Von Stefan Sasse
In seiner aktuellen Kolumne im Spiegel stellt Sascha Lobo eine bemerkenswerte Behauptung auf: Facebook sei nur das Symptom eines um sich greifenden Trends, die Privatsphäre neu zu definieren und Informationen aller Art zu verknüpfen und öffentlich zu machen. Er postuliert eine Umkehrung bisheriger Paradigmen: nicht mehr alles, was nicht öffentlich ist sei privat, sondern alles was sei öffentlich, was nicht explizit als privat markiert wird. Das bedeutet, dass wenn man Facebook einfach aus der Welt entfernte (meinetwegen mit einem Schwung von Gandalfs Zauberstab), sich an der Entwicklung selbst nichts ändern würde. Ich stimme dieser Ansicht zu, aber von ihr ausgehend erscheint mir etwas völlig anderes bedeutsam: Menschen verknüpfen mehr und mehr Informationen zu ihrem eigenen, individuellen und sehr persönlichen Netz. Die Funktion ist gerade auch das tägliche Zurechtfinden im Internet. Beispiel gefällig? Man liest einige Blogs regelmäßig, darunter die NachDenkSeiten, und nutzt deren Hinweise des Tages als Hauptquelle der Orientierung im Nachrichtendschungel.
Dieses Verhalten lässt sich natürlich beliebig verkomplizieren. Auf Facebook teilt man mit gleichgesinnten Links zu Artikeln, man hat vielleicht bestimmte Twitter-Feeds mit entsprechenden Hinweisen abonniert und einen mehr oder minder gut ausgebauten Feedreader. Das Resultat aber bleibt sich gleich: eine vergleichsweise stark gefilterte Auswahl an Artikeln, die den Präferenzen des Lesers entspricht. Trotz oder gerade wegen des relativ großen Angebots an Meinungsseiten im Internet tritt so eine Fragmentierung ein. Der Anstoß hierfür kam, das soll nicht verhehlt werden, von den traditionellen Medien selbst: ihre vollkommen unkritische Jubelstimmung während der Agendazeit, in der eine stromlinienförmige Ausrichtung praktisch aller Redaktionen am neoliberalen Reformmainstream erfolgte, provozierte eine Gegenreaktion, die in den NachDenkSeiten ihren wohl bekanntesten Ausdruck fand. Mit Fug und Recht kann man behaupten, dass Albrecht Müller einer, wenn nicht der Gründervater der "Gegenöffentlichkeit" war.
Inzwischen allerdings wird es mehr und mehr zum Problem. Die "Gegenöffentlichkeit" hat in weiten Teilen das Gebahren genau jener Mainstreammedien angenommen, die sie früher so scharf krisitierte. Zugelassen werden nur noch Meinungen, die mit der eigenen übereinstimmen. Alles andere wird aggressiv angegangen und bekämpft, von Beginn an lächerlich gemacht oder geradezu zerrissen. Das alles firmiert unter dem Label "kritisch", das sich diese "Gegenöffentlichkeit" inzwischen wie eine Monstranz vorangestellt hat und das jede Kritik im Keim erstickt. Wir sind die Guten, alle anderen die Bösen. Meinungspluralität oder Meinungsfreiheit findet auch hier, trotz aller rhetorischen Bekenntnisse, ebensowenig statt wie im Spiegel unter der Ägide Aust. Tatsächlich ist gerade der Spiegel inzwischen, besonders dank der Einführung seiner Kolumnisten, ein deutlich pluralistischeres Blatt als ehedem, und das Konzept etwa der Financial Times Deutschland, Pro und Contra Diskussionen durchzuführen und Vertreter aller Richtungen zu Wort kommen zu lassen verdiente eigentlich einen starken Ausbau.
Leider jedoch scheint der Trend derzeit eher dahinzugehen, pointierte, auf eine bestimmte Richtung gebürstete Artikel zu belohnen. Man erkennt das unzweifelhaft an den "Like"-Funktionen, sei es der Facebook-Button oder Flattr. Je pointierter und "kritischer" (der Begriff wurde inzwischen fast genauso entwertet wie "Reform") ein Artikel ist, desto beliebter ist er. Findet der Leser alle seine eigenen Meinungen bestätigt, so ist er zufrieden. Mit Nachdenken und Reflektieren hat das leider nichts mehr zu tun. Stattdessen wird einfach nur eine "Gegenöffentlichkeit" geschaffen, die genauso verbohrt und aggressiv ist wie dies die neoliberale Reformöffentlichkeit früher war.
Es ist deswegen notwendig, den Blick wieder mehr zu öffnen. Wir können es uns nicht leisten, einer Fragmentierung und Abschottung der "Gegenöffentlichkeit" weiter Vorschub zu leisten und unter dem Etikett "kritisch" einfach jedwede Kritik zu ersticken. Die Gegenöffentlichkeit wird gerade zu genau dem, was sie ausdauernd - und richtigerweise - bekämpft hat. Und das ist ebenso beunruhigend wie gefährlich.
In seiner aktuellen Kolumne im Spiegel stellt Sascha Lobo eine bemerkenswerte Behauptung auf: Facebook sei nur das Symptom eines um sich greifenden Trends, die Privatsphäre neu zu definieren und Informationen aller Art zu verknüpfen und öffentlich zu machen. Er postuliert eine Umkehrung bisheriger Paradigmen: nicht mehr alles, was nicht öffentlich ist sei privat, sondern alles was sei öffentlich, was nicht explizit als privat markiert wird. Das bedeutet, dass wenn man Facebook einfach aus der Welt entfernte (meinetwegen mit einem Schwung von Gandalfs Zauberstab), sich an der Entwicklung selbst nichts ändern würde. Ich stimme dieser Ansicht zu, aber von ihr ausgehend erscheint mir etwas völlig anderes bedeutsam: Menschen verknüpfen mehr und mehr Informationen zu ihrem eigenen, individuellen und sehr persönlichen Netz. Die Funktion ist gerade auch das tägliche Zurechtfinden im Internet. Beispiel gefällig? Man liest einige Blogs regelmäßig, darunter die NachDenkSeiten, und nutzt deren Hinweise des Tages als Hauptquelle der Orientierung im Nachrichtendschungel.
Dieses Verhalten lässt sich natürlich beliebig verkomplizieren. Auf Facebook teilt man mit gleichgesinnten Links zu Artikeln, man hat vielleicht bestimmte Twitter-Feeds mit entsprechenden Hinweisen abonniert und einen mehr oder minder gut ausgebauten Feedreader. Das Resultat aber bleibt sich gleich: eine vergleichsweise stark gefilterte Auswahl an Artikeln, die den Präferenzen des Lesers entspricht. Trotz oder gerade wegen des relativ großen Angebots an Meinungsseiten im Internet tritt so eine Fragmentierung ein. Der Anstoß hierfür kam, das soll nicht verhehlt werden, von den traditionellen Medien selbst: ihre vollkommen unkritische Jubelstimmung während der Agendazeit, in der eine stromlinienförmige Ausrichtung praktisch aller Redaktionen am neoliberalen Reformmainstream erfolgte, provozierte eine Gegenreaktion, die in den NachDenkSeiten ihren wohl bekanntesten Ausdruck fand. Mit Fug und Recht kann man behaupten, dass Albrecht Müller einer, wenn nicht der Gründervater der "Gegenöffentlichkeit" war.
Inzwischen allerdings wird es mehr und mehr zum Problem. Die "Gegenöffentlichkeit" hat in weiten Teilen das Gebahren genau jener Mainstreammedien angenommen, die sie früher so scharf krisitierte. Zugelassen werden nur noch Meinungen, die mit der eigenen übereinstimmen. Alles andere wird aggressiv angegangen und bekämpft, von Beginn an lächerlich gemacht oder geradezu zerrissen. Das alles firmiert unter dem Label "kritisch", das sich diese "Gegenöffentlichkeit" inzwischen wie eine Monstranz vorangestellt hat und das jede Kritik im Keim erstickt. Wir sind die Guten, alle anderen die Bösen. Meinungspluralität oder Meinungsfreiheit findet auch hier, trotz aller rhetorischen Bekenntnisse, ebensowenig statt wie im Spiegel unter der Ägide Aust. Tatsächlich ist gerade der Spiegel inzwischen, besonders dank der Einführung seiner Kolumnisten, ein deutlich pluralistischeres Blatt als ehedem, und das Konzept etwa der Financial Times Deutschland, Pro und Contra Diskussionen durchzuführen und Vertreter aller Richtungen zu Wort kommen zu lassen verdiente eigentlich einen starken Ausbau.
Leider jedoch scheint der Trend derzeit eher dahinzugehen, pointierte, auf eine bestimmte Richtung gebürstete Artikel zu belohnen. Man erkennt das unzweifelhaft an den "Like"-Funktionen, sei es der Facebook-Button oder Flattr. Je pointierter und "kritischer" (der Begriff wurde inzwischen fast genauso entwertet wie "Reform") ein Artikel ist, desto beliebter ist er. Findet der Leser alle seine eigenen Meinungen bestätigt, so ist er zufrieden. Mit Nachdenken und Reflektieren hat das leider nichts mehr zu tun. Stattdessen wird einfach nur eine "Gegenöffentlichkeit" geschaffen, die genauso verbohrt und aggressiv ist wie dies die neoliberale Reformöffentlichkeit früher war.
Es ist deswegen notwendig, den Blick wieder mehr zu öffnen. Wir können es uns nicht leisten, einer Fragmentierung und Abschottung der "Gegenöffentlichkeit" weiter Vorschub zu leisten und unter dem Etikett "kritisch" einfach jedwede Kritik zu ersticken. Die Gegenöffentlichkeit wird gerade zu genau dem, was sie ausdauernd - und richtigerweise - bekämpft hat. Und das ist ebenso beunruhigend wie gefährlich.