Frage: Wie würden Sie ihren Gefühlszustand 62 Tage nach dem Verschwinden Ihrer Tochter Julia an der Algarve beschreiben?
Mutter: Es ist ein zwiespältiger Zustand. Einerseits hoffen wir weiterhin täglich, dass sich Julia meldet, andererseits ist nicht restlos geklärt, ob sie das Gebiet der Siedlung Vegan Hills in Pedralva im Kreis Vila do Bispo überhaupt verlassen hat, ob ein Unfall oder ein Verbrechen vorliegt. Ich habe in Kürze Geburtstag. Normalerweise meldet sich Julia immer an diesem Tag bei mir. Das bleibt meine Hoffnung. Das schönste Geschenk wäre, meine Tochter wohlbehalten in die Arme schließen zu können.
Frage: Wann hatten Sie vor dem Verschwinden Ihrer Tochter das letzte Mal Kontakt mit Julia und wie wirkte sie da auf Sie?
Mutter: Noch am Tag ihres Verschwindens, am 28. Juni, haben wir miteinander telefoniert und auch über Dinge gesprochen, die wegen eines vorausgegangenen Unfalls mit ihrem Camper Van noch abzuklären waren und wie wir ihr dabei helfen können. Wir haben vereinbart, dass beide Seiten noch einige Telefonate tätigen und wir uns am nächsten Tag noch einmal anrufen, um uns abzustimmen. Sie wirkte völlig normal.
"Nach am Tag des Verschwindens von Julia telefonierten wir miteinander"
Informationen zur vermissten Julia W.: Julia (28) ist österreichische Staatsbürgerin, 1,70 Meter groß, sehr schlank, hat mittellanges blondes Haar und blaue Augen. Als sie am 28. Juni 2019 in der Nähe von Pedralva im Kreis Vila do Bispo (Algarve) verschwand, trug sie ein graues T‑Shirt, braune Shorts und Flip-Flops. Sie verschwand unter ungeklärten Umständen aus einem Camping-Lager (Vegan Hills) in der Nähe Pedralvas. Alle ihre Habseligkeiten (Computer, Mobiltelefon, Ausweisdokumente und Bankkarten) blieben zurück.
Frage: Wie würden Sie Julias Wesen, ihren Charakter beschreiben? Was ist kennzeichnend, was typisch für Ihre Tochter und wie passt das mit dem zusammen, dass sie nun verschwunden ist, ohne wieder von sich hören zu lassen?
Mutter: Sie ist Absolventin der Höheren Bundeslehranstalt für künstlerische Gestaltung in Linz, also der HBLA, und übt eine selbständige Tätigkeit in den Bereichen Grafik und Design aus. Besonders gerne arbeitet sie mit Naturmaterialien und bedruckt Textilien mit Siebdruck. Sie ist sehr naturverbunden und hat sich zunehmend von unserer ausufernden Konsumgesellschaft abgewandt. Julia ist kreativ, willensstark, hilfsbereit, kontaktfreudig und sehr sozial eingestellt. Falls sie weggegangen ist, vermag ich das nur mit ihrem Autounfall zu erklären, der sie ziemlich aus der Bahn geworfen haben könnte.
"Julia fühlte sich in den Vegan Hills in Pedralva sehr wohl"
Frage: In welcher Umgebung, in welchem Milieu hat sich Ihre Tochter vor ihrem Verschwinden an der Algarve bewegt? Wie kam sie überhaupt dort hin?
Mutter: Julia hat sich vor 16 Monaten mit ihrem Camper Van auf eine ausgedehnte Europa-Rundreise begeben. Sie kam im Herbst an der West-Algarve, im äußersten Südwestzipfel Kontinentaleuropas an. Dort fühlte sie sich sehr wohl in den Vegan Hills, einem der Projekte der gemeinnützigen Organisation Vegoa. Auf einem mehr als 100 Hektar großen Gelände im Bereich der Ortschaft Pedralva finden sich dort Menschen zu einer Gemeinschaft zusammen, die sich einer ethischen und nachhaltigen Lebensweise sowie veganer Ernährung verschrieben hat. Mitglied geworden ist Julia unseres Wissens nach nicht. Hier dürfte sie dann Tybo G. getroffen haben, einen 31-jährigen Belgier. Wir wissen aber nicht, wo genau die beiden sich kennengelernt haben. Zwischenzeitlich schien es auf eine partnerschaftliche Beziehung hinauszulaufen, aber die hatte dann doch keinen Bestand.
