigartigen Keramikwerk ein würdiges Abschiedslied. Dann kamen die Bagger, von deren dumpfem Brüllen sich die Kröllwitzer Jazzband Montan Medicin (Soundtrack und Video oben) zu einer apokalyptischen Neueinspielung der Stipe-Hymne an die Augenfliese inspirieren ließ: I will try not to worry you, singt Horst Prasse eindrucksvoll, "I have seen things that you will never see". Und er mahnt beinahe lautlos: "Leave it to memory me. Don't dare me to breathe. I want you to remember, oh you will never see."