Frage: Wie sah nach Ihren Informationen die Situation aus, in der Ihre Tochter in Pedralva verschwand?
Mutter: Julias Freunde Mareike S., eine in Vegan Hills wohnende Deutsche, und Tybo G. gingen am 28. Juni auf ein Konzert. Julia wollte nicht mitkommen, sondern verblieb im oder beim Camper Van von Tybo. Dieser parkte an der Einfahrt zu Mareikes Wohnbereich auf Vegan Hills. Bei Julia blieb auch der Hund von Tybo, der ihr sehr zugetan war, da sie auf ihn aufgepasst hatte, während Tybo eine längere Zeit aus familiären Gründen in Südamerika verbrachte. Als der Belgier und Mareike von dem Konzert in Burgau zurückkehrten, stand die Tür des Camper Vans offen, Julia und der Hund waren verschwunden. Vor Ort war aber noch die Leine des Hundes. Das ist insoweit eigenartig, als dass Julia immer mit Leine spazieren ging. Mareike meinte, nach dem Verschwinden von Julia könnte sich der Hund losgerissen haben. Den Hund haben sie später bei der Suche nach Julia gefunden. Im Camper Van befand sich Julias Rucksack mit Geld, Pass und Telefon.
Frage: Rätselhaft erscheint, weshalb Ihre Tochter ohne ihr persönliches Eigentum wegging...
"Weshalb Julia wegging, ist nicht plausibel"
Mutter: Eine Antwort darauf haben auch wir nicht. So gesehen ist Julias Weggehen überhaupt nicht plausibel. Sofort haben mehrere Freunde deshalb eine Suche in der näheren Umgebung gestartet, aber niemanden gefunden. Daraufhin hat Tybo G. am nächsten Morgen die Vermisstenanzeige aufgegeben.
Frage: Wie stehen Sie als Eltern zu dem jungen Belgier, den Sie ja bei einem kürzlichen Besuch vor Ort auch persönlich kennengelernt haben?
Mutter: Wir sind Ende Juli nach Portugal gereist, um uns selbst ein Bild von der Lage zu machen. Bei dieser Gelegenheit haben wir Tybo G. näher kennengelernt. Er ist sympathisch, offen, unkompliziert und ebenfalls sehr besorgt über den Verbleib unserer Tochter. Wir möchten uns insbesondere bei Tybo, aber auch seinen Freunden und Bekannten für die umfangreichen Aktivitäten bei der privaten Suche bedanken.
"Warum fand in Pedralva nicht sofort eine Suche nach Julia statt?"
Frage: Welchen Eindruck haben Sie von den bisherigen Ermittlungen der portugiesischen Polizei?
Mutter: Wir können und wollen uns da kein abschließendes Urteil erlauben. Aber wir fühlen uns - offen gesagt - schon ziemlich hilflos und sehr auf uns allein gestellt. Wir fragen uns: Warum fand nicht sofort eine vollständige Suche am Ort des Verschwindens statt, warum gibt es bislang keinen öffentlichen Suchaufruf der portugiesischen Polizei oder warum ist es nicht möglich, von staatlicher Seite eine Belohnung für Hinweise auszuloben, so wie es in anderen Fällen durchaus üblich ist?
Frage: Inwieweit war die österreichische Botschaft in Lissabon bislang hilfreich?
Mutter: Dort hält man uns darüber informiert, was in Portugal geschieht bzw. erreicht werden konnte. Während unseres Aufenthalts vor Ort hat uns die Botschaft maßgeblich unterstützt, sodass wir alle persönlichen Belange erledigen konnten.
"Portugals Polizei hat bislang wohl keinen Unfall oder kein Verbrechen in Betracht gezogen"
Frage: Ist nach den Ihnen vorliegenden Informationen intensiv in alle Richtungen ermittelt worden?
Mutter: Nach der Vermisstenanzeige ist wohl von der portugiesischen Polizei bislang nicht in Betracht gezogen worden, dass ein Unfall oder eine Straftat vorliegen könnte. Unseren Informationen zufolge hat es leider keine komplette Suche am Ort des Verschwindens gegeben. Von unseren Behörden haben wir die Auskunft bekommen, dass bei solchen Vorfällen in Österreich eine große Anzahl von Suchenden das Gebiet durchkämmt. Es kommen Suchhunde zum Einsatz und es werden Überflüge mit Wärmebildkameras durchgeführt. Welche Maßnahmen üblicherweise in Österreich ergriffen werden, sei als Empfehlung an die Behörden in Portugal weitergeleitet worden, hörten wir. Aus uns vorliegenden Unterlagen geht hervor, dass es keinen Suchhundeeinsatz gab, obwohl uns dies anfänglich mitgeteilt worden war. Allerdings ist die Polizei bei angeblichen Sichtungen von Julia durchaus umfassend aktiv geworden. Leider stellten sich die Hinweise bislang alle als falsch heraus.
Frage: Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen, um die Suche nach Julia zu intensivieren?
"Wir setzen eine Belohnung aus für Hinweise zum Auffinden von Julia"
Mutter: Zunächst müsste geklärt werden, ob es am Ort des Verschwindens, also rund um Vegan Hills, zu einem Unfall oder zu einer Straftat kam. Wenn diese Abklärung negativ verläuft, sollte mittels eines landesweiten Aufrufs die Suche erneut intensiviert werden und durch die Auslobung einer Belohnung unterstützt werden. Da wir das weitere Vorgehen der Behörden nicht abschätzen können, haben wir uns entschieden, einen eigenen Aufruf zu starten, dass sich Julia melden soll bzw. dass uns ihr Aufenthaltsort genannt wird. Außerdem setzen wir eine Belohnung in Höhe von 5.000 Euro für denjenigen aus, nach dessen konkretem Hinweis Julia aufgefunden wird.
Frage: Wie gehen Sie als Eltern im Alltag mit der derzeitigen Situation um? Wie prägt diese im Augenblick Ihr Leben?
Mutter: Die Ungewissheit, das Hoffen und Bangen bringen uns an die psychischen und physischen Grenzen des Erträglichen. Jeder Anruf birgt die Hoffnung, dass unsere Tochter gefunden wurde. Man zermartert sich den Kopf, was passiert sein könnte, denkt nach, was man noch tun könnte, fühlt sich vollkommen hilflos. Manchmal überwiegt das Gefühl, dass die Behörden zu wenig unternehmen. Man macht sich Gedanken, ob Julia überhaupt noch lebt, um diesen dann sofort zu verwerfen und Hoffnung zu schöpfen, dass wir sie bald zurückbekommen.
Hier der aktuelle Suchaufruf der Eltern von Julia W. mit Aussetzung einer Belohnung:5.000 Euro Belohnung für Hinweise auf Julia W. (28)
Sehr geehrte Damen und Herren, als die besorgten Eltern unserer Tochter Julia (28) bitten wir jeden, der uns aktuelle Informationen über ihren Aufenthaltsort, über zurückliegende Sichtungen oder über relevante Vorgänge rund um ihr Verschwinden geben kann, inständig und herzlich, dies zu tun. Leider haben weder die bisherigen Bemühungen der portugiesischen Polizei noch private Suchaktionen über Plakate und soziale Medien brauchbare Hinweise ergeben, die das Geschehene erhellen und Julia finden ließen. Wir machen uns, da inzwischen schon viele Wochen seit Julias Verschwinden vergangen sind, sehr große und ernste Sorgen. Deshalb setzen wir privat eine Belohnung* in Höhe von 5.000 Euro aus für diejenige Person, die der Polizei rechtmäßig erlangte und sachdienliche Hinweise liefert, welche zum Auffinden von Julia führen oder, falls eine Straftat vorliegen sollte, zu deren Aufdeckung.Wenn Sie also etwas Konkretes über das Verschwinden von Julia wissen bzw. eine entsprechende Beobachtung gemacht haben, dann teilen Sie dies bitte umgehend an jedwede Polizeidienststelle mit oder über die internationale Notrufnummer 112. Bitte helfen Sie mit, dass wir bald Gewissheit haben! Herzliche Grüße Elfriede und Peter W., Salzburg
*Die Auszahlung erfolgt unter Ausschluss des Rechtswegs. Sie erfolgt nicht an Personen, die wegen ihrer privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Position zu entsprechendem Verhalten verpflichtet sind und an Personen, denen eine Mitschuld am Sachverhalt angelastet werden kann.
Unsere früheren Berichte über das Verschwinden von Julia W. an der Algarve
In diesen Beiträgen hat " Algarve für Entdecker" bisher über die Suche nach der Österreicherin Julia W. in Portugal und im gesamten Schengen-Raum berichtet:
Polizei erläutert Julia-Suche (4. August)
Vermisste Österreicherin (28): Jetzt spricht ihr Ex-Freund (31. Juli)
Österreicherin (28) seit einem Monat an Algarve vermisst (27. Juli